Pensionssystem brüchig

Sozialforscher: „Das ist populistische Verdummung“

Medien
14.03.2021 17:10

Sozialforscher Bernd Marin publiziert ein Jahr nach dem ersten Corona-Lockdown ein neues Buch. Es geht um die Welt danach. Und es hat wenig Lob für die heimische Politik parat.

Historischer Dienstag. Erster Lockdown vor einem Jahr, 16. März 2020. Seitdem ist viel geschehen. Die Krise ist evident. In vielen Bereichen. Auch im Sozialwesen. Wie geht es weiter? Sozialforscher Bernd Marin hat sich Gedanken gemacht. Passender Buchtitel: „Die Welt danach. Leben, Arbeit und Wohlfahrt nach dem Corona-Camp“.

„Wiedererstarken nationaler Fürsorgestaaten“
„Wir lernen aus den historischen Krisen von 1929 bis 2008. Interessant sind aktuell die solidaristischen bis sozialistischen Reflexe, wir beobachten das Wiedererstarken nationaler Fürsorgestaaten.“ Marin übt jedoch viel Kritik. Auch im Bereich der Pensionen. „Bloßes Anheben des effektiven Pensionsalters reicht nicht, solange es hinter den tatsächlichen Langlebigkeitszuwächsen zurückbleibt. Das Regierungsprogramm wurde von SARS-CoV-2 in wenigen Tagen hinweggerafft, historisch geschreddert.“

Man müsste eine Neufassung vereinbaren, einen Neustart aus der Krise. Ein Punkt bleiben die Pensionen. Ein heißes Eisen in Österreich. „Selbst im Krisenhaushalt 2021 bleiben die Pensionen mit fast einem Viertel der bei Weitem größte Ausgabenposten. Das Stopfen des Pensionslochs durch erhöhten Bundeszuschuss erreicht bereits 12,36 Milliarden und übertrifft damit sogar die Ruhegenüsse der Beamten (10,48).“

Zitat Icon

Das ist Pensions-Wohlfühlschummelei. Die nüchterne Pensionswahrheit ist den Menschen zumutbar.

Bernd Marin

Marin spricht von populistischem Leichtsinn, Wiedereinführung von Frühpension durch „Hackler“-Regelung, „Frühstarterbonus“ und von „unausgewogenen jährlichen Pensionsanpassungen“. „Das ist Pensions-Wohlfühlschummelei. Die nüchterne Pensionswahrheit ist den Menschen zumutbar.“ Die Situation sei skurril: „2019 war das Pensionsalter auf dem Niveau von 1976 - bei einem Jahrzehnt längerer Lebenserwartung. Man stelle sich 43 Jahre Stillstand, etwa Löhne ohne Teuerungsausgleich vor.“

Die Parlamentsparteien (mit Ausnahme der NEOS) haben sich inzwischen alle - und mehrfach im Gegensatz zu früheren Festlegungen - „auf populistische Verdummung eingeschworen“- nach dem Motto „die Leute wollen das nicht“. Das sei wider alle Realität, wie sie die Wissenschaft oder OECD klar definieren.

„Neue Klassenkämpfe mit altersdiskriminierenden Vorurteilen“
Professor Marin findet eingängige Metaphern: Nur die staatliche Ausfallshaftung mache die am Tropf und der Herz-Lungen-Maschine fiskalischer Bundeszuschüsse hängende öffentliche Pensionsversicherung „sicher“. Die Schuldenberge werden dadurch nicht kleiner. Marin fordert neben der Sanierung der ersten Säule eine betriebliche Alterssicherung - in Österreich derzeit nur vier Prozent. In Deutschland 65 Prozent, in Schweden und Holland über 90 Prozent der Bevölkerung. In Österreich werden knapp 2 Millionen sogenannte Babyboomer bis 2034 in Pension sein und eine Million wird das Pflegesystem zusätzlich strapazieren.

Zudem spalte Corona die Gesellschaft. „Neue Klassenkämpfe mit altersdiskriminierenden Vorurteilen und Untertönen sind hierzulande durch zig-milliardenfache private Vermögenstransfers jährlich quasi vorprogrammiert.“ Es müssten mehrere heiße Eisen angefasst werden.

Marin plädiert nicht nur für ein rasches Ende von Luxuspensionen („sozialer Parasitismus auf Kosten der Allgemeinheit“) und Anpassen von Beamtenpensionen an ASVG, sondern auch für Erbschafts- statt Vermögenssteuern, um Rentier-Reichtum bzw. „Überreichtum“ zu dynamisieren. Er ist jedoch skeptisch, dass die im Pandemie- und Impf-Management sichtbar überforderte Kanzlerpartei über diese großen Schatten springen will oder kann.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele