Der Godzillator

Nissan GT-R: So beißt und packt der neue

Motor
23.09.2016 21:21

"Au!" - "Hat er dich gebissen?", fragt mich mein Beifahrer. "Ja, Godzilla hat mich allen Ernstes gebissen!" Es ist wohl wie bei einer Katze, die man versucht am Bauch zu streicheln. Auch keine gute Idee. Beim Nissan waren es die beiden Hebel für die Lenkradverstellung, die man im Plastikdickicht ertastet - und die unerbittlich zuschnappen, wenn man nicht aufpasst. Da muss man durch, denn der nochmals verschärfte japanische Vollstrecker verlangt eine ideale Lenkradposition. Seine brachiale Leistung will schließlich gezähmt und in pure Lust übersetzt werden.

(Bild: kmm)

Mittlerweile sind es 570 PS und 637 Nm (Vorgänger 550 PS und 632 Nm), mit denen der Supersportler über alle vier Räder ebenso herfällt wie über die Gesichtsmuskeln des Fahrers und dessen Adrenlinpumpe. Nissan hat die Motorpower des 3,8-Liter-Twin-Turbo-V6 seit dem Erscheinen der dritten GT-R-Generation im Jahr 2007 Schritt für Schritt erhöht, allerdings muss man sie sich immer weniger hart erarbeiten.

So wurde Godzilla über die Jahre vom Dinosaurier für Hartgesottene zum seriösen Sportler auch für weniger Leidenswillige, das Fahrwerk ist jetzt schon beinahe komfortabel. Jedenfalls, bis man mit dem mittleren Hebel der scharfen Dreifaltigkeit in der Mittelkonsole die sportliche Dämpferabstimmung aktiviert. Das macht Godzilla zum Godzillator.

Für die Testfahrten in der Eifel rund um den Nürburgring (ja, nur rundherum, auf die Strecke konnten wir nicht) hat uns Nissan "Mentos" ins Auto gelegt. Das sind die Minz-Kaubonbons, die so in den Zähnen kleben. Was ich als subtilen Hinweis darauf deute, wie der GT-R auf der Straße pickt. Dass auch Fisherman's Friends dabei waren, erklärt sich wohl aus dem berühmten "sind sie zu stark, bist du zu schwach".

Der Nissan GT-R ist in seiner neuesten Version erwachsen geworden, bzw. spricht eine erwachsenere Klientel an. Dazu gehört, dass der Innenraum jetzt eher dem sechsstelligen Kaufpreis entspricht als bisher. Alles ist mit handvernähtem Nappaleder bespannt, was zwar nicht gut fürs Gewicht ist, aber fürs Ambiente. Das Carbon-Look-Plastik der Mittelkonsole ist Geschmackssache. In Sachen Bedienung wurde kräftig aufgeräumt, es gibt nur noch elf statt 27 Knöpfe, dazu einen "Commander"-Drehknopf und einen auf 8 Zoll vergrößerter Touchscreen.

Hier kann man sich auch Fahrzeuginfos wie Kühlmittel-, Motoröl- und Getriebeöltemperatur, Motoröl- und Getriebeöldruck, Ladedruck etc., zusammengestellt zu einem individuellen Set, anzeigen lassen. Rechts unterhalb des Lenkrades (wo andere das Zündschloss haben) befindet sich eine 12-Volt-Buchse für den Anschluss einer GPS-Box. Alles cool, nur das Navi wirkt noch immer gestrig. Trotzdem kann man im Interieur schon von einem Quantensprung sprechen.

Neu ist, dass die Schalpaddles jetzt nicht mehr an der Lenksäule, sondern am Lenkrad befestigt sind, das zudem samt seinen Bedienelementen deutlich hochwertiger wirkt als früher.

Die Sitzposition ist hervorragend, auch für größere Fahrer, auch wenn der Recaro-Sitz am Hintern etwas eng ist und auch eine Spur mehr Seitenhalt geben könnte Carbonschalen gibt es mit Nismo- oder Track-Edition-Version). Das Lenkrad wird, wie erwähnt, vertikal und axial mit zwei dezidierten Hebeln verstellt, der vertikalen Bewegung folgt auch das Kombiinstrument.

Geänderte Optik, aber kein Firlefanz
Auch optisch wurde der Nissan GT-R verändert, aber der Hersteller schwört Stein und Bein, dass nichts aus optischen Gründen passiert ist. Der 20% größere Kühlergrill sorgt für bessere Kühlluftzufuhr, die geänderte Motorhaube bringt mehr Abtrieb bei höheren Geschwindigkeiten. Der Heckabschluss entspricht jetzt dem der Nismo-Version, weil sich gezeigt hat, dass dadurch die Luftströmung verbessert wird. Aus dem gleichen Grund wird nun auch auf den Karosseriefalz verzichtet, der sich bisher seitlich in die C-Säule hineingezogen hat. Auch die seitliche Luftführung ab dem Frontsplitter (Vorsicht vor Randsteinen!) wurde optimiert. Insgesamt wird dadurch der Geradeauslauf verbessert.

