14.04.2015 18:27 |

Selbstversuch

Blind durch das Einkaufszentrum gehen

Frauen lieben Einkaufen: Zweifelsohne lasse ich mich in das Klischee einordnen. Doch wie es sich für Sehbehinderte anfühlt, sich durch Geschäfte zu bewegen und nach dem Passenden zu suchen, wusste ich nicht: Als "Krone"-Redakteurin habe ich auf Einladung des Blindenverbandes den Selbstversuch gewagt.
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Montagvormittag im Europark: Ich fühle mich wie in einer Disko, nachdem ich die Simulationsbrille aufgesetzt habe, die meine Sehstärke auf einen Schlag auf zehn Prozent verringert. Schriftzeichen zu lesen, ist fortan ein Ding der Unmöglichkeit. Ich stehe vor dem "Hervis". Darauf tippe ich, weil Farben durchaus erkennbar sind, vor allem das Rot des Sportgeschäfts. Das helle Licht blendet mich. Der Rest bleibt verschwommen. Unsicherheit macht sich breit. Aus Reflex halte ich beim Gehen schützend meine Hände vor den Körper, habe Angst, irgendwo dagegen zu laufen. Ein passendes T-Shirt zu finden, ist ohne fremde Hilfe nicht möglich. Ich bemerke, wie sich mein Gehörsinn verschärft. Plötzlich nehme ich Schritte und Stimmen intensiver wahr. Ich bin froh, einen Begleiter wie Markus Sturm (78) an meiner Seite zu haben und lasse mich von ihm führen. Bei ihm fühle ich mich sicher.

"Ich muss unseren Einkaufsbummel kurz für einen Gang auf die Toilette unterbrechen", sagt der Herr neben mir, dem ich die ganze Zeit meine Hand auf die Schulter gelegt habe, um mich selbst zu schützen. Wir gehen aus dem Geschäft. "Sind wir hier richtig?", fragt er mich. Ich blicke nach oben. Grüne Kreise erkenne ich, mehr nicht. "Ich glaube schon. Sehen Sie weniger als ich?"

Schicksalsschlag, der sein Leben abrupt veränderte
Ja, das tut Markus Sturm. Er hat vor sechs Jahren sein Augenlicht verloren. Auf einem Auge sieht er nur noch fünf Prozent, auf dem anderen acht. "Ich bin in Gran Canaria in der Sonne eingeschlafen. Als ich aufgewacht bin, habe ich nichts mehr gesehen", erzählt er mir. Diagnose: Blutende Makula – eine Erkrankung der Stelle des schärfsten Sehens. Der Salzburger liebte es, zu lesen. Ohne Lesegerät ist ihm sein Hobby nicht mehr möglich. Anfangs war sein Sehverlust ein gewaltiger Schock für ihn und er fiel in eine sechs-monatige Depression. Heute, sagt er, gibt es schlimmeres. Ebenso wie mich blenden ihn die Lichter, weshalb er eine gelbe Brille trägt, die das blaue Spektrum wegschirmt und sich dadurch der Blendeffekt verringert. Fast blind zu sein ist für ihn ein gutes Gehirn-Training: "Ich merke mir Orientierungspunkte oder behalte Dinge im Kopf, die man als Sehender gar nicht beobachtet. Oft sagt meine Frau Angela , schau, da!’, dann muss ich lachen." Durch die Aktion "Blind durch den Europark" vom Blinden- und Sehbehindertenverband habe ich an Erfahrung gewonnen. Beneidenswert, wie gut Sturm mit seinem Schicksal umgehen gelernt hat und den Alltag meistert. Gestürzt ist er bis jetzt noch nie.

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