„Krone“-Interview

Asaf Avidan: „Ich bin exhibitionistisch veranlagt“

Kultur
05.12.2025 06:00

Sein Hit „One Day/Reckoning Song“ katapultierte ihn 2012 auf Platz eins der deutschen, österreichischen und schweizerischen Charts. Der Mann mit der hohen, rauen Stimme: Asaf Avidan. Im Interview mit der „Krone“ erzählt er von seinen Anfängen, seiner verletzlichen Kunst, seiner zweiten Leidenschaft neben der Musik – und davon, worauf er sich am 5. Dezember in Wien am meisten freut.

„One day, baby, we‘ll be old, oh baby, we’ll be old“ – genau so lautet der Chorus, der dem israelischen Sänger Asaf Avidan 2012 zum kommerziellen Durchbruch verhalf. Der Song, den er bereits sechs Jahre zuvor mit seiner damaligen Band „The Mojos“ veröffentlicht hatte, katapultierte ihn dank des Wankelmut-Remixes später auf Platz eins der Charts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wegen seiner rauen und unverkennbaren Stimme wird er oft als männliches Pendant zu Janis Joplin bezeichnet.

Im Interview zeigt sich der heute 45-Jährige melancholisch, aber erstaunlich redselig. „Ich glaube, ich gehöre zu den wenigen Künstlern, die PR-Arbeit wirklich genießen, denn ich rede gerne über Musik, Kunst und Philosophie“, erzählt er gleich zu Beginn. Und auch wenn Avidan seit zwei Jahrzehnten im Musikbusiness steht und unzählige Gespräche geführt hat, ist seine aktuelle Stimmung alles andere als leicht. 
„Ich möchte sagen: Mir geht’s großartig, aber das wäre nicht ehrlich. Wenn ich dir eine ehrliche Antwort geben muss – Ich fühle mich wie der Titel meines letzten Albums – ‘Unfurl‘ (entfaltet). Ich habe das Gefühl, dass in den letzten Jahren etwas in mir berührt oder aufgebrochen wurde. Es gibt diese Barriere zwischen Bewusstsein, Unterbewusstsein, dem Selbst und dem Unendlichen – wie immer man es nennen möchte. Und durch die Arbeit an meiner Musik habe ich das Gefühl, dass diese Barriere dünner geworden ist.“

Zwischen Kultur und dem Synchronsprechen
Doch was bedeutet das für seine Kunst? Für Avidan ist Musik weit mehr als Unterhaltung – sie ist ein kulturelles Werkzeug, um innere Zustände sichtbar zu machen. Da passt es, dass der Sänger selbst von einer Kindheit erzählt, die voller kultureller Brüche war. Avidan wurde in Jerusalem geboren, lebte in Israel, Jamaika und verschiedenen Teilen Europas. Wie diese Orte seine Musik geprägt haben? „Als Kind von diplomatischen Eltern bin ich ständig umgezogen. Das hatte zwei Effekte: Erstens ist mir ,Wurzeln schlagen‘ fremd. Ich sehne mich danach, aber ich weiß nicht wirklich, wie man starke Wurzeln bildet. Ich schlage Wurzeln, reiße sie wieder aus und ziehe weiter. Das ist einfach eine Fortsetzung meines Lebens als Kind. Und zweitens: Wenn man in verschiedenen Ländern, Kulturen, Sprachen, Ethnien und Religionen aufwächst, sieht man die Welt anders. Meine Songs sind eine Collage aus Genres ohne Grenzen.“

Auch wenn er sich heute ein Leben ohne seine offenen, ehrlichen Tracks nicht mehr vorstellen kann, war dieser Weg nicht immer vorgezeichnet. „Ich habe das nicht geplant, denn ich habe eigentlich Film und Animation studiert und war danach 13 Jahre lang Synchronsprecher. Ich habe es geliebt, doch der Job hat meine Stimme kaputt gemacht.“

