Hans Strassmair:

„Oft ist es nur die eigene Verunsicherung“

Vorarlberg
17.09.2023 11:55

Dem Theaterpublikum ist er bereits bestens bekannt: Hans Strassmair kam einst von Oberösterreich nach Vorarlberg und fand hier - nicht nur auf der Theaterbühne - eine zweite Heimat.

Auf dem Küchentisch liegen Blätter mit handgeschriebenen Notizen, die er sich in der Vorbereitung auf das Interview gemacht hat. Beruflicher Werdegang, wann er nach Vorarlberg gekommen ist, die Geburtstage seiner Kinder, wann er geheiratet hat. Dabei muss man den 76-jährigen Johann alias Hans Strassmair eigentlich gar nicht vorstellen, zumindest nicht dem Theaterpublikum. Er war mit seinem einprägsam geschnittenen Gesicht Jahrzehnte lang die Idealbesetzung für komödiantische Nebenfiguren, Butler und Polizisten. In der legendären Götzner Operettenbühne, später beim Vorarlberger Volkstheater (VOVO) und in vielen Produktionen des Götzner Spielkreises hat er sich ins Gedächtnis gespielt, die Menschen, wenigstens einen Abend lang, zum Lachen gebracht.

Robert Schneider: Hans, eine allererste Frage: Warum spielst du nicht mehr Theater?
Hans Strassmair: Ja, das tut mir selber sehr weh. Ich musste feststellen, dass ich mir längere Texte einfach nicht mehr merken kann. Ich kann lernen, wie ich will, aber der Kopf macht einen Strich durch die Rechnung, das Langzeitgedächtnis. Vielleicht gibt es doch noch die eine oder andere kurze Rolle, bei der ich einfach mimisch mitwirken kann.

Du stammst aus Oberösterreich und bist Anfang der 70er Jahre nach Vorarlberg gekommen. Ein typisch „Zuagraster“, wie man hier sagte. Wo genau kommst du her und wie war dein Background?
Ich komme aus Sattledt, das ist eine kleine Gemeinde im Hausruckviertel, Bezirk Wels-Land. Bin in einer Landwirtschaft groß geworden, auf einem klassischen Vierkanthof. Da mein Vater an einer vererbten Krankheit litt und stets offene Beine hatte, mussten meine Mutter und wir Kinder sehr hart auf dem Hof arbeiten. Das waren immerhin 17 Hektar. Eigentlich sollte ich die Landwirtschaft übernehmen, aber ich wollte immer irgendwie hinaus, mehr sehen, nicht sieben Tage in der Woche an den Bauernhof gekettet sein.

Was vermutlich den Vater sehr enttäuscht hat?
Überhaupt nicht! Mein Vater war ein besonderer Mensch - und ein leidenschaftlicher Kettenraucher ...

Bestimmt A3 ...
... Genau. Austria 3. Er hat unmittelbar nach dem Krieg Flüchtlinge bei sich aufgenommen, so genannte „Displaced Persons“, wie man heute sagt. Denn nach dem Krieg irrten viele Menschen herum, die ohne Hilfe nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren oder sich in einem anderen Land neu ansiedeln konnten. Auf dem Vierkanthof hatten wir ja Zimmer, die leer standen, natürlich ohne jeden Standard. Aber mein Vater hat diesen wirklich Verzweifelten ein Dach über dem Kopf gegeben. Und in diesem Zusammenhang habe ich eine Dame kennen gelernt, die Verbindungen nach Götzis hatte.

Was für eine Ausbildung hast du gemacht?
Nur sieben Jahre Volksschule. Das hing damit zusammen, dass ich als Kind eine schwere Hirnhautentzündung bekam. Ein Wunder, dass ich das überlebt habe. Also wurde ich Gelegenheitsarbeiter. Habe da und dort ausgeholfen. Handlanger, wie man sagt. Aber durch diese vielen Tätigkeiten, durch das Zuschauen und Abschauen, habe ich gelernt, wie man selber ein Haus baut. Später habe ich noch eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht.

Und dann hast du deine Sieglinde kennen gelernt. Eine Ur-Götznerin. Wie war das ganz am Anfang?
Ich fand Arbeit bei der Firma SOLA, die Messwerkzeuge herstellt. Ja und Sieglinde lernte ich eben durch diese Bekannte kennen, die ich schon erwähnt habe. Diese Bekannte war sehr religiös, ultrareligiös. Man hat sie ausgelacht. Aber ich habe ihr zugehört, sie einfach ernst genommen

Gab es Ressentiments gegen dich?
Gar nicht. Nur einmal. Da soll eine Tante fast mitleidsvoll zu meiner Frau gesagt haben: „Hast du hier wirklich gar keinen Mann gefunden?“ Sprachlich war der Anfang für mich natürlich eine Katastrophe. Ich verstand praktisch kein einziges Wort. Aber ich bin ein guter Zuhörer. Zuhören, das kann ich wirklich. Weißt du, wie ich gelernt habe, den Dialekt zu verstehen? Ich habe dem Vorarbeiter immer genau zugehört, wenn er mit Gastarbeitern gesprochen hat. Natürlich in einem furchtbaren Baby-Deutsch: „Du gehen dort, du nehmen das, du nicht dürfen ...“ Man sollte nicht vergessen, das war Anfang der Siebziger Jahre. Da war Vorarlberg noch in keiner Weise international aufgestellt. Die scheinbare Reserviertheit Anderssprachigen gegenüber war oft nur die eigene Verunsicherung. Damals war es noch nicht üblich, dass in Vorarlberg fließend Hochdeutsch gesprochen wurde. Außerdem war mir eines vollkommen klar: Ich kam hierher, also lag es auch an mir, auf die Menschen zuzugehen.

Dann haben du und Sieglinde ein Haus gebaut und drei Kinder groß gezogen.
Ja, wie man halt früher ein Haus gebaut hat. Hauptsächlich in Eigenarbeit. Vorne zu. Der Fassadenputz hat lange gefehlt. Die Firma, bei der ich dann auch als Abteilungsleiter arbeiten durfte, war so großzügig, mir ohne Lohnabzug während des Hausbaus den Freitag frei zu geben. Ich konnte die entgangene Arbeitszeit später nachholen. So ein Entgegenkommen gibt es heute nicht mehr. Allerdings hatten wir Schwierigkeiten, das Holz für den Dachstuhl zu bekommen, weil man auf der Gemeinde der Auffassung war, wir seien keine Götzner Bürger.

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Außerdem war mir eines vollkommen klar: Ich kam hierher, also lag es auch an mir, auf die Menschen zuzugehen.

Hans Strassmair

Deine Offenheit und Herzlichkeit ist im ganzen Dorf bekannt. Ist das der Schlüssel, um eine neue Heimat zu finden?
Vielleicht. Jedenfalls habe ich immer nach der Devise zu leben versucht: Ich möchte mit den Menschen so umgehen, wie ich mir wünsche, dass sie mit mir umgehen. Und dazu gehört auch immer eine große Portion Humor. Als ich meinen Hühnerstall im Garten unseres Hauses gebaut habe, machte ich ein Fest für alle Nachbarn. Sechzig Leute kamen. Es war eine Riesengaudi. Gibt es etwas Schöneres? Das ist für mich Heimat.

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