Performance-Schocker

Holzingers Frankenstein-Show geht unter die Haut

Kultur
20.06.2025 16:06

„A Year without Summer“ heißt die jüngste, auch mit dem Tanzquartier Wien koproduzierte Arbeit Florentina Holzingers. Als Gastspiel der Berliner Volksbühne wurde die harte, doch packende wie berührende Produktion im Wiener Volkstheater heftig bejubelt. 

Eine Florentina Holzinger Performance anzuschauen, ist wie eine Fahrt in der Hochschaubahn. Man weiß zwar, was einen erwartet, aber je höher, je weiter, je wilder es geht, umso größer ist der Kitzel. Denn dort, wo reguläres (Tanz)-Theater meist aufhört, fängt Holzingers Performance-Können erst richtig an. So auch beim jüngsten Wurf: „A Year without Summer“. Das nächste Fanal lustvoll peinigender Grenzüberschreitungen. 

Ende Mai kam es an der Berliner Volksbühne heraus, jetzt brachte es das Tanzquartier Wien als einer der Koproduktionspartner ins Volkstheater. Florentina Holzinger gibt sich darin vielleicht noch ein wenig extremer, wenn auch deutlich leiser als gewohnt – oder sollte man sagen, altersweise? Denn erstmals stehen den wilden, jungen Performerinnen extra gecastete, bis zu über 80 Jahre alte Frauen zur Seite.

Ausgangspunkt ist 1816, das „Jahr ohne Sonne“, weil ein Vulkanausbruch durch seine ausgeworfene Asche die Sonne verschwinden ließ, und viele Ernteausfälle die Welt in die Krise stürzten. Die 18-jährige Mary Shelley verbrachte diese düster apokalyptische Zeit in Lord Byrons Villa Diodati am Genfer See in gleichgesinnter Gesellschaft, und wurde dabei zu ihrem Frankenstein-Roman inspiriert.

Freud als Schow-Held mit Kastrationsangst
Ursprünglich hatte Holzinger ein Musical angedacht. Geworden ist daraus eine berührende wie krachende, zwischen Humor und Dystopie pendelnde Show über die Endlichkeiten des Lebens und die Kraft von Liebe und Gemeinschaft.

Roboter erobern die Welt, während der Mensch ein Ablaufdatum hat.
Roboter erobern die Welt, während der Mensch ein Ablaufdatum hat.(Bild: Volksbühne Berlin/©Nicole Marianna Wytyczak)

Gleich zu Beginn haben sich alle lieb, von Kuscheln bis hin zu expliziterer Zwischenmenschlichkeit. Bis die Musik losbricht und die Performerinnen aus einer aufgeblasenen Kopie des berühmten Unterleibs von Gustav Courbets Gemälde „Der Ursprung der Welt“ krabbeln. Eine krachend komische Sigmund Freud-Persiflage doziert vertrottelt, fürchtet sich vor der Vagina der Mutter und pflegt seine Kastrationsangst.  

An Gesichtspiercings in die Luft gezogen
Florentina Holzinger setzt ihr Vokabular wieder souverän für ihre mächtig brachialen Performance-Bilder aus streng weiblicher Sicht ein. Wie schon bei früheren Arbeiten, etwa „Ophelia’s Got Talent“ und „Sancta“ gibt es Selbstverletzung, Nacktheit, laute Musik, Tanz, akrobatische Einlagen etc. Mit bedrohlich rebellierenden Roboterhunden wird der KI- und Technik-Wahn angeprangert, anhand einer an frischen Gesichtspiercings in den Bühnenhimmel „gelifteten“ Performerin der Schönheits-Irrsinn.

Schließlich kümmern sich die Jungen in weißen Kitteln um die Alten. Bis sie mit den Windelwechseln nicht mehr nachkommen. Ein Sisyphus-Kampf gegen den Verfall der Körper beginnt, der absurd skurrile Dimensionen erreicht. Es wird gekotet und gekotzt, was das Zeug hält.

Zum Schluss stehen alle mit (Kunst-)Dreck besudelt auf der völlig verschmierten Bühne – und der Schnee rieselt minutenlang auf die sich jetzt wieder umarmenden Gestalten. Bis Frankestein erscheint: Er wird uns alle überleben, sagt er. So viel steht fest. „No End“ heißt es am Ende. 

Warten auf Venedig 2026
Spannend bleibt, womit Florentina Holzinger beim Bespielen des österreichischen Pavillons dann bei der kommenden Kunst-Biennale von Venedig noch eins drauflegen möchte.

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