Der deutsche Theaterdirektor Kay Voges verabschiedet sich nach fünf Jahren aus Wien Richtung Schauspiel Köln mit der Festschrift „Fucking Volkstheater“. Im „Krone“-Interview spricht der 53-Jährige über schlechte Starts, ablenkende Deckengemälde und die Schönheit von Komplexität.
„Krone“: Herr Direktor Voges, Sie verabschieden sich mit dem Buch „Fucking Volkstheater“ aus Wien. Warum dieser Titel?
Kay Voges: Es ist eine Rückschau auf fünf Jahre. Bei „Fucking“, da reibt sich der bürgerlich etablierte Name „Volkstheater“ an einem Amerikanismus, der umgangssprachlich voll geile Popkultur mit sich bringt. Das als Marke zu präsentieren, hat natürlich erst mal Kopfschütteln verursacht, aber es hat Türen aufgemacht für Menschen, die sonst der Schauspielkunst fern waren, die gemerkt haben, dieses Volkstheater ist auch für uns – mit Kunstperformances, politischen Debatten, Konzerte, Digital Art und Sprechtheater, wie man es hier an diesem Haus nicht gewohnt war. Die Aufmachung, weg von diesem Sockel der Hochkultur, hat uns Publikum und eine treue Zuschauerschaft gebracht.
Ein Blick zurück auf Ihre Anfangszeit. . .
Man hat wieder fast alles verdrängt, was da in Sachen Corona vor fünf Jahren gewesen war. Schlechter kann man nicht starten, und ich bin unfassbar dankbar, dass wir das hinbekommen haben und uns als künstlerische Stimme in dieser Stadt durchsetzen konnten. Dass die Menschen hier schöne Abende erleben konnten, das macht mich stolz.
Es ist das komplette Gegenteil, was jetzt auf mich wartet: Ein wunderschönes, repräsentatives Haus wird jetzt eingetauscht gegen einen westdeutschen Nachkriegsbau
Der scheidende Volkstheaterdirektor Kay Voges
Sie übernehmen im Herbst das Schauspiel Köln, das noch immer nicht fertig saniert ist.
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne, sagt Hermann Hesse. Es ist eine Menge Arbeit, aber es ist auch die Schönheit, eine Maschine zum Laufen zu bringen und eine Herausforderung, auf die freue ich mich. Es ist das komplette Gegenteil, was jetzt auf mich wartet. Hier stehe ich als Volkstheater neben dem Burgtheater, der Josefstadt, dem Schauspielhaus, aber auch Staatsoper und Volksoper. In Köln wird es ganz anders sein, da sind wir der Big Player der Stadt. Hier hat man ein bürgerliches Volkstheater, das aus der bürgerlichen Emanzipationsbewegung im Kontrast zur Aristokratie gebaut worden ist. Ein wunderschönes, repräsentatives Haus wird jetzt eingetauscht gegen einen westdeutschen Nachkriegsbau, der einen schlichten, klaren Zuschauerraum hat, aber eine gigantische Bühne.
Spielt die Architektur des Hauses eine wichtige Rolle für einen Theatermacher?
Es ist vergleichbar wie der Rahmen für ein Bild: Der barocke Rahmen, den wir hier am Wiener Volkstheater haben, macht vieles schneller subversiv, weil es sich an diesem Pomp reibt. Aber es ist auch nicht ganz einfach, den Fokus zu halten. Denn es gibt wahnsinnig viel Luftraum, den man in Schwingung bringen muss. Dazu glitzert und funkelt es überall noch. Dieser Raum will sich gar nicht mal zurücknehmen und sagen: Konzentriert euch mal auf das, was auf der Bühne ist. Sondern man muss schon ziemlich laut auf der Bühne sein, damit man sich nicht im Deckengemälde verliert oder im Betrachten des Nachbarn, der in der Loge nebenan sitzt.
Sie sind in Wien auch immer wieder durch Ihr aktives politisches Engagement aufgefallen.
Unsere Arbeit hier, Theater und Journalismus zusammenzudenken, ist natürlich ein Reflex zu sagen: Wie machen wir Theater in Zeiten von Fake News, wo die größten Schauspielerinnen und Schauspieler oftmals die Populistinnen und Populisten in autokratischen Regimen sind und wo Geschichten erzählt werden, die sich keine Autorin und kein Autor ausdenken kann. Dem Journalismus und den Fakten eine Bühne zu geben, das war das, was in den letzten fünf Jahren hier öfters passiert ist und was sicher in Köln fortgesetzt wird. Das Theater als Agora, als Ort der ideologiefreien Auseinandersetzung mit der Gegenwart für die gesamte Gesellschaft. Als Ort der Demokratiebildung und der Aufklärung über die Vorgänge der Gegenwart. Das wird in Zeiten des Populismus notwendiger und notwendiger.
Worin sehen Sie den Grund für steigenden Populismus?
Ich glaube, Digitalisierung und Globalisierung haben die Komplexität der Gegenwart nochmal stark erhöht. Ja, die Zusammenhänge sind komplex und wenn man nicht mehr Ambiguitätstoleranz und Widersprüchlichkeit aushalten kann, fängt man an, sich einfache Erzählungen zurechtzulegen. Diese versprechen mit ihren unterkomplexen populistischen Aussagen vielleicht Sicherheit und haben gerade dadurch eine große Sympathie für viele Menschen. Aber wir müssen gerade deswegen im Theater erzählen, dass Komplexität nicht der Feind der Menschheit ist, sondern dass Komplexität eine Schönheit hat, dass Ideologien für unsere Demokratie schädlich sind und dass der manchmal mühsame Weg der Demokratie der Weg für Gerechtigkeit, Gleichheit und Humanismus ist.
Kommentare
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.