Krebs, Kinder, allein

Familie M. und das Weihnachtswunder

Österreich
24.12.2020 06:00

Frau M. ist alleinerziehende Mutter dreier Kinder. Im Herbst wurden ihr zwei Tumore entfernt. Der Vater kann den Unterhalt nicht zahlen. Geld für Geschenke fehlte - doch dann gab es ein kleines Wunder. Es sollte eine gute Geschichte werden. Eine von denen, die Hoffnung geben. Stattdessen stand eine junge Frau auf einem Gehsteig und weinte.

Aber zum Anfang: Frau M. sitzt auf einem Kinderbett. Die Wand hinter ihr ist rosa gestrichen, Kinderhände haben darauf gekritzelt. Neben ihr ein zweites Bett, eine Babyschale, ein Schrank - das war’s. Während die Frau spricht, fährt sie sich über den Bauch. Mal um zu zeigen, wo ihr Tumore entfernt wurden, mal ganz unbewusst.

Frau M. ist Mutter. Sie ist alleinerziehend. Zwei Mädchen im Alter von zwei und vier Jahren stürmen durch die kleine Wohnung in Wien-Floridsdorf. Die Große ist im Kindergarten. Im Vorjahr hat sich die junge Mutter nach sechs Jahren getrennt, zog mit den drei Kindern in eine eigene kleine Wohnung.

Frau M. ist erst 23 Jahre alt. Mit 17 hat sie geheiratet, schnell folgten die Töchter - die letzte eine Problemschwangerschaft, Frühgeburt, zwei Monate Spital. Heute sei die Kleine besonders anhänglich, sagt sie und streicht über den Lockenkopf des Kindes. Die Beziehung hielt nicht stand. Mit dem Vater habe sie aber ein gutes Einvernehmen. „Er wird immer der Papa sein“, sagt sie. Und doch: Die kleine Sozialwohnung sollte ein Neustart werden.

Diagnose, Tumore, Schock, Operationen
Dann kam 2020 mit all seinen Grausamkeiten - kollektiv und individuell. „Im September wurden zwei Weichteiltumore festgestellt“, erzählt die Frau. Ein Schock. „Da denkt man sich, man ist ja jung“, sagt Frau M. - und dann: „Meine drei Mädchen.“ Lange Zeit nachzudenken bleibt ihr nicht, die Tumore werden sofort entfernt. Alles ging gut. Doch sie ist natürlich in ihrer Bewegung eingeschränkt.

Sie bittet eine Studentin um Hilfe, zahlt ihr 50 Euro, damit sie einkauft, im Haushalt hilft. Doch das Geld ist ohnehin knapp. Der Vater zahlt den Unterhalt nicht regelmäßig. Die Familie lebt von der Kinderbeihilfe und Geld des Sozialamts.

Dann kam die Jahresabrechnung des Stroms - 800 Euro sind offen. Frau M. verzweifelt. Sie geht zum Sozialamt, man verweist sie auf die Caritas. „Mir ist das alles zu viel“, sagte sie damals zu einem Caritas-Mitarbeiter, „ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll.“

Der Mann kann einen Mahnungsstopp erwirken. Ein Gespräch mit der Krebshilfe wurde organisiert, Frau M. wird jetzt beraten. Klaus Schwertner, Caritasdirektor Wien, erzählt ihre Geschichte online. Es meldet sich ein Mann, der die ganze Rechnung übernimmt. Es ist das erste zweier Wunder - Frau M. schöpft Hoffnung. Und es ist diese Geschichte, die erzählt werden sollte. Um zu zeigen, dass es in Zeiten, in denen die Gesellschaft gespalten scheint, auch Zusammenhalt gibt.

Die Stromrechnung: Ein Tropfen auf den heißen Stein
Bei dem Besuch der Familie wird aber rasch klar - die Stromrechnung ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Frau M. gibt sich tapfer: „Neues Jahr, neues Glück“, sagt sie. Doch Geschenke für die Kinder und ein Christbaum werden sich nicht ausgehen. „Man muss mit der Situation klarkommen, wie sie ist“, sagt die 23-Jährige. Ihre Töchter streiten sich um eine Haarbürste.

Draußen am Gehsteig vor den Sozialwohnungen bricht die Caritas-Mitarbeiterin in Tränen aus. Es ist kein großes Schluchzen, es sind stille Tränen. Die Frau ist täglich mit Schicksalen wie jenem von Frau M. konfrontiert. Irgendwann scheinen sie sich aufs eigene Herz zu legen. Die Reportage ist damit eigentlich beendet. Doch gut ist die Geschichte nicht. Sie verbreitet sich erneut auf Facebook. Der Post ist kein Hilferuf, keine Bitte um Spenden, sondern ein Aufzeigen von unsichtbaren Schicksalen. Und doch: Minuten später trudeln die ersten Nachrichten ein. Menschen wollen helfen.

Geschenke, ein Baum und ganz viel Freude
Es wird ein Spendenkonto eingerichtet, fremde Menschen schicken Geschenke; Bücher, Puppen, Malsachen. Die Caritas-Mitarbeiterin übergibt sie vor drei Tagen. Frau M. ist sprachlos. Auch die Kinder wissen nicht, wie ihnen geschieht. Gemeinsam wird der Baum geschmückt, der Glitzer der Kugeln überall verteilt. Die Kleine will immer das aufhängen, was die Große gerade in der Hand hat. Die Mittlere lässt sich davon nicht beirren, die Mama ist noch immer sprachlos. Kurz fühlt es sich an wie ganz normale Weihnachten. „Danke“, sagt Frau M. immer wieder, „danke, dass es so viele tolle Menschen gibt.“ Sie kann nicht glauben, was gerade passiert. Das ist das zweite Wunder. Das ist Weihnachten.

Gerade jetzt füreinander da sein
Ein furchtbares Jahr, viel Verzweiflung - und dazwischen immer wieder Hoffnung. Klaus Schwertner im Interview über unzählige Schicksale.

Das Schicksal der Familie M. berührt, aber es ist nur eines von vielen ...
Ja, die Caritas ist ja so was wie ein Seismograf für gesellschaftliche Veränderungen - wir spüren frühzeitig, wenn die Not größer wird.

Und das wird sie heuer ganz besonders?
Ja, wir erleben, dass sich sehr viele Menschen an die Caritas wenden, die dies zum ersten Mal tun. Auch aus vielen neuen Gruppen, etwa aus dem Eventbereich, Kulturschaffende, Einzelunternehmer.

Wie kann diesen Menschen geholfen werden?
Wir haben in Österreich 53 Sozialberatungsstellen, ein hundertprozentiges Spendenprojekt. Dort wird Menschen rasch und unbürokratisch geholfen.

Möglich machen das also Spender?
Ja, die Österreicher schauen hin und helfen zusammen - ohne sie wäre es nicht möglich, so vielen Menschen zu helfen. Dadurch erleben wir auch sehr viele schöne Erfolgsgeschichten, die Hoffnung machen.

Anna Haselwanter, Kronen Zeitung

 krone.at
krone.at
Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele