Präsentation

Unsichtbare Gewalt im Fokus von Kampagne in Tirol

Tirol
26.11.2023 10:00

Am vergangenen Samstag startete wieder die weltweite Aktion „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Pünktlich dazu lanciert das Land Tirol eine neue Sensibilisierungskampagne - und zwar „Gleiche Chancen für SIE.“. Im Fokus steht die strukturelle Gewalt.

Das ist ein Begriff, der einer genauen Definition bedarf. Die strukturelle Gewalt geht nicht von einer bestimmten Person aus, sondern vom gesamten Gesellschaftssystem. Sie äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und in der Folge in ungleichen Lebenschancen von Frauen sowie Männern, jungen und alten Menschen, Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund oder mit diversen Lebensformen.

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In patriarchalen Gesellschaften sind vor allem Mädchen und auch Frauen betroffen.

LR Eva Pawlata (SPÖ) (Bild: Birbaumer Christof)

LR Eva Pawlata (SPÖ)

„Sie ist Wurzel von Diskriminierung und allen Formen von Gewalt“
„Strukturelle Gewalt ist eine unsichtbare, aber umso wirkmächtigere Form von Gewalt, weil sie die Wurzel von Diskriminierung und allen Formen von Gewalt darstellt. Dazu zählen etwa die ungleiche Verteilung von Einkommen und Ressourcen, ungleiche Zugänge zu Bildungs- und Berufswegen sowie geschlechtsspezifische Rollenbilder und Zuschreibungen“, erklärt Frauen-LR Eva Pawlata (SPÖ), „in patriarchalen Gesellschaften – also in jenen, in denen Männer traditionell eine dominierende Rolle spielen – sind von struktureller Gewalt vor allem Mädchen und auch Frauen betroffen.“

„Viele sind vom Partner finanziell abhängig“
Laut Andrea Laske, GF des Gewaltschutzzentrums Tirol, hänge strukturelle mit häuslicher Gewalt zusammen. „Ungleiche Machtverhältnisse sowie ungleiche Möglichkeiten von Frauen und Männern schaffen einen Nährboden für das Auftreten von Gewalt in Beziehungen. Viele unserer Klientinnen sind zum Beispiel finanziell von ihrem Partner abhängig. Sie können es sich daher nicht leisten, sich von diesem zu trennen, da sie die Miete und den Lebensunterhalt nicht alleine finanzieren können. Dies wiederum liegt daran, dass sie in schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen oder in Teilzeit arbeiten. Diese Frauen bleiben oft über viele Jahre in gewaltvollen Beziehungen – teilweise mit ihren Kindern, die ebenso die häusliche Gewalt miterleben“, schildert sie.

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Viele unserer Klientinnen sind zum Beispiel finanziell von ihrem Partner abhängig.

Andrea Laske, GF Gewaltschutzzentrum Tirol (Bild: Birbaumer Christof)

Andrea Laske, GF Gewaltschutzzentrum Tirol

Wie wichtig das Gewaltschutzzentrum Tirol ist, belegen die Zahlen: 2022 führten die Mitarbeiter rund 6300 Beratungsgespräche mit 1650 Personen – mehr als 80 Prozent davon waren Frauen. 1060 Betretungs- bzw. Annäherungsverbote wurden der Einrichtung gemeldet. Heuer zählt die Einrichtung mit Stand November bisher 1460 Gespräche.

„Traditionelles Bild des Ernähers bleibt hartnäckig bestehen“
Auch beim AMS Tirol sind strukturelle Benachteiligungen von Frauen omnipräsent. „Die Geschlechtersegregation bildet einen Nährboden für verschiedene Formen von Gewalt, die sich insbesondere in der ungleichen Verteilung von Lohn- und Sorgearbeit manifestieren. So bleibt das traditionelle Bild des männlichen Ernährers in der Familie hartnäckig bestehen. In Tirol arbeitet jede zweite Frau in Teilzeit, bei den Männern dagegen nur jeder zehnte. Darüber hinaus erhalten Frauen beim AMS Tirol im Durchschnitt 250 Euro pro Monat weniger Arbeitslosengeld als Männer“, zeigt Sabine Platzer-Werlberger, GF AMS Tirol, auf. Um Frauen die (finanzielle) Unabhängigkeit und damit vielfach auch den Austritt aus Gewaltbeziehungen zu ermöglichen, müsse daher die partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit vorangetrieben werden.

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In Tirol arbeitet jede zweite Frau in Teilzeit, bei den Männern dagegen nur jeder zehnte.

Sabine Platzer-Werlberger, GF AMS Tirol (Bild: Birbaumer Christof)

Sabine Platzer-Werlberger, GF AMS Tirol

Plakative Beispiele: „Die wird eh gleich schwanger“
Es gibt in dieser Causa noch viel Luft nach oben, darin sind sich alle einig. „Um gegen strukturelle Gewalt vorzugehen, braucht es ein gemeinsames Engagement auf vielen Ebenen. Ein wichtiger erster Schritt ist dabei die Aufklärung und Bewusstseinsbildung“, ist LR Pawlata überzeugt. Das will sie nun mit der neuen Sensibilisierungskampagne „Gleiche Chancen für SIE.“ erreichen. Mittels Plakaten, Radiospots und auf Social Media werden plakative Beispiele aufgezeigt – ein plakatives Beispiel: „Die können wir nicht einstellen, weil sie eh gleich schwanger wird.“ 

(Bild: Marija Kasalo)

„Vor allem in Tirol leben wir in Strukturen, die konservativ sind“ 
LR Eva Pawlata (SPÖ) spricht mit der „Tiroler Krone“ über Traditionen, festgefahrene Einstellungen sowie den Einfluss konservativer Institutionen.

„Krone“: Strukturelle Gewalt ist nach wie vor ein Thema. 
Eva Pawlata: Ja. Ich glaube sogar, dass jede Frau bereits Opfer von struktureller Gewalt geworden ist. In Tirol zeigt sich das ganz besonders, weil wir in Strukturen leben, die konservativ und vom Patriarchat geprägt sind.

Das Aufbrechen dieser Strukturen ist somit in Tirol besonders schwierig? 
Das empfinde ich so, ja. Weil es in Tirol viel um Traditionen geht, weil auch die Religionen und dabei auch die katholische Kirche einen gewissen Einfluss nimmt, wie Frauen zu funktionieren haben. Man sieht das zum Beispiel an den Positionen innerhalb von Traditionsvereinen, der Kirche, aber etwa auch in der Gemeindeführung. Da sind die hierarchischen Strukturen, die eben nicht frauenfreundlich sind, plakativ erkennbar.

Kann man gegen diese festgefahrenen Einstellungen jemals ankommen? 
Es hat sich schon einiges getan. Aber es gibt nach wie vor Themen wie den Schwangerschaftsabbruch, bei denen der Einfluss von konservativen Strömungen spürbarer ist als etwa bei sozialen Themen. Wenn es um demokratische Entscheidungen geht, sollten sich ideologische und somit auch religiöse Einflüsse zurückhalten. Das gilt vor allem auch beim Thema Frauenrechte. Das Konstrukt von Gewalt ist immer das gleiche. Es geht um Macht und darum, diese zu behalten. Das betrifft den privaten Bereich genauso wie patriarchale gesellschaftliche Strukturen. Letztere leben davon, einen Gegenpol zur Gleichberechtigung zu bilden. Es geht letztlich um Macht, Einfluss, Geld und Mitglieder.

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