Da klappert nix!
Wer zum ersten Mal in einem Nissan GT-R sitzt, dem wird am Doppelkupplungsgetriebe nichts auffallen, außer dass es nur sechs Gänge hat. Alte GT-R-Hasen stellen fest, dass es keine auffälligen mechanischen Geräusche von sich gibt, nur noch manchmal ein bisschen, etwa beim Anhalten. Das liegt daran, dass man das Getriebe nun exakter fertigt, mit geringerem Spiel.

Für Geräusche - oder sagen wir lieber für den Sound - ist der serienmäßige Titan-Sportauspuff zuständig, dessen Klappe sich mit dem linken Spaßschalter in der Mittelkonsole öffnen lässt. Über das Bose-Soundsystem werden zudem störende Geräusche per Noise Cancellation gedämpft, aber nichts künstlich zugespielt. Für den nachbarschaftskompatiblen Start am Morgen drücken Gentlemen einen Extra-Knopf links unterhalb vom Lenkrad, wodurch das Geräusch um 10 dB gesenkt werden soll.

Und so fährt er sich
Zuallererst fährt dich der Nissan GT-R wirklich geschmeidig. Die Leistung setzt sauber ein, bei 3300/min. liegt das maximale Drehmoment an und bleibt bis knapp 6000/min. erhalten. Zu keinem Zeitpunkt fühlt man sich überfordert oder unwohl, denn Godzilla schiebt zwar unfassbar an, ist dabei aber so transparent, dass man immer den Eindruck hat, Herr der Lage zu sein und zu spüren, was das Fahrzeug macht. Und dann ist da ja auch noch der Allradantrieb, der bei Bedarf blitzschnell 50% der Kraft auf die Vorderräder schickt. Trotzdem muss man schon genau wissen, worum es geht, wenn man das ESP abschaltet. Im verschärften Modus hingegen fängt der GT-R sein Heck selbsttätig wieder ein, bevor es ganz kritisch wird.

Die elektrische Servolenkung ist ein wenig leichtgängig und es ist unverständlich, warum sich nicht mit dem Modus-Schalter der Lenkwiderstand erhöhen lässt. Trotzdem vermittelt sie ein sehr unmittelbares Gefühl für die Straße. Die Gangwechsel passieren sanft, aber zügig. Dass ich im sechsten Gang immer wieder raufschalten will, liegt daran, dass ich meist schneller unterwegs bin, als ich glaube. Vor allem auf der Landstraße muss ich mich richtig zwingen, mich einigermaßen an die Limits zu halten. Kein Wunder, wo der Hunderter schon nach knapp drei Sekunden erreicht ist.

Beim Bremsen darf man nicht aus den Augen lassen, dass der Nissan 1750 kg auf die Waage bringt, ohne Fahrer. Carbon-Keramik-Bremsen werden aber nur in Japan angeboten. Immerhin sind die Scheiben hinter den 20-Zöllern 390/380 mm groß (vorn/hinten).

Unterm Strich
Nach zehn Jahren Bauzeit ist die aktuelle Version nun wohl als absolut ausgereift zu bezeichnen. So alltagstauglich war noch kein GT-R, aber auch so geschmeidig brachial. Mit 315 Liter Fassungsvermögen passt das Gepäck für den Ausflug zum Track Day auf der Nordschleife ebenso in den Kofferraum wie die Reisetaschen für den Wochenendtrip des tempoaffinen Pärchens (es ist reiner Zufall, dass auch der Top Speed 315 km/h beträgt). Und im Schwiegermuttermodus bleibt auch der Familienfrieden erhalten (solange man niemanden auf die Rücksitze zwingt). Demnächst kommt auch die noch sportlichere Nismo-Version, die Track Edition als Bindeglied zwischen den beiden kann man schon bestellen. Dafür sollte man sich dann aber ein Abo für eine Rundstrecke zulegen.

Der Preis ist im Vergleich zur Konkurrenz eine absolute Okkasion, obwohl 124.750 Euro natürlich eine Stange Geld sind (32% NoVA!). Aber für einen Porsche 911 Turbo darf man 90.000 Euro drauflegen, für den S sogar 120.000 Euro.

Der Nissan GT-R hat mich also gebissen - aber vor allem hat er mich mit der Summe seiner Eigenschaften echt gepackt!

Warum?

  • So viel Spaß fürs Geld gibt es selten
  • Gereift und daher uneingeschränkt angenehm zu fahren

Warum nicht?

  • Das Prestige eines Porscp>
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(Bild: kmm)



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