„80 Prozent bei uns“

Migrationsgipfel: Nehammer fährt Orban in Parade

Politik
07.07.2023 14:52

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat beim Wiener Migrationsgipfel ungewöhnlich deutliche Kritik an seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán geübt. „Es stimmt zwar, dass sich die irregulären Migranten nicht in Ungarn aufhalten, aber zu 80 Prozent durch Ungarn nach Österreich kommen und wir haben dann 109.000 Asylanträge und Ungarn hat 45“, sagte Nehammer am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Orbán und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić in Wien. Begleitet wurde der Gipfel von lautstarken Protesten wie „Shame on you“ („Schäm‘ dich“)-Rufen und Pfiffen. Zahlreiche Demonstrierende hatten sich am Ballhausplatz versammelt.

Nehammer äußerte sich, nachdem Orbán eine „Frage“ des ungarischen Staatssenders MTV für mit EU-Bashing und Soros-Kritik garniertes Selbstlob in der Migrationspolitik genutzt hatte. „Wir sind der einzige migrantenfreie Ort in Europa“, brüstete sich der rechtskonservative Regierungschef. Dies liege an den rechtlichen und physischen Hürden für Migration. So können Migranten nur nach einem positiven Asylbescheid das Land überhaupt betreten. Außerdem gebe es einen Zaun an der Grenze. „Ich sage nicht, dass die Migranten nicht manchmal drüberspringen können, aber den größten Teil können wir anhalten und sie können gar nicht als Migranten nach Österreich kommen“, behauptete Orbán.

Orban kritisiert „Zwangsverteilung der EU“
Der ungarische Regierungschef bekräftigte neuerlich seine Kritik an der von den EU-Innenministern beschlossenen „Zwangsverteilung“ von Migranten innerhalb Europas. Diese sei nämlich „eine Einladung“ an Migranten, sich auf den Weg zu machen. Daher werde Ungarn Mittel und Wege finden, diese Entscheidung nicht umsetzen zu müssen.

In seinem Eingangsstatement hatte sich Orbán lobend über Nehammer geäußert und berichtet, dass dieser den ungarischen Standpunkt zum EU-Asyl- und Migrationspakt beim jüngsten EU-Gipfel „verteidigt“ habe. „Wir schützen Europa vor dem Migrationsdruck“, betonte der ungarische Ministerpräsident. Ohne Ungarn und Serbien wären nämlich Österreich, Deutschland und die Niederlande „mit hunderttausenden Migranten mehr als heute“ konfrontiert.

„Asylbremse deutlich angezogen“
Nehammer ließ bei der Pressekonferenz einen eigens gedruckten Folder verteilen, auf dem die Ergebnisse der bisherigen Dreier-Gipfel vorgestellt wurden. „Gemeinsam hat Österreich mit Ungarn und Serbien die Asylbremse deutlich angezogen“, sagte der Kanzler. Konkret führte er die Schlepperbekämpfung mit Ungarn an und dankte Serbien für das Ende der Visafreiheit für Tunesier und Inder. „Das hat unmittelbar dazu geführt, dass die Asylantragszahlen in Österreich deutlich gesunken sind“, sagte er in Richtung des serbischen Präsidenten. Laut vom Bundeskanzleramt verbreiteten Zahlen sind die Asylanträge von Jänner bis Mai um 20 Prozent niedriger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, im Mai sogar um 30 Prozent niedriger.

Proteste am Ballhausplatz
Begleitet wurde der Gipfel von laustarken Protesten am Ballhausplatz. Ungefähr ein Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten der NGOs SOS Balkanroute und Omas gegen Rechts hielt dagegen. Sie riefen etwa „Schleich di“ und betonten, dass alle Flüchtlinge willkommen seien. Kein Mensch sei „illegal.“ Für Heiterkeit sorgte ein Schmähruf in Richtung des „ungewählten Kanzlers.“ „Nehammer, du Gangster, bald bist du weg vom Fenster“, rief er.

Polizeichefs arbeiten zusammen
Nehammer war erstmals Gastgeber des Formats, das im vergangenen Herbst ins Leben gerufen worden war. Grund ist die irreguläre Migration auf der Balkanroute. Schwerpunkt war diesmal, wie der Grenzschutz gestärkt werden kann. Die Polizeichefs der drei Länder sollen ihre bisherige Zusammenarbeit evaluieren und vertiefen, hieß es aus dem Bundeskanzleramt. Eine Arbeitsgruppe und eine intensivere Zusammenarbeit im Kampf gegen Schlepper wurden vereinbart. Aus Österreich sollen weitere Polizistinnen und Polizisten an die ungarisch-serbische Grenze geschickt werden. Statt 20 könnten es künftig 70 sein.

In diesem Jahr gingen die Asylanträge in Österreich deutlich zurück. Von Jänner bis Mai waren es um 20,5 Prozent weniger Anträge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Im Mai war es sogar ein Minus von 30 Prozent, während die Asylanträge in der restlichen EU um denselben Prozentwert zunahmen. 

Kickl: „Nicht nur reden, sondern auch handeln“
Solange die EU ihr Asylsystem nicht völlig neu aufstelle, „müssen wir uns selbst helfen“, begründete Nehammer die umstrittene Zusammenarbeit mit Vucic und Orban. Kritik am Gipfel gab es unter anderem von den Grünen, der SPÖ sowie den Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und asylkoordination österreich. Die meisten Asylsuchenden würden trotz bereits gesetzter Maßnahmen nach Österreich kommen, hieß es etwa. FPÖ-Chef Herbert Kickl meinte, dass Nehammer „nicht nur mit Viktor Orbán reden, sondern wie Viktor Orbán auch gegen die illegale Masseneinwanderung handeln“ solle.

 krone.at
krone.at
Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare
Eingeloggt als 
Nicht der richtige User? Logout

Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.



Kostenlose Spiele