Nach Gewaltvorwürfen

„Keine Absicht, aber das darf nicht passieren“

Wien
05.06.2019 12:25

Es sind Videoaufnahmen, die Zündstoff bieten, die Wogen hochgehen lassen, Fragen aufwerfen, Ermittlungen und lückenlose Aufklärung nötig machen. Nach den teils gewaltsamen Zwischenfällen am Freitag im Rahmen einer Klima-Demonstration in Wien stand Landespolizeivizepräsident Michael Lepuschitz Mittwoch früh Moderator Gerhard Koller im krone.tv-Studio Rede und Antwort rund um die aktuell im Netz kursierenden Videos mutmaßlicher Polizeigewalt und die Eigendynamik, die jeder Demo mit Gegenwehr innewohnt.

Fünf Polizisten, die einen einzelnen, bereits am Boden fixierten Demonstranten festhalten, während er von einem der Beamten mehrere Faustschläge verpasst bekommt. Ein Demonstrant, der im Zuge der Festnahme beinahe von einem davonfahrenden Polizeiwagen überrollt wird. Szenen vom vergangenen Freitag, als sich in Wien im Zuge einer nicht angemeldeten Klima-Demonstration Protestteilnehmer auf der Straße versammelten. Szenen zweier Einsätze vor Ort, aufgenommen von Schaulustigen. Die dort festgehaltenen Bilder sorgen für einen Aufschrei, könnten sie immerhin mutmaßliche Polizeigewalt dokumentieren.

„Grundsätzlich ist unsere Waffe das Wort“
„Grundsätzlich schlagen wir nicht“, stellt der Polizeivizepräsident, gefragt nach dem kursierenden Video, das mehrere Fausthiebe eines Polizisten gegen den am Boden Liegenden zeigt, gleich eingangs fest. „Grundsätzlich ist unsere Waffe das Wort.“ Dennoch seien Schläge als Zwangsmittel zulässig, etwa wenn sich ein Verdächtiger vehement gegen seine Festnahme wehrt.

„Fauststöße eine Möglichkeit“
Sogar ein möglicher Waffengebrauch ist in einem solchen Fall geregelt, allerdings: „Eine Möglichkeit, den Waffengebrauch zu vermeiden, ist die Anwendung von Körperkraft.“ Wenn jemand rechtmäßig festgenommen wurde, ist es eine der Aufgaben der Polizeibeamten, mit Handfesseln eine „Schließung“ vorzunehmen. Und in dem gegenständlichen Video habe sich der am Boden Liegende auch gegen die sogenannte Schließung gewehrt - „Fauststöße“, wie im Video zu sehen, seien in puncto Anwendung von Körperkraft „eine Möglichkeit, ein Mittel“, das müsse aber der Situation angemessen und verhältnismäßig sein. Das gelte es nun seitens der Staatsanwaltschaft zu prüfen, so Lepuschitz. Wie berichtet, wurde der betreffende Polizeibeamte vorerst in den Innendienst versetzt.

Auch die umstehenden Beamten, die sich mit dem Rücken zur Szenerie drehten - gemutmaßt wurde unter anderem, sie würden „bewusst wegsehen“ -, wurden thematisiert. Das sei „Teil ihrer Aufgabenstellung“, so der Vizepräsident weiter. „Wenn es bei einem Einsatz zu einer Festnahme kommt“, kümmere sich ein Teil des Teams um die Festnahme, ein weiteres Team sichere die Amtshandlung. So hätten die Polizisten Sicht auf die Aktivisten und könnten in der Folge mögliche weitere Eskalationen vermeiden.

Neues Video, neue Perspektive
Dienstagnacht tauchte dann jedoch ein weiteres Video im Internet auf, das den Vorfall mit dem von einem Polizeiauto beinahe überrollten Demonstranten aus einer anderen Perspektive zeigt. Wie Lepuschitz erklärte, bekomme eine derartige Veranstaltung eine Eigendynamik. „Polizisten können sich nicht aussuchen, wo sie die Person festnehmen.“ Womöglich aber gar Vorsatz oder Absicht zu unterstellen, wies Lepuschitz entschieden zurück: „Bitte unterstellen Sie keinem Polizisten oder keiner Polizistin, absichtlich jemanden mit dem Kopf unter einen Funkwagen zu legen“, appellierte er.

„Das darf nicht passieren“
Dass der Kopf des Demonstranten in diesem Fall teils unter dem Fahrzeug und gefährlich nahe am Reifen des Polizeiautos zu liegen kam, sei ein „Zusammenkommen ganz unglücklicher Umstände, dass in dem Augenblick der Funkwagenfahrer einen Einsatz bekommt und wegfährt. Das war zwischen denen sicher nicht abgesprochen“, so Lepuschitz. Dennoch: „Ich räume ein: Das darf nicht passieren.“ 
Auch die Wiener Polizei hatte Mittwoch früh bereits auf das neue Video reagiert und von einer „gefährlichen Situation“ gesprochen.

Bodycams bei Demo wenig geeignet
Dass der Einsatz von Polizei-Bodycams womöglich den Ablauf dokumentieren hätte können, sah Lepuschitz eher kritisch. So seien Bodycams im Routineeinsatz vorgesehen, „wo eine gewaltbereite Amtshandlung erwartet wird“, erklärte er. Auch müsse der Einsatz vorab angekündigt werden. Der Nachteil der Aufnahmen sei, dass sie nur das „Gesichtsfeld des Polizisten“ zeigten, also im übertragenen Sinne seine Sicht der Dinge. Die Umgebung jedoch werde nicht eingefangen, das Videomaterial biete daher eine schlechtere Perspektive auf die Gesamtsituation.

Das von einem Unbeteiligten aufgenommene Videomaterial der Fausthiebe gegen einen Demonstranten bzw. der davon veröffentlichte Ausschnitt erweckten einen „fürchterlichen Eindruck“, wie Lepuschitz zugab. Nun ist jedenfalls die Staatsanwaltschaft am Zug, die Vorfälle vom Freitag weiter zu prüfen und in der Folge Maßnahmen zu setzen.

Demo gegen Polizeigewalt
Die Wiener Polizei steht indes weiter auf dem Prüfstand: Am Donnerstag findet bereits die nächste Demonstration in der Bundeshaupstadt statt. Und diesmal geht es nicht ums Klima - sondern um Polizeigewalt. Die Versammlung wurde für rund 1000 Teilnehmer angemeldet, die Exekutive wird mit 490 Beamten im Einsatz sein. Es kann zu massiven Verkehrsbeeinträchtigungen kommen, warnte die Polizei am Mittwoch.

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