Wie könnte eine zeitgenössische Volksoper klingen? Diese Frage stellt sich der Griessner Stadl in Stadl an der Mur und hat bei Komponistin Elisabeth Harnik ein Werk in Auftrag gegeben. Am Donnerstag feierte „Das Erdbeben in Chili“ seine umjubelte Uraufführung in der Regie von Martin Kreidt. Zu sehen noch bis 25. August.
Es ist nicht unüblich für Opernfans, weite Anreisen in Kauf zu nehmen, um besondere Aufführungen zu sehen. Meist handelt es sich dabei um Inszenierungen einer recht kleinen Zahl an Werken von einer noch kleineren Zahl an Komponisten. Und meist führt die Reise in die urbanen Zentren.
Zeitgenössische Kunst und Volkskultur
Wer sich jedoch aktuell ins Auto setzt und die Reise nach Stadl in der Mur antritt, wird mit einem Opernerlebnis der etwas anderen Art belohnt: Der dortige Kulturverein Griessner Stadl hat sich seit einigen Jahren der Vermählung von zeitgenössischer Kunst und Volkskultur verschrieben und bei der Grazer Komponistin Elisabeth Harnik eine Neue Volksoper in Auftrag gegeben. Gemeinsam mit Martin Kreidt (Libretto und Regie) hat sie aus Heinrich von Kleists Novelle „Das Erdbeben in Chili“ ein faszinierend-verstörendes Gesamterlebnis geschaffen.
Im Zentrum des Werks steht - wie bei Kleist - ein Liebespaar, das mit seiner Verbindