Adelige Eskapaden

Ist Ernst August der Punk der Aristokratie?

Oberösterreich
19.03.2021 20:00

Michaela Lindinger, Kuratorin im Wien Museum und Buchautorin, hat sich auf widerständige Adelige spezialisiert. Für die „Krone“ beleuchtet sie Harry und Meghan sowie Ernst August von Hannover, der am Dienstag, 23. März - wie berichtet - als Beschuldigter vor Gericht treten muss.

„Krone“: Wie haben Sie Ihre Liebe für historische Figuren und alte Zeiten entdeckt?
Michaela Lindinger: Schon in der Schulzeit hatte ich Ferialjobs als Vermittlerin im Schlossmuseum und bei den Landesausstellungen in Oberösterreich. Ich studierte in Wien und habe dann mehrere Ausstellungen, darunter eine über Kaiserin Elisabeth, mitgestaltet. Dann ging eine Kollegin in Pension und ich wurde im Wien Museum für die Porträtsammlung zuständig.

„Krone“: Da wissen Sie sicher, wie der Adel funktioniert.
Lindinger: Oder funktioniert hat. Er wurde ja in Österreich im Jahr 1919 abgeschafft.

„Krone“: Aber er ist noch immer da und interessant, denken Sie nur an den Prinz im Almtal.
Lindinger: Ernst August aus dem Haus Hannover ist eigentlich Deutscher, obwohl er bei uns lebt. Dass er bei uns ist, hat viel mit der deutsch-österreichischen Geschichte zu tun. Österreich-Ungarn verlor im Jahr 1866 die Schlacht bei Königgrätz. Das Königreich Hannover - das Herrscherhaus der Welfen - hatte an der Seite Österreichs gestanden. Nun kamen viele ehemalige Fürstentümer als neue Provinzen zum Preußischen Reich. Einige Welfen gingen nach Österreich ins Exil.

„Krone“: Warum haben sich die Welfen eigentlich beim Almsee niedergelassen?
Lindinger: Die Atterseeregion und das Salzkammergut waren bei Adeligen sehr beliebt, der österreichische Adel verkehrte hier im Sommer. Man wollte in der Nähe des Herrscherhauses urlauben. Im Schloss Cumberland verbrachten die englischen Adeligen ihre Sommerfrische, Ernst August ist ja eng mit dem englischen Königshaus verwandt.

„Krone“: Was dürfen Adelige heute und was nicht?
Lindinger: Das meiste ist wie allen anderen Bürgerinnen und Bürgern. Niemand sollte Journalisten oder Polizisten zusammenschlagen. Aber Adelige werden mehr umlagert und stärker wahrgenommen, als jemand, der jeden Tag ins Büro geht. Das kann eine Menge Probleme mit sich bringen.

„Krone“: Warum wird gerade Ernst August so unter die Lupe genommen?
Lindinger: Er zählt als Welfe zum ältesten Adel Europas, älter als die Habsburger. Naja, die Leute glauben, wenn der so hochadelig ist und so viel Geld hat, muss er ein Vorbild sein. Aber das ist er eher nicht. Die Adeligen waren selten Vorbilder, höchstens bei der Mode, wie Lady Di oder Marie Antoinette.

„Krone“: Ihr Blick auf den Prinz?
Lindinger: Er ist für mich eher eine Figur der Popkultur. Es gibt einen Song von einer Band in den 1990er-Jahren, der heißt „Ernst August“. Da wird gesungen: „Wer bricht Knochen? Wer drischt Zähne? Wer tritt in die Kamera?“ Eine ironische Annäherung an einen rüpelhaften Adeligen, der als Punk der Aristokratie gilt.

„Krone“: Gibt es unter Adeligen noch Heiratszwang?
Lindinger: Eigentlich nicht. Aber es wird schon vorausgesetzt, dass man einen standesgemäßen Partner nimmt. Dieser ist meistens aus einem anderen Fürstenhaus, siehe Ernst August und Caroline von Monaco.

„Krone“: Und Harry und Meghan.
Lindinger: Vor einigen Jahrzehnten wäre es unmöglich gewesen, dass ein englischer Prinz eine geschiedene Amerikanerin heiratet. Nun ist jeden Tag zu lesen, dass Harry mit einer amerikanischen Schauspielerin verheiratet ist, die vor allem für Zoff und Wirbel sorgt.

„Krone“: Sie kennen sich mit widerständigen Adeligen aus, denn auch Kaiserin Elisabeth suchte Freiheit.
Lindinger: Ja, es gibt viele Bücher und Filme über den jungen Wildfang. Ich habe mich mit der Kaiserin in ihren letzten Lebensjahrzehnten beschäftigt. Da ist Sisi zu dem geworden, was sie heute interessant macht: Eine selbstständige Frau, die nichts mehr auf die Etikette gibt.

„Krone“: Wo hat sie wirklich Grenzen berührt?
Lindinger: Unter anderem stellte sie dem Kaiser ein Ultimatum: Wenn er ihr nicht zugesteht, dass sie die Orte ihres Aufenthalts selbst aussucht, dann geht sie. Das ist ungeheuerlich für ihre Zeit. Sie hat sich sozusagen aus dem Herrscherhaus begeben.

„Krone“: Machen das Harry und Meghan auch?
Lindinger: Sie gehen einen Schritt weiter. Kaiserin Elisabeth hat das Geld des Kaiserhauses gerne angenommen. Sich einen Palast in Korfu zu bauen, wäre sonst nicht möglich gewesen. Harry und Meghan haben dem Königshaus auch finanziell den Rücken gekehrt. Das ist der Unterschied.

„Krone“: Wie tief tauchen Sie in das Leben Ihrer Hauptfiguren ein, über die Sie schreiben?
Lindinger: Ich kenne Leute, die schreiben Biografien und identifizieren sich total mit den Figuren, das tue ich nicht. Ich versuche, mich emotional fernzuhalten. Da es immer widerständige Figuren sind, nehme ich vielleicht aber schon was mit. Ein wenig Selbstbewusstsein kann ja auch im Alltag nicht schaden.

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