Es war Notwehr

Freispruch für 17-Jährigen von versuchtem Mord

Österreich
15.03.2018 18:15

Ein 17 Jahre alter Bursch, der am 20. Oktober 2017 vor einem Billard-Lokal in Wien-Favoriten nach einem Streit einen 16-Jährigen niedergestochen und lebensgefährlich verletzt hatte, ist am Donnerstag am Landesgericht vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen worden. Die Geschworenen billigten dem Angeklagten mit 7:1 Stimmen zu, in Notwehr gehandelt zu haben.

Dieser hatte seinem Kontrahenten mit einem Springmesser acht bis zehn Stich- und Schnittwunden im Kopf-, Hals-, Bauch- und Brustbereich zugefügt. Das Opfer überlebte mit viel Glück und dank rascher ärztlicher Hilfe. Der Freispruch ist bereits rechtskräftig. Die Staatsanwältin verzichtete auf Rechtsmittel.

Opfer ist Kampfsportler
Der 17-Jährige, der unmittelbar nach der Verhandlung enthaftet wurde, bedankte sich artig beim Gericht, während seine im Publikum anwesenden Eltern und sein jüngerer Bruder Tränen der Erleichterung vergossen und Verteidiger Robert Baum um den Hals fielen. Dieser hatte den 16-Jährigen in der Verhandlung als Kampfsportler überführt, nachdem der sich im Zeugenstand zunächst als Klavierspieler bezeichnet und versichert hatte, er habe nichts mit Boxen am Hut.

Zwischen den beiden Jugendlichen, die einander bis dahin nicht gekannt hatten, war es - wie berichtet - in dem Lokal aus nichtigem Anlass zu einem Streit gekommen. Als der Ältere das Lokal verließ, folgte ihm der andere. In einer Sackgasse entwickelte sich aus einer Stänkerei eine Schubserei. Plötzlich hatte der 17-Jährige eine Waffe in der Hand und machte davon Gebrauch. Ein Schnitt durchtrennte dem 16-Jährigen die Luftröhre, ein Stich unterhalb des Rippenbogens eröffnete den Bauchraum und verletzte die Leber, ein weiterer unterhalb der Achsel eröffnete die Brusthöhle. Während der Verletzte zusammenbrach, ergriff der Täter die Flucht.

Not-Operation und künstliches Koma
Der 16-Jährige kam mit dem Leben davon, weil sein Begleiter, mit dem er an jenem Abend unterwegs war, unverzüglich die Rettung verständigte. Der Bursch wurde notoperiert, musste ins künstliche Koma versetzt werden und verbrachte in weiterer Folge sechs Tage auf der Intensivstation. Der Verdächtige stellte sich eine Woche später freiwillig der Polizei.

„Blind hingestochen“
Der schmale, nicht besonders große Angeklagte behauptete in der Verhandlung, er habe sich schon im Lokal vor seinem Gegner gefürchtet und sei deshalb nach draußen gegangen. Dieser sei ihm nachgegangen, habe ihn zum Stehenbleiben aufgefordert, ihn schließlich eingeholt, zu Boden geworfen und sei dann auf ihn gesprungen. Dabei habe der 16-Jährige ihm den Daumen gebrochen. Der andere Bursch habe sich dann auch noch auf ihn gesetzt und ihn verprügelt: „Er hat mich geschlagen wie ein Kämpfer. Vor meinem Auge war alles schwarz, ich konnte nichts mehr sehen.“ Da habe er das Messer aus seiner Hosentasche genommen und „blind hingestochen“.

Für den Verteidiger war der Griff zum Messer „das letzte Mittel zur Abwehr“. „Ich wollte nur, dass er weggeht“, pflichtete der Angeklagte bei. Er habe schon gespürt, „dass ich ihn verletzt habe. Ich wusste nicht, wie schwer ich ihn verletzt habe.“ Er sei dann in Panik nach Hause gelaufen, wo er seinen Eltern vom Vorfall berichtete. Die gesamte Familie begab sich aus Angst vor einer möglichen Revanche der Angehörigen des Verletzten für eine Woche in die Niederlande, ehe sich der 17-Jährige auf den Rat seines Anwalts hin der Polizei in Wien stellte.

Lüge vor Gericht über Kampfsport-Leidenschaft
Der 16-Jährige erzählte einen ganz anderen Tatablauf: Der Angeklagte habe ihn aufgefordert, mit ihm nach draußen zu gehen. Dort sei dieser sofort aggressiv geworden und habe zugestochen. Er selbst habe nichts gemacht und zuerst nur einen Schlag gespürt. Das Messer habe er zunächst gar nicht bemerkt. Die Frage von Richterin Beate Matschnig, ob er Boxer sei, verneinte der Zeuge: „Ich spiel Klavier.“ In sportlicher Hinsicht trainiere er in einem Fitnessstudio.

Der Verteidiger legte dem Zeugen allerdings Fotos vor, auf denen der 16-Jährige als MMA (Mixed Martial Arts)-Kämpfer zu sehen ist. Ende Mai 2017 war er sogar in den Ring gestiegen und hatte sich an einer sogenannten Fight Night beteiligt. Auf seinem Facebook-Profil ist ein Foto zu sehen, das den 16-Jährigen in Siegerpose im Ring zeigt. Laut Facebook trägt der Jugendliche den Spitznamen „Gladiator“.

Damit konfrontiert, rückte der Zeuge von seinen ursprünglichen Angaben zumindest ein bisschen ab. Es könne sein, dass er „zur Abwehr“ mit den Fäusten um sich geschlagen habe, räumte er nun ein. Zu Beginn des Disputs habe auch er „hingeprügelt“, gab er zu. Der 16-Jährige betonte aber, er sei „kein Profiboxer“ und habe den Angeklagten „sicher nicht“ zu Boden gebracht.

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