Das freie Wort

Der Neubau eines sicheren Zuhauses beginnt

Die jüngste Neuaufstellung des SOS-Kinderdorf-Aufsichtsrats – mit Friedrich Santner an der Spitze – markiert einen Wendepunkt im Missbrauchsskandal, der nicht nur organisatorisch, sondern auch symbolisch Bedeutung hat. Santner ist selbst im Kinderdorf aufgewachsen. Dass ausgerechnet jemand, der die Stärken und die Bruchstellen des Systems aus eigener Erfahrung kennt, nun die Aufarbeitung verantwortet, ist mehr als ein personelles Signal. Es ist ein strategisch kluger Schritt: Jede Reform gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn jene, die betroffen waren, in die Verantwortung geholt werden. Und: Die neue Zusammensetzung des Gremiums – Fachleute für Traumafolgen, Kindeswohl, Recht und Jugendhilfe – zeigt endlich jene Ernsthaftigkeit, die in den vergangenen Jahren oft fehlte. Zynisch könnte man sagen: Es brauchte erst 991 Seiten eines Geheimberichts, damit ein jahrzehntelanges Wegschauen endet. Doch es wäre zu einfach, hier nur mit dem Finger auf „die Organisation“ zu zeigen. Ein Skandal dieser Größe entsteht nie im luftleeren Raum. Er entsteht auch in einem gesellschaftlichen Klima, das Vertrauen schnell vergibt, aber Kontrolle ungern einfordert. In einer Medienwelt, die Empörung mit Klicks belohnt – und doch viel seltener dieselbe Energie aufbringt, wenn es um konstruktive Neubeginne geht. Gerade deshalb sollten wir die aktuellen Reformen mit der gleichen Aufmerksamkeit begleiten, mit der wir zuvor den moralischen Zusammenbruch kommentiert haben. Denn Kinder, die in einem SOS-Kinderdorf leben, haben nicht die Wahl, ob sie Teil dieses Systems sein wollen. Aber wir als Gesellschaft haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass dieses System wieder hält, was es verspricht: Schutz, Geborgenheit und Zukunft. Es wäre ein großer Gewinn, wenn wir die nächsten Wochen und Monate nicht nur damit verbringen, die Vergangenheit zu sezieren, sondern auch den Mut zum Wiederaufbau zu würdigen. Die Verantwortung bleibt riesig – aber die Chance, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, ist es auch.

John Patrick Platzer, Viktring

Erschienen am Sa, 22.11.2025

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