„Krone“-Buch-Rezension

Lionel Richie: König der Faserschmeichler-Songs

Musik
08.12.2025 06:00

Er schrieb Hymnen für die Ewigkeit, hatte gleich zwei unvergleichliche Weltkarrieren und seine Popularität litt auch nicht unter längeren Auszeiten: Lionel Richie gehört zu den größten Songwritern und Sängern aller Zeiten. In seiner Autobiografie „Truly“ (Reclam) rekapituliert er sein einzigartiges Leben – mit wenigen Längen und meist durchaus spannend und kurzweilig.

kmm

Unter den noch lebenden Musikern gibt es nur noch ein paar Handvoll, die man getrost als absolute, unumstößliche Legenden bezeichnen darf. Dazu zählt auf jeden Fall Schmusebarde Lionel Richie, der zuerst als Mitglied der legendären Commodores und ab den frühen 80er-Jahren auch solo einen Hit-Song nach dem anderen schrieb und den Terminus „Erfolg“ noch einmal völlig neu definierte. Der mittlerweile 76-Jährige ließ sich für seine Lebensrückschau ganz schön viel Zeit, hatte sich über die letzten Jahre hinweg aber doch durchgerungen, seine einzigartige Geschichte nachzuerzählen. Da ihm das Lektorat anfangs gar nicht glaubte, dass die Geschichten in seiner Autobiografie „Truly“ alle wahr sein sollten, wollte sich der humorige Künstler schon einen Scherz machen und das Buch „Liar, Liar, Liar“ nennen, wie er der „New York Times“ in einem der wenigen Interviews selig erklärte, am Ende war ihm der Schmäh wohl doch zu wagemutig. Es ist anzunehmen, dass auch der Verlag sein – berechtigtes - Veto dagegen eingelegt hat.

Prioritäten in der Vergangenheit gesetzt
Umso geeigneter daher die Bezeichnung „Truly“, die nicht zufällig denselben Namen trägt wie seine 1982er-Erfolgssingle, die ihm eine Solokarriere bescheren würde, an die er nicht in seinen kühnsten Träumen gedacht hätte. Von den mehr als 500 Seiten des wuchtigen, aber zumeist kurzweiligen Schmökers befassen sich fast 400 mit der ersten Hälfte seines Lebens, wodurch die inhaltliche Gewichtung keine Zweifel offenlässt, wo in der nostalgischen Rückreise die Prioritäten gesetzt sind. Besonders interessant sind – wie immer bei derartigen Büchern - weniger die Auflistungen allzu großer Erfolge, als die Offenlegung der Gründe und Inspirationen, die erfolgreiche Menschen schlussendlich erfolgreich machen. Im Fall von Richie reisen wir etwa weit zurück in die 50er-Jahre seiner alten Heimat Tuskegee in Alabama, wo Rassismus und gegenseitige Ressentiments noch üblich waren.

Richie wächst in einer finanziell stabilen Mittelklassefamilie auf, ist aber nicht davor gefeit, schon als kleiner Junge diffamiert zu werden. Detailliert gibt er Einblicke in Wesen und Charakter der einzelnen Familienmitglieder, welche Stärken und Schwächen er von ihnen übernommen oder geerbt hat und wie ihn das für seine musikalische Karriere prägte. Es geht viel um die inneren und internen Hürden, die er als naturgemäß schüchterner Mensch mit einer Überdosis ADHS durchtauchen musste, um sich sein Leben so richten zu können, wie er es immer für richtig hielt. Besonders eindrucksvoll gerät etwa das ausgebreitete Karrierekapitel über die legendäre Soul-Combo The Commodores. Wie man untereinander aus Freundschaft heraus eine Karriere bildete, sogar direkt in der Nachbarschaft angrenzende Häuser kaufte, mit den legendären Jackson 5 tourte, aber jahrelang erfolglos blieb, bis man – durch Richies Songwriting-Gabe – Mitte der 70er-Jahre endlich durchstartete.

Schwere Entscheidungen
Mit weltbekannten Faserschmeichlern wie „Easy“, „Three Times A Lady“ oder „Still“ sorgte Richie fast im Alleingang dafür, dass er und seine Kumpels Ende der 70er-Jahre kurzzeitig die Soul- und R&B-Welt beherrschen würden. Auf der Reise mit seiner Band bekommt man im Buch ein gutes Gespür für die damalige Musikindustrie rund um Motown und wie sich Geschäftliches schon früh in das Kreative mischte. Ab 1982 startete Richie eine noch erfolgreichere Solokarriere, für die er nicht nur seine Band, sondern auch langjährige Freund- und Seilschaften opferte. Man merkt beim Lesen immer wieder, wie schwer ihm die Entscheidung fiel, die er lange vor sich herschob, obwohl sie berufstechnisch immer unvermeidlich war. Der Name seines 1983 erschienenen, zweiten Soloalbums „Can’t Slow Down“ sollte in weiterer Folge programmatisch werden. Mit Fortdauer der Jahre wird Lionel bewusst, dass der größte Preis für ein ständiges Leben auf der Überholspur das permanente Verpassen der Gegenwart ist.

Programmatisch ist etwa die Megaproduktion „We Are The World“, die ihn 1985 neben Michael Jackson kurzzeitig zum größten Popstar der Welt macht und eine Zäsur in seinem Leben einleitet. Der Frauen nicht abgeneigte und im Privatleben ständig Probleme habende Womanizer will seine Position in der Welt fortan für gute Dinge nützen. Nach dem Topseller „Dancing On The Ceiling“ 1986 endet Richies fruchtigste Songwritingphase. Von dort weg geht er im vielleicht besten Teil des Buches offen mit seinen Depressionen und der Ohnmacht einer sich rasant verändernden Musikindustrie gegenüber um. Der Barde ist sich dabei nicht zu fein, auch die dunklen Seiten seines Lebens offenzulegen, sich nachträglich bei den alten Kollegen der Commodores zu entschuldigen und Verfehlungen zuzugeben. Jedenfalls hallen diese Passagen stärker nach als das obligatorische Name-Dropping und Seitengeschichten wie etwa jene von Papst Johannes Paul II. oder Anti-Apartheidskämpfer Nelson Mandela, die in Richie und seiner Musik angeblich ein Stück Weltfrieden verortet sahen.

Müffelnder Weltstar
Abseits dieser partiellen Ego-Sprünge und langatmigen Abhandlungen seiner Ehekrisen und Verliebtheitsanfälle ist „Truly“ aber eine gut zusammengefasste und in vielen Bereichen spannende Reise durch ein Leben, das eigentlich nicht für eine solche Karriere bestimmt war und sich allen temporären Rückschlägen und Widrigkeiten zum Trotz deutlich mehr richtig als falsch gemacht hat. Besondere Schmankerl sind jene Passagen, die einem nachhaltig in Erinnerung bleiben, weil sie auf Details eingehen oder Dinge ins Licht befördern, von denen man bislang wenig bis nichts wusste. Etwa dass Megastar Michael Jackson privat wenig Lust auf Kleidungswechsel und die tägliche Dusche besaß, Richie sein Seelenheil seit geraumer Zeit beim Heckenschneiden in seinem Garten findet oder er jahrzehntelang damit haderte, zwar stets zu den größten und kommerziell erfolgreichsten Künstlern zu gehören, im Vergleich dazu aber wenige Grammys gewonnen zu haben. Derlei Ausritte und Unangepasstheiten machen auch überdimensionale Superstars menschlich und nahbar. „Truly“ ist kein Meisterwerk, reiht sich aber gut in die Riege der gelungenen Musikerwerkschauen ein.

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