Tödlicher Covid-Infekt

„Sie war mein einziges Kind“

Österreich
20.03.2021 19:15

Claudia Oberbauer hatte Trisomie 21. Sie starb vor einer Woche an Corona. Weil mit den Impfungen für Menschen mit Behinderung viel zu spät begonnen wurde, klagt ihre Mutter an.

„Das ist mein Lieblingsfoto“, sagt Susanne Oberbauer und nimmt eines der zahlreichen Alben aus dem Regal. Es zeigt ihre Tochter Claudia, die den Kopf an ein Pferd schmiegt. „Sie hatte ein ganz besonders Gespür für Tiere - und die Tiere für sie“, erzählt die 78-Jährige. Vor sechs Tagen ist Claudia Oberbauer im Alter von 55 Jahren an Covid-19 verstorben. Und das hätte verhindert werden können, sagt ihre Mutter Susanne.

Dann kam Corona - und nichts war wie zuvor
Claudia Oberbauer hatte Trisomie 21, seit ihrem 25. Lebensjahr wohnte sie unter der Woche in einer der Jugend am Werk Wohneinrichtungen in Wien, die Wochenenden verbrachte die Frau bei ihrer Mutter. Sie gingen reiten, arbeiteten im Garten, machten Urlaube - all das dokumentierte Claudia in ihren Fotoalben, die nun im Regal stehen.

Dann kam Corona und nichts war mehr, wie es einmal war. Im letzten Frühjahr konnten sich Mutter und Tochter wochenlang nicht sehen, daraufhin holte Susanne Oberbauer Claudia für einige Wochen nach Hause. Besuchsverbote, strenge Besucherregeln - „es war ein schlimmes Jahr“, sagt Oberbauer und greift nach der Hand ihres Lebensgefährten. „Sie war mein einziges Kind.“

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Wer hat Schuld am Tod meiner Tochter? Erst im März wurde in der Wohneinrichtung mit dem Impfen begonnen, dabei hätte man dort direkt nach den Altersheimen impfen sollen. Stattdessen kamen zuvor zahlreiche Bürgermeister dran.

Mutter Susanne Oberbauer

Wäre sie geimpft worden, sie würde noch leben, sagt die Wienerin. Stattdessen musste sie von vordrängelnden Bürgermeistern lesen. Von Lieferproblemen der Impfstoffe und Politstreitigkeiten - „Menschen mit Behinderung kommen bei allem immer als Letztes dran“, sagt Oberbauer.

In den ersten Impfplänen noch nicht priorisiert
Tatsächlich waren Menschen mit Behinderung in den ersten Impfplänen nicht priorisiert. Das wurde erst kürzlich nachgeschärft. „Menschen mit Trisomie 21 erhalten die Impfung in der ersten Phase des Impfplans“, so das Gesundheitsministerium. Am 9. März wurde mit den Impfungen bei Jugend am Werk begonnen. Mitte März, heißt es von der Stadt Wien, werden bei Personen mit Behinderungen sowie bei Behinderteneinrichtungen die ersten Teilimpfungen abgeschlossen sein. Für Claudia Oberbauer ist das zu spät. Sie starb am 14. März.

„Das Thema Behinderung wird disproportional zur eigentlichen Größe der Gruppe behandelt“, sagt Oliver Koenig von der Suttneruni. Rund 18 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind betroffen - „doch die werden immer wieder sehr grundlegend übersehen“, sagt Koenig, der dazu forscht. Dass der Impfplan nachgeschärft wurde, sei nur der Lobbyarbeit von Organisationen zu verdanken.

„Der große Masterplan fehlt“
Dabei haben Menschen mit Downsyndrom ein signifikant höheres Risiko an einer Lungenkrankheit zu erkranken. Und: „Bis heute gibt es keine Vertreter von Menschen mit Behinderung in den Krisenstäben des Bundes, eine parlamentarische Anfrage dazu wurde abgelehnt.“ Auch Wolfgang Bamberg von Jugend am Werk sagt, er habe den Eindruck, dass „der große Masterplan Impfen fehlt“.

Natürlich sei es schwer zu priorisieren, wem denn nun eine Impfung dringender zusteht, sagt Bamberg - aber durch die unterschiedlichen Herangehensweisen der Bundesländer, „werden Unsicherheiten geschürt. Hätte man in Wien vielleicht drei Wochen früher angefangen, es wäre für Frau Oberbauer wahrscheinlich anders ausgegangen.“

Fakten

  • In Österreich leben ca. 9000 Menschen mit Downsyndrom. Weltweit wird jedes 700. oder 800. Kind mit Trisomie 21 geboren.
  • Sonntag ist Welt-Down-Syndrom-Tag, der Bewusstsein schaffen soll.
  • Wissenschafter Oliver Koenig leitete Erhebungen in der Pandemie. Die wichtigste Erkenntnis: Man müsste bestehende Angebote überdenken und Inklusion gezielt vorantreiben. Denn viele Menschen mit Behinderung litten massiv unter den Maßnahmen - Stichwort Einsamkeit. Es fand eine Verlagerung in die Familien statt. Pflegende Angehörige, vor allem Frauen, gerieten an die Grenzen.
  • Im Mai beginnt eine neue Studie, die die mittel- und langfristigen Auswirkungen von Corona auf Menschen mit Behinderung untersucht. Gefördert wird sie vom Wissenschaftsfonds FWF.
Anna Haselwanter
Anna Haselwanter
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