Live im Gasometer

Jan Böhmermann: Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Wien
05.01.2023 04:30

Mit dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld und Stargast Marco Wanda eröffnete der deutsche Brachial-Satiriker Jan Böhmermann das Konzertjahr 2023 in einem seit Monaten ausverkauften Wiener Gasometer. Die unzimperliche Polit-Musik-Revue hatte in den mehr als zwei Stunden diverse Längen und bewies, dass Böhmermann sicher vieles, aber längst nicht alles kann.

Rund um die Weihnachtsfeiertage und noch ein bisschen darüber hinaus hat man in Österreich gerne seine Ruhe, wodurch auch das Popkulturprogramm für gewöhnlich auf ein Minimum reduziert wird. Gegen die drohende Stille in der Zwei-Millionen-Stadt Wien kämpfen für gewöhnlich nur ein paar wackere Jazz- und Bluesclubs mit einheimischem Programm an, internationales Odeur ist nicht zu vernehmen. Diese beschauliche und - geben wir es zu - aufgrund des durchprogrammierten restlichen Jahres willkommene Ruhe wird nun aber sogleich brachial durchbrochen. Deutschlands polemischster und medienwirksamster Satiriker-Rabauke Jan Böhmermann reißt uns und sich aus dem Winterschlaf und startet justament im randvollen Gasometer seine „Ehrenfeld Intergalactic“-Tour, die über die nächsten drei Wochen auch nach Zürich und in jedes deutsche Eck geht.

Für die Tour hat das Team von Böhmermann eine fulminante Bühne entwickelt. (Bild: Andreas Graf)
Für die Tour hat das Team von Böhmermann eine fulminante Bühne entwickelt.

Zwischen zwei Polen
Diese ungewöhnliche Terminisierung ist freilich Böhmermanns überdichten Terminkalender geschuldet. Zwischen Fernsehsendungen, permanenten Politgeschehnis-Beobachtungen und austrabendem Twitter-Konsum bleibt nur eine kleine Fläche für Spaß auf einer Konzertbühne. Seine Österreich-Premiere vor fast genau vier Jahren an selber Stelle war ein großer Erfolg, seit dem letzten Stelldichein, passierte in der heimischen, als auch internationalen Politiklandschaft aber so viel, dass der 41-Jährige relativ mühelos ein neu arrangiertes Programm zusammenstellen konnte. Wer mit dem bissigen und oft entlarvenden Humor des Deutschen vertraut ist, weiß, dass es nicht zimperlich zugeht. Je nachdem wie man zu ihm steht, wird er entweder als pointiert-kompromissloser Skandalaufdecker oder als linkslinke Krawallschachtel bezeichnet. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo links der Mitte.

Mit Maske auf die Bühne eingelaufen. (Bild: Andreas Graf)
Mit Maske auf die Bühne eingelaufen.

Nach einem musikalisch wertigen Intro betritt Böhmermann mit FFP2-Maske die Bühne und intoniert humorig das „Ischgl-Fieber“. Schon früh im Set appelliert er an seine Fans und das Land, sich bis zu seinem nächsten Besuch zu bessern, die - teilweise dumpfen - Spitzen gegen heimische Politiker, Wirtschaftstreibende oder Adabeis zünden mal besser, mal schlechter. Dass er Bundeskanzler Karl Nehammer als im letzten Moment ausgeschiedene Idee für einen Super-Mario-Charakter bezeichnet, wird mit wohlwollendem Applaus goutiert. Die anfangs noch spritzige Interpretation von Böhmis heimischem Lieblingscharakter, Ex-Kanzler Sebastian Kurz, kriegt über das ganze Set hinweg schnell einen langen Bart. Zweiter Kardinalsfehler - das bemühte Wienerisch. Das sollte man keinesfalls über mehr als zwei Stunden hinweg anwenden. Und schon gar nicht, wenn man es im Vorfeld nicht ausreichend geübt hat. So verkommt Böhmermann wohl eher unfreiwillig zu seinem eigenen Satire-Opfer. Ironie als Watsche ins eigene Gesicht.

