Während die Bundesregierung versucht, mit einem „Dialogprozess“, den Unmut über den Umgang mit der Corona-Krise im Land wieder einzudämmen, sehen sich nun zahlreiche heimische Fachleute vor den Kopf gestoßen. Die Regierung habe sich zu oft nicht an die fundierten Ratschläge gehalten, so die Kritik - ansonsten hätte man etwa nach über drei Jahren Pandemie schon saubere Luft in Klassenzimmern.
Die Regierung sei zu „expertenhörig“ gewesen, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch - ebendiese Experten müssten nun erklären, „warum sie zu dieser Entscheidung gekommen sind“ feuert er damit mit voller Breitseite gegen die wissenschaftlichen Ratschläge in der Pandemie.
Ratschläge „durchaus ignoriert“
Die Fachleute fühlen sich von den Aussagen des Kanzlers vor den Kopf gestoßen. Die Aussage Nehammers sei „kontraproduktiv und falsch“, fasst etwa der Kommunikationswissenschaftler Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien in der ORF-„ZiB Nacht“ zusammen. Grundsätzlich sei „viel Gutes“ in der Pandemie geschehen, sehr oft habe sich die Politik aber trotz klarer Positionen, Beratungen und Analysen auch gegen den wissenschaftlichen Konsens gestellt.
Dies wurde oft nicht nur „durchaus ignoriert“, oft hätte man auch erklärt, dass entsprechende Entscheidungen auch „von Expert*innen unterstützt“ worden seien, obwohl dies nicht der Fall war.
„Dann hätten wir schon saubere Luft in Schulen“
Besonders eindrücklich zeigte sich dies etwa bei der eigentlich von der Regierung eingesetzten GECKO-Kommission, welche angeblichen Experten-Empfehlungen immer wieder widersprach. Eberl führt als konkretes Beispiel nun etwa die Sicherheitsmaßnahmen an Schulen an - hätte man in diesem Bereich die Beratungen der Experten ernst genommen, „dann hätten wir heute schon saubere Luft in den Klassenzimmern.“
Ein skandalöser Sager, der vom Missverständnis der Rolle der Experten zeugt. Politiker - und nur diese - entscheiden. Denn Experten können und sollen per Definition gemäß ihrer Expertise sprechen.
Genetiker Ulrich Elling
Aussagen Nehammers „skandalös“
Mit dieser Einschätzung ist er dabei nicht alleine. So bezeichnete auch der Genetiker Ulrich Elling die Äußerungen auf Twitter als „skandalös“. Sie würden vielmehr von einem Missverständnis der Rolle von Experten in der Politik zeugen: „Politiker entscheiden - und nur diese“, so Elling. Auch der renommierte Statistiker erklärte: „Diese Formulierung von BK Nehammer lässt mich sehr verwundert zurück“, zeigt er sein Unverständnis, dass nun Fachleute scheinbar die Verantwortung für Fehlentscheidungen übernehmen sollen.
Verärgert zeigte sich auch der Covid-Experte und Lungenfacharzt Arschang Valipour. Die Politik habe eben „oft“ nicht auf die Ratschläge gehört - die Verantwortung für die entstandenen Gräben in der Gesellschaft so von sich abzuschieben, sei „befremdlich“.
Politik hat oft zu spät reagiert
Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka führte zudem in der ORF-„ZiB 2“ aus, dass die politischen Entscheidungen nach einem guten Start zu Beginn des ersten Ausbruchs oft zu spät getroffen worden seien und dadurch auch zu lange in Kraft sein mussten, um die Infektionswellen ausreichend eindämmen zu können. Man habe kritische Infektionswellen lange trotz entsprechender Warnungen nicht ernst genug genommen. Auch der sogenannte Lockdown für Ungeimpfte und die - dann doch nicht umgesetzte - Impfpflicht, führte er als Fehler der Politiker an.
Argumentation der Gegner nicht übernehmen
Eberl zeigte nun zwar Verständnis, dass man die Vorgänge der Pandemie nun aufarbeiten wolle -„das macht Sinn“ -, dabei dürfte man die Experten aber nicht unter „Generalverdacht“ stellen, die hätten die Entscheidungen ja auch nicht getroffen. Er warnt zudem davor, das „Framing“ der Maßnahmengegner zu übernehmen, hätte sich doch gezeigt, dass das vom Kanzler angesprochene „Trauma“ eher aus den Folgen der Pandemie entstanden seien und nicht zwangsläufig durch die Maßnahmen entstanden sind.
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