MAN Steyr:

„Die Menschen hier haben Arbeitergene in sich“

Oberösterreich
12.02.2021 14:00

Der Lkw-Hersteller MAN will das Werk in Steyr bis Ende 2023 schließen. Das wühlt die ganze Region auf. Noch laufen Verhandlungen. Ernst Schönberger war lange Betriebsrat. Er weiß, wie es den Menschen geht, er kennt Krisen aus seinem Arbeitsleben. Eine Schließung? „Das wäre eine Katastrophe für die Region“, sagt er.

„Krone“: Wenn Sie ins Werksgelände von MAN hinüber schauen, was fühlen Sie?
Ernst Schönberger: Ich bin entsetzt. Ein schlimmes Szenario spielt sich da gerade ab. Die VW-Leute waren in meinen Augen immer zuverlässig, aber nun sind sie vertrags- und wortbrüchig geworden.

„Krone“: Sie arbeiteten bis zu Ihrer Pensionierung hier?
Schönberger: Ja, ich war 40 Jahre bei MAN. Ich habe als Arbeiter im Presswerk begonnen, da musste ich schichteln. Später war ich Bandarbeiter. Ich sage immer „Kettenhund“ dazu: Da ist eine Kette, auf der der LKW eingehängt ist. Er fährt fließend vor.

„Krone“: Sie haben Lkw zusammengebaut?
Schönberger: Ja, als ich am Band gestanden bin, wurden 12 Lkw pro Schicht gebaut. Jetzt sind es 50 bis 60. Ich habe die schlimmen 1980er Jahre erlebt. Nach der Zersplittung von Steyr Daimler Puch in viele Betriebe gab es damals viele Kündigungen. Aber das ist eine andere Geschichte. MAN hat damals Teile übernommen, wir rutschten schleichend in die Globalisierung hinein. Jetzt schlägt sie voll zu.

„Krone“: Vor 20 Jahren wurden Sie Betriebsrat. Wie war das?
Schönberger: Wir fühlten uns sicher. Der Riesenkonzern VW war lange ein Sicherheitspol. So einen großen Fisch frisst keiner mehr! Aber nun gibt es diese Strategieänderung, weil sie mit dem Elektroantrieb und dem Dieselskandal in Schwierigkeiten gekommen sind. Jetzt gibt es einen neuen Vorstand, der geht in eine andere Richtung.

„Krone“: Wohin führt diese?
Schönberger: Die Strategie heißt: Ostverlagerung. Billigere Arbeitsplätze, Aktionärsbefriedigung. Die Manager sind nichts anderes als die Handlanger der Aktionäre.

„Krone“: Wie haben Sie die Globalisierung in Ihrer aktiven Zeit gespürt?
Schönberger: Es gab ständig Rationalisierung. Weniger Leute, neue Akkordsysteme. In der Zeit, als ich Betriebsrat wurde, sind die Burn-outs bei den jungen Kollegen angestiegen. Wenn einer krank war, angeschlagen, dann gab es Krankenstandsrückkehrgespräche. Das ist erlaubt, aber es wurde natürlich Druck erzeugt. Sie gingen auch öfters stark in den persönlichen Bereich hinein.

„Krone“: Was macht sonst den Druck am Band?
Schönberger: Der Takt. Du musst innerhalb von acht Minuten mit deinem Arbeitsanteil fertig sein. Da kann keiner ein Spiel spielen und keiner kann faul sein.

„Krone“: Was ist ein Arbeitsanteil?
Schönberger: Fahrerhausträger montieren, Motor montieren oder Reifen, Fahrerhaus aufsetzen. Leitungen verlegen, Rahmenzusammenbau oder Achsmontage. Zwei, drei Leute helfen zusammen. Sie müssen zusammenpassen, sonst funktioniert das nicht. Dann gibt es noch den Faktor „Selbstreinigung der Gruppe“. Aber ich habe als Betriebsrat immer darauf geachtet, dass kein Mobbing passiert.

„Krone“: Wie geht es mit MAN in Steyr weiter? Noch wird verhandelt.
Schönberger: Es gibt meiner Meinung nach drei Varianten. Die Erste: VW tut weiter mit Abstrichen in Steyr. Die Zweite: Siegfried Wolf, der Investor, hat auch Interessen. Ich vermute an der neuen Kunststofflackierung, an den Fachleuten hier und an der Entwicklung. Vielleicht bleibt der Teil hier.

„Krone“: Das dritte Szenario?
Schönberger: Die Schließung. Aber allen Bemühungen zum Trotz werden auch bei den beiden anderen Varianten Leute auf der Strecke bleiben.

„Krone“: Was ist der Unterschied zu den 1980er Jahren, wenn Entlassungen passieren?
Schönberger: Rundherum gibt es viel Arbeitslosigkeit. Wenn jetzt durch Maßnahmen 800 Leute ausscheiden würden, muss man das mal drei rechnen. So kann man die Auswirkungen auf andere Sparten und Betriebe, nicht nur im Automobilsektor, einschätzen. Betroffen sind das Steyrtal, das Ennstal, das Mostviertel bis Amstetten. Die Kaufkraft in der Region lässt intensiv nach, der Wirtschaftsimpuls fehlt.

„Krone“: Wie kann das persönliche Schicksal eines jungen Arbeiters ausschauen?
Schönberger: Ein Junger, der von Leiharbeit übernommen wurde, beginnt eine Familie zu gründen. Neue Wohnung oder Hausbau. Erstes Kind. Die ganzen Sachen, die man tut, wenn man jung ist. Und auf einmal ist der Job weg. Und seine Frau arbeitet vielleicht nebenbei in der Gastronomie und hat jetzt auch ihre Arbeit verloren. Was tut diese Familie? Die Arbeitslosenzuschüsse wurden auf 55 Prozent gekürzt.

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Man hört über MAN immer „Spezialschmiede Steyr“, das hat Gültigkeit. Bei uns sind Sachen auf die Welt gekommen, die sie in München nie schafften.

Ernst Schönberger

„Krone“: Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie und haben ein spannendes Hobby?
Schönberger: Ich befasse mich intensiv mit der Geschichte der Arbeiterbewegung. Ich weiß: Es ist eine besondere Energie in Steyr! Wir waren über ein Jahrhundert multikulturell. Alle Kleinbetriebe, die zusperrten, wurden von der Industrie aufgesaugt. Das brachte gute Facharbeiter hervor. Die Leute hier in den Werken haben Arbeitergene in sich, die sie schon von ihren Urgroßeltern mitgekriegt haben.

Elisabeth Rathenböck, Kronen Zeitung

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