Das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld brillierte mit Hingabe. (Bild: Andreas Graf)
Das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld brillierte mit Hingabe.

Ein buntes Song-Oeuvre
Läuft die Musik, ist aber alles in bester Ordnung. Das bunte Song-Oeuvre setzt sich aus Cover-Versionen, bekannten Songs aus seinem „Neo Magazin Royale“ und im stillen Kämmerlein zusammengeschriebenen, direkt aus dem Leben gegriffenen Ideen zusammen. Wie eine bunte Jukebox wabert der Sound zwischen klanglicher Wehrmachts-Politagitation („Meinst du, die Russen wollen Krieg?“), Schlager („Micha“), Deutschrap („Ich hab Polizei“) oder flach-deutschem Schunkelspaß („Die Polizei ist nicht im Internet“ oder das Kay-One-Cover „Style und das Geld“). Immer noch ein Highlight ist die mit „Menschen Leben Tanzen Welt“ zur Musik gewordene Verballhornung deutscher Mainstream-Popkünstler, deren klangliche und textliche Gleichförmigkeit große Schmerzen in den Hirnrinden verursacht - Böhmis gelungenes Song-Gesellenstück.

Jan Böhmermann - ihm sitzt permanent der politkritische Schalk im Nacken. (Bild: Andreas Graf)
Jan Böhmermann - ihm sitzt permanent der politkritische Schalk im Nacken.

Des Bremers größtes Problem ist die Livesituation mit abendfüllender Bühne. Zwischen den Songs verzettelt er sich in oft zu bemühten und leidlichen Witzchen, selbst treueste Fans lassen sich in meiner Nähe mit Fortdauer der Show zu einem wenig entspannten „jetzt mach endlich weiter, heast“ hinreißen, wenn er sich als Showmaster in Monologen verzettelt. Was im Fernsehen als Spannungsbogen mit Abblendungen und verschiedenen Einstellungen funktioniert, ist als Abendprogramm zu viel des Guten. Auch gesanglich ist er objektiv im hinteren Drittel einzuordnen, doch das 15-köpfige, mit Bläsern und Streichern aufgedunsene Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld ist so tight eingespielt, dass es in Songs wie „United States Of Europe“ oder „Rainer Wendt“ das eine oder andere Mal über gesangliche Missklänge hinwegspielt. Bei der Vorstellungsrunde im technoiden „Music Instructor“ und bei einem schmucken, aber viel zu kurzen Daft-Punk-Medley darf die Band auch ganz ohne ihren Zeremonienmeister glänzen.

Wenn das Tanzorchester spielt, hat Böhmermann kurz Sendepause. (Bild: Andreas Graf)
Wenn das Tanzorchester spielt, hat Böhmermann kurz Sendepause.

Punktesieg für Wanda
Die Überraschung des Abends kommt zur Halbzeit, als Marco Wanda samt Orchester mit dem progressiven Wanda-Song „Va Bene“ für einen angenehmen Hauch an Ernsthaftigkeit sorgt und dem Star des Abends mit der Ansage „außer Netflix und wixen hatte ich heut‘ nix vor“ kurzerhand auch humoristisch die Show stiehlt. Böhmermann weiß freilich auch gut zuzustechen. Der Ibiza-Skandal, die Polizei, Herbert Kickl, Polizeipferde, Andreas Gabalier - nichts und niemand bleibt verschont. Mit dem ironisch intonierten, laut Böhmermann hart und lange geprobten „Immer wieder Österreich“, das er extra für die Wien-Show ins Programm hievte, kriegt seine Lieblingszielscheibe FPÖ zum Abschluss noch einmal eine gebrettert. Trotz pointierter, gut angebrachter Humorteile versinkt der immer krawalliger werdende Böhmermann auf Langstrecke ein bisschen in Beliebigkeit. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Wir begeben uns trotzdem wieder entspannt in den Konzert-Winterschlaf.

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