„Hoffe, er versteht‘s“

Der Mann, der Franz Vranitzky „sterben“ ließ

Politik
30.11.2022 14:07

Er hat schon Papst Benedikt XVI., den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und Peter Handke „sterben“ lassen, am Dienstag traf es Altkanzler Franz Vranitzky: Tommaso Debenedetti, bekannt für Internet-Hoaxes, verbreitete die angebliche Todesnachricht, versteckt hinter einem gefälschten Twitter-Konto. Die Meldung wurde kurz geglaubt und führte sogar zu einer Trauerminute im Parlament. Nach den Berichten über den kuriosen Vorfall hat krone.at mit dem Schwindler über seine Vorgangsweise und seine Beweggründe gesprochen.

Ein Twitter-Konto, das sich als Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) ausgab, tweetete am Dienstag die angebliche Todesmeldung des ehemaligen SPÖ-Kanzlers Franz Vranitzy. Die rote Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek fiel darauf hinein und veranlasste im Sozialausschuss des Parlaments, der gerade tagte, eine Schweigeminute für Vranitzky, wie der „Standard“ zuerst berichtete. Kurz darauf wurde die Falschmeldung vom Urheber selbst entlarvt, das Bruno-Kreisky-Forum sah sich zu einer Klarstellung veranlasst (siehe unten). „Ich habe aufgelöst, dass ich dahinterstecke, und habe den Account dann geschlossen“, erklärt Tommaso Debenedetti, Urheber des makabren Streichs, gegenüber der krone.at.

Er meldete sich nach den aufsehenerregenden Berichten über die Trauerminute im Parlament, um über seine Beweggründe zu sprechen. Ob er der echte ist? Debenedetti sandte der Redaktion ein Foto seines Reisepasses, seine Aussagen klingen glaubwürdig.

„Zeigt, worauf die Leute alles hereinfallen“
Die Masche von Debenedetti ist immer die gleiche: „Ich überprüfe, ob Politiker einen Twitter-Account haben. Wenn sie keinen haben, erstelle ich einen“, sagt er im krone.at-Interview. Dienstagfrüh erstellte er das falsche Konto von Minister Totschnig und folgte vielen Journalisten, Politikern und anderen Vertretern der österreichischen Twitter-Szene. Im Gegenzug bekam „Totschnig“ in der kurzen Zeit nur wenige Follower, aber als er dann die falsche Todesmeldung verbreitete, war es „unglaublich, wichtige Politiker sind dem aufgesessen. Es zeigt, worauf die Leute in den sozialen Medien alles hereinfallen“, so Debenedetti.

Franz Vranitzky habe er ausgewählt, weil er eine „wichtige Persönlichkeit“ in Österreich ist. „Ich hoffe, er versteht es. Es war nicht gegen Vranitzky gerichtet, ich wollte zeigen, wie die Situation in den sozialen Medien ist, und ein Zeichen setzen“, erklärt der 53-Jährige. Er tue es, um zu zeigen, wie leicht es sei, auf Twitter Fake-Accounts bekannter Persönlichkeiten zu erstellen und Falschmeldungen zu verbreiten. „In Musk-Zeiten ist es dort besonders einfach“, sagt Debenedetti. Der Tech-Milliardär Elon Musk kaufte den Internetkonzern vor Kurzem, verbreitete dort selbst schon Fake News und erlaubte es kurzzeitig, dass Accounts willkürlich verifiziert wurden, obwohl sie offenkundig gefälscht waren.

Berüchtigter Hoaxer
Zweifelhafte Berühmtheit erlangte Debenedetti bereits 2010, als aufflog, dass er italienischen Zeitungen jahrzehntelang gefälschte Interviews mit berühmten Persönlichkeiten wie Michail Gorbatschow oder dem Dalai Lama verkauft hatte. Dabei habe er ausgenutzt, dass die italienische Presse nie etwas überprüfe, meinte er 2012 gegenüber dem „Guardian“. Jetzt arbeitet Tommaso Debenedetti als Lehrer in Rom, Falschmeldungen zu verbreiten ist aber gewissermaßen weiter sein Hobby.

„Mein Hobby ist aber nicht der Fake, sondern zu zeigen, wie leicht es ist, Fake News zu verbreiten.“ Er will die Leute nicht einfach zum Narren halten, sondern ihnen etwas beibringen: Durch die drastischen Fake News, die er verbreitet, könnten Menschen lernen, vorsichtiger zu sein, wenn man Medien konsumiert. „Wenn etwas auf Twitter steht, denken viele: ‚Das ist eine wichtige Nachricht.‘ Das ist gefährlich, denn Twitter ist keine Nachrichtenagentur. Man muss die Dinge, die man dort liest, überprüfen“, betont Tommaso Debenedetti. Es sei deshalb wichtig, dass gerade Politiker einen verifizierten Twitter-Account haben. Die Gefahr sei groß, dass jemand sie imitiert.

Zitat Icon

Die Leute sollten aufmerksamer durchs Leben gehen. Im Internetzeitalter geht es immer um Schnelligkeit bei den News. Manchmal sind es Fake News.

Tommaso Debenedetti

Folgenreiche Schwindeleien
Seine Schwindeleien hatten schon weitreichende Folgen. 2012 verbreitete er über das gefälschte Konto des russischen Innenministers, dass der syrische Diktator Bashar al-Assad gestorben sei. Daraufhin stieg der weltweite Ölpreis. Andere berühmte „Opfer“ sind der ehemalige Papst Benedikt XVI., Opernstar Placido Domingo und auch der österreichische Literaturnobelpreisträger Peter Handke. „Ich habe Peter Handke schon zweimal im Internet getötet, das wurde in Österreich und Serbien geglaubt“, erzählt er. 2020 hatte er ein Twitter-Konto der damals neuen Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer erstellt und die falsche Todesnachricht des Literaturnobelpreisträgers verbreitet.

„Ich mache das jede Woche“, behauptet Debenedetti. „Die Leute glauben das, manchmal berichten Zeitungen darüber.“ Erst am Montag erstellte er ein Fake-Konto für den österreichischen Bildungsminister Martin Polaschek, über das er dann die Nachricht verbreitete, der Schriftsteller Martin Walser sei gestorben. Bis auf wenige Twitter-Nutzer biss aber niemand an (siehe unten).

„Aktuell mehrere Fake-Accounts online“
„Ich habe viele Fake-Accounts überall auf der Welt gestartet. Gerade jetzt sind zehn oder elf online. Ich kann nicht sagen, welche“, so Debenedetti verschmitzt. Ein paar, die er erstellt haben will, verrät er dann doch. Darunter seien ein Konto des russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu sowie eines für den ehemaligen kubanischen Präsidenten Raul Castro.

„Wenn es neue Regierungen gibt, mache ich neue Twitter-Konten für die Minister“, erklärt Debenedetti. So plant er, Fake-Accounts für deutsche Politiker zu machen, weil viele Minister noch keinen haben. Ein neuer Fake-Account, den er erstellt hat, ist der von Csaba Lantos, dem neuen Energieminister Ungarns. „Er hatte keinen Twitteraccount, also habe ich ihn erstellt“, so der Italiener. „Stirbt“ vielleicht ein ungarischer Politiker als Nächstes? „Möglich“, sagt Debenedetti.

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