Wendepunkt für Europa

Finnland als Teil der NATO: Wo Moskau irrte

Ausland
06.04.2023 22:45

Statt einer Spaltung ist der Nordatlantikpakt um ein Mitglied gewachsen - Moskaus Irrtum und was 60 Stunden für das Baltikum bedeuten.

Finnland ist nun Teil der NATO. Schweden sollte – sobald die Probleme mit der Türkei und Ungarn geklärt sind – bald folgen. Beide Länder verfügen über hochmoderne Streitkräfte und stabile demokratische Institutionen. Für die NATO ein Gewinn – und ein geopolitischer Wendepunkt.

Baltikum als Achillesferse
Warum? Die drei baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen galten bislang als Achillesferse des Militärbündnisses. Laut einer Studie des renommierten amerikanischen RAND-Instituts aus dem Jahr 2016 würde Russland im Falle eines konventionellen Angriffs binnen 60 Stunden die Hauptstädte der drei baltischen Staaten Estlands, Lettlands und Litauens kontrollieren.

Das Baltikum liegt eingeklemmt zwischen Belarus, Russland und der russischen Exklave Kaliningrad vulgo Königsberg. Verbindung zur NATO bestand nur über den wenige Kilometer schmalen Suwalki-Korridor zwischen Litauen und Polen. Fast unmöglich zu verteidigen. Lokale Militärs zweifelten gerne, ob beispielsweise die USA im Angriffsfall auf das Baltikum dem NATO-Bündnisfall folgen würden.

Anzeichen dafür waren bereits, dass Staatsoberhäupter führender NATO-Staaten, wie etwa von Ex-US-Präsident Donald Trump oder Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, die Sinnhaftigkeit des Bündnisses in Frage gestellt hatten. Durch den Beitritt Finnlands hat sich die Lage verändert.

Aber, so der Sicherheitsexperte Simon Koschut von der Uni Friedrichshafen, „so ein Angriff galt auch schon vor dem NATO-Beitritt Finnlands als sehr unwahrscheinlich.“ Weitreichende geostrategische Veränderungen hat die Norderweiterung dennoch. „Die Ostsee würde quasi zum NATO-Meer werden“, so Koschut. Das Bündnis würde den kompletten Zugang kontrollieren. „Zudem vergrößert sich die gemeinsame Grenze der NATO mit Russland um ein Vielfaches. Politisch verdeutlicht die Erweiterung das Scheitern von Putins Versuch, den Westen zu spalten“, so der Experte.

Der neutrale Raum in Europa verschwindet
Bedenklich an der Entwicklung ist jedoch, dass in der dramatisch sich verschlechternden Sicherheitslage selbst traditionell neutrale oder bündnisfreie Länder ihr Heil im Militärbündnis suchen und militärische Neutralität als Garant für stabile Beziehungen zu Moskau jeden Wert verloren hat. Das führt zu einem Dilemma: Der neutrale Raum in Europa verschwindet – und mit ihm die Möglichkeiten zu Verhandlungen und Vermittlung. Man muss auf globale Mediatoren hoffen. „Diese müssen dabei nicht zwangsläufig neutral sein“, sagte Experte Koschut im „Krone“-Gespräch. Viel entscheidender ist, dass die Konfliktparteien ihnen vertrauen. Zum Beispiel Brasilien, Indonesien und vielleicht sogar die Türkei. „Selbst Österreich wäre ein denkbarer Vermittler.“

So sehr eine starke NATO in der aktuellen Lage die Sicherheit und die Stabilität Europas garantiert: Europa sollte sich nicht völlig von der Neutralität abwenden.

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