„Glaube an die Seele“

Arbeiten mit dem Tod: Eine Pathologin erzählt

Österreich
01.11.2022 06:00

Pathologin Renate Kain hat den Tod zum Beruf. Sie weiß: Nicht das Lebensende muss man fürchten, sondern das Gefühl, Gelegenheiten im Leben verpasst zu haben. Und wie ist es eigentlich, Menschen zu obduzieren? Wie kann man mit so einem Anblick leben? Wir haben genau nachgefragt.

Prof. Renate Kain leitet das Institut für Pathologie und Molekularpathologie der MedUni Wien am AKH Wien. An die tausend Obduktionen hat sie zu ihren Anfangszeiten durchgeführt: Damals gab es noch eine über 90-prozentige Obduktionsrate. Mittlerweile ist die Medizin so weit, dass immer weniger obduziert werden muss, um die Todesursache zu verstehen. Rund 97 Prozent der Tätigkeiten erfolgen heutzutage an Lebenden: So werden z. B. alle Zellen und Gewebe, die zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken entnommen werden, von Pathologen untersucht. Aber fragen wir genauer nach:

„Krone“: Der viel zitierte letzte Atemzug: Ist das eigentlich ein Ein- oder Ausatmen?
Renate Kain: Einatmen ist ein aktiver Prozess, der Muskelkontraktionen erfordert. Ausatmen ist passiv, das geschieht von selbst. Also ist es letztlich das Ausatmen.

Wie war die Arbeit mit Toten gerade zu Beginn für Sie?
Wir wurden im Studium gut vorbereitet. Vielleicht hat mich der Umgang mit den vielen Toten zeitweise etwas belastet. Manchmal habe ich so viel obduziert, dass ich mich gewundert habe, dass es noch so viele Lebende gibt.  

Dieser Anblick von Toten, die man aufschneidet … 
Ich habe eine Art Schutzmechanismus aufgebaut. Zu einer Obduktion gehört auch die äußerliche Beschreibung des Toten: Das mache ich abstrakt, ohne das bewusste Erkennen-Wollen bestimmter Merkmale der Person. Auch hat ein Verstorbener keine aktive Muskeltätigkeit, keine Mimik mehr, es verändern sich die Gesichtszüge. Ich wüsste nicht, ob ich eine Person auch erkennen würde.

Prof. Renate Kain, 1962 geboren, leitet das Institut für klinische Pathologie & Molekularpathologie der MedUni Wien. (Bild: Jöchl Martin)
Prof. Renate Kain, 1962 geboren, leitet das Institut für klinische Pathologie & Molekularpathologie der MedUni Wien.

Gab es Fälle, die Sie besonders berührt haben?
Ja. Vor allem unnötige Tode, der Tod junger Leute. Wie einst ein Tourist, der Wien vom Dach eines Eisenbahnwaggons fotografieren wollte. Es war weniger die durch den Strom-Tod entstandene körperliche Veränderung als die Sinnlosigkeit des Todes, die berührt, die in Erinnerung bleibt.

Wie fühlt sich, glauben Sie, Sterben an?
Ich kann mir vorstellen, dass das Spektrum hier so groß ist wie beim Leben. Ich glaube, dass der Tod für manche Menschen, etwa in einer späteren Phase des Lebens, eine Erleichterung sein kann. Für jene, die selbst sagen, es wäre jetzt Zeit. Aber für jene, die nicht bereit sind, ist es sicher schwer. Es hängt auch von der Art des Todes ab: Ich würde es z. B. schrecklich empfinden, jetzt erschossen zu werden. 

Wie ist das bei Ihnen? 
Mit 25 wäre ich nicht bereit gewesen zu sterben. Heute möchte ich es nicht und wünsche mir ein Leben in Gesundheit - aber ich akzeptiere zunehmend, dass der Tag einmal kommen wird.

Und dann ist alles aus?
Ob der Tod auch das Ende ist, kann ich nicht sagen. Ich bin katholisch erzogen worden und glaube an eine Seele und ein Leben nach dem Tod. Als reine Wissenschafterin kann ich Ihnen sagen: Ich habe dafür keine Evidenz. 

Also haben Sie keine Hinweise auf eine Seele?
Aus dem Kollegen- und Freundeskreis höre ich, dass Menschen, die andere beim Sterben begleiten, oft den Eindruck haben, eine Präsenz der Person wäre noch eine Zeit da, bevor sie sich verabschiedet. 

Und Sie persönlich?
Ich hatte nie den Eindruck, dass da mehr als der Körper wäre. Ob der Übergang vom Noch-Leben ins Tod-Sein irgendetwas Metaphysisches birgt, weiß ich nicht. Aber wenn Menschen so etwas spüren, ist es ja nichts Falsches. Ob das nun meine eigene Einstellung zum Toten ist oder wirklich diese Person, kann ich nicht sagen. Wenn es eine Form des Abschiednehmens ist, dann ist es jedenfalls eine schöne.

Zitat Icon

Mit dem Tod zu tun zu haben gibt einem öfter die Gelegenheit, zu beleuchten, wie man mit dem Leben umgeht.

Prof. Renate Kain

Wie hat die berufliche Konfrontation mit dem Tod Ihre Einstellung zum Leben verändert?
Sagen wir so: Mit Tod und Verstorbenen zu tun zu haben, gibt einem öfter die Gelegenheit zu beleuchten, wie man mit dem eigenen Leben umgeht. Die Reflexion darüber habe ich mir schon oft im Leben gestellt. Und ich habe immer wieder gesehen: Neben Trauer und Schmerz ist das Gefühl verpasster Gelegenheiten ein sehr wichtiges im Umgang mit dem Verlust eines Menschen. Das ist das, was für mich der Umgang mit dem Tod in Erinnerung ruft: Dass wir eigentlich so leben sollten, als würden wir die jeweils andere Person das letzte Mal sehen, als hätten wir selber nicht mehr lange Zeit, das Leben zu leben, Streit zu bereinigen usw. Der Umgang mit dem Tod bedeutet für mich, das Leben zu leben, dankbar zu sein für jeden Tag, den man gesund ist, den man mit der Familie verbringen kann. Denn Tod ist endgültig.

Wie würden Sie sterben wollen? Und wie nicht?
Ich würde mir wünschen, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Weil die Auseinandersetzung mit dem Tod bei einer schweren Krankheit natürlich eine andere ist, als wenn ich einfach nicht mehr aufwache. Jeder Tod, der mit langen Leiden und Schmerz einhergeht, ist ein Tod, den ich mir nicht wünsche. Ich würde mein Leben zwar auch in Leid und Schmerz nicht bewusst abkürzen wollen, aber ich würde mich in die Hände der Palliativmedizin begeben, um mir den Übergang zum Sterben zu erleichtern.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt