Fingerspitzengefühl. Mit Zuversicht ins neue Jahr gehen - das hatte einmal Tradition. Doch bei aller Liebe zu Traditionen: Heuer fällt es besonders schwer, mit Optimismus in dieses gerade erst angebrochene Jahr zu stolpern. Die Sorgen, die Ängste der Menschen werden als immer drückender empfunden. Den Journalisten geht es da nicht anders. Wenn dann zu den latenten oder wachsenden Krisen aktuelle hinzukommen, dann färbt sich der Himmel immer tiefer ins Graue bis Schwarze. In Deutschland - wir haben darüber in unserer Wochenendausgabe umfassend berichtet - machen die Proteste sogenannter Wutbauern dicke Schlagzeilen. Sie demonstrieren gegen Kürzungen von bisherigen Privilegien. Negativer Höhepunkt bisher: Im norddeutschen Schlüttsiel wurde der grüne deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck von aufgebrachten Bauern stundenlang daran gehindert, eine Fähre zu verlassen. Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit vergleicht den Wirtschaftsminister mit dem Kapitän aus Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“, dem ein Landgang nur alle sieben Jahre erlaubt ist. Bei Habeck hat es nur ein paar Stunden gedauert… Kurbjuweit schreibt: „Die Proteste von Schlüttsiel stehen nicht für Deutschland, man sollte sie nicht überbewerten. Der Wutbürger in all seinen Ausprägungen ist nicht bedrohlich für die liberale Demokratie, weil er zur Gewalt neigt, zur radikalen Aktion.“ Unangenehmer wirke sich stille Wut aus, „der lautlose Protest, der sich in diesem Jahr an den Wahlurnen zeigen könnte, in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, bei der Europawahl.“ Hohe Prozentzahlen für die AfD wären schlimmer als „Der fliegende Habeck“ auf der Nordsee. Der im Dunkeln auf dem Wasser herumirrende deutsche Wirtschaftsminister stünde, meint der Spiegel-Chef, „symbolisch für den aktuellen Zustand der Koalition: Ihr fehlt der Zugang zu einem gestressten Land, das nach Corona und Inflation keine weiteren Belastungen ertragen will. Politik braucht in diesen Zeiten ein Fingerspitzengefühl, das dieser Regierung leider abgeht.“ Kann man all das, wenn man ein paar Partei- und Ländernamen austauscht, nicht fast wortident auf Österreich umlegen?
Fäuste ballen. Mit der schlechten Laune zu Jahresbeginn, die sich häufig bis zur Wut steigert, beschäftigt sich auch Claus Pándi in seinem Kommentar in der Montags-„Krone“. Dass es uns eh gut ginge und wir auf hohem Niveau jammerten, sei vor allem von Regierungsleuten im Bund und den Bundesländern zu hören. Doch die haben, erinnert unser Autor „wie unlängst zu lesen war, Bruttoeinkommen von 17.000 bis 24.000 Euro im Monat. In der Gehaltsklasse haben die Sorgen ein anderes Gewicht, wenn die Stromrechnungen ins Haus flattern, man ins Spital muss oder die Ausbildung seiner Kinder zu finanzieren hat.“ Um anzufügen: „Woher die Wut kommt, fragen da einige ernsthaft?“ Um sich rhetorisch zu fragen: „Vielleicht kommt der Zorn unter anderem daher: Wenn Namen von früheren Kanzlern wie Gusenbauer, Kurz oder der freiheitlichen Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess auf Benkos Honorarlisten auftauchen?“ Wenn dann auch noch Umweltministerin Gewessler für Fotografen auf ein Windrad kraxelt und dort die rechte Hand triumphierend in den Himmel recke, hebe das die Stimmung auch nicht mehr. Nein, sicher nicht. Und siehe oben beim Kollegen aus Deutschland: Politik braucht in diesen Zeiten Fingerspitzengefühl. Doch was tut die Politik? Lieber Hände recken oder Fäuste ballen. Der falsche Weg!
Kommen Sie gut durch den Montag!
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