Sieben Fakten über Asaf Avidan

  • Meine Stimme in drei Worten:
    Werkzeug zum Freilegen
  • Israel ist für mich:
    Der Ort, an dem ich geboren wurde.
  • Ein Mensch, der mich musikalisch geprägt hat:
    Mein großer Bruder.
  • Vor einem Konzert brauche ich unbedingt:
    Einen Drink
  • In fünf Jahren möchte ich:
    Noch immer hier.
  • Eurovision schauen oder Eurovision ignorieren:
    Ignorieren
  • Ein Geräusch, das ich liebe:
    Fließendes Wasser.
  • Mein Lebensmotto:
    Hab keine Angst

Der Schritt zur Musik kam erst in seinen späten 20ern - ausgelöst durch einen persönlichen Umbruch. „Meine damalige Beziehung ist zerbrochen, und ich war völlig verloren. Ich hatte eine Gitarre, brachte mir vier oder fünf Akkorde bei, schrieb Songs und merkte, wie gut ich meine Gefühle ausdrücken kann. Danach ging alles schnell: Erste EP auf und Auftritte mit meiner Band The Mojos.“

Ein Wiederkäuer und ein Synchronsprecher
Er sagt das, was er gerade denkt und das ist auch in seiner Musik deutlich spürbar. Aber warum ist es ihm so wichtig sich so offen zu präsentieren, seine Verletzlichkeit zu zeigen und ehrlich zu sein? Diese Frage beantwortet er ohne zu zögern: „Für mich ist es die natürlichste Art zu leben. Ich bin exhibitionistisch veranlagt und brauche den Voyeurismus der anderen. Musik ist für mich wie das Wiederkäuen bei einer Kuh: Ich ,spucke‘ meine Emotionen aus, und das Publikum reagiert darauf. Durch diese Rückkopplung verstehe ich mich selbst besser.“

Seine Stimme nutzt er bis heute so vielseitig wie in seiner Synchronsprecher-Karriere. Für ihn gibt es kein „richtig“ oder „falsch“. „Ich habe viel Technisches gelernt, aber das Wichtigste ist: Ich habe durch die Synchronarbeit auch alle Hemmungen verloren. Flüstern, Schreien, verrückte Sounds - all das findet sich in meinen Songs. Auch das Theatralische.“ 
Als er über seine frühere Leidenschaft spricht, leuchten seine Augen – und natürlich wollten wir wissen, ob er den alten Job vermisst. „Ich vermisse es so sehr, dass ich, wenn ich nicht auf Tour bin, mir erlaube, meine Stimme zu ,ruinieren‘.“ Wie kann man sich denn das genau vorstellen? „Meine Freundin und ich lesen uns Fantasy-Romane laut vor, und ich spreche alle Charaktere. Ich liebe das einfach. Ich denke sogar darüber nach, mein nächstes Projekt stärker mit Theater zu verbinden.“

Lieber Wettbewerbskonzept oder ungeteilte Bühne?
Bevor sich der Musiker aber einem möglichen Theaterprojekt widmet, steht noch ein anderes Highlight bevor: sein Auftritt im Wiener Gasometer am 5. Dezember (Tickets noch auf www.oeticket.com). Ein Termin, auf den er schon sehr gespannt ist. Nächstes Jahr findet außerdem in Österreich der Eurovision Song Contest statt, sagen wir nebenbei und wollen gleich wissen: Wie Avidan als israelischer Künstler zum ESC steht.

„Ich mag das Wettbewerbskonzept gar nicht und würde nicht teilnehmen. Aber ich habe nichts gegen Menschen, die es tun. Die Band Måneskin ist durch so ein Format riesig geworden. Aber für mich ist das nichts.“ 
Statt Konkurrenz und Punktesystem schätzt der Sänger die persönliche, ungeteilte Bühne – den Moment, in dem er ganz bei sich und seinem Publikum sein kann. „Ich freue mich also auf mein Konzert in Wien. Ich liebe die Architektur, die Museen, das warmherzige Publikum – aber ich freue mich auch auf etwas ganz anderes“, sagt er grinsend. „Ich habe bei euch die besten veganen Donuts meines Lebens gegessen“, lacht er.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
kein Artikelbild
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Eingeloggt als 
Nicht der richtige User? Logout

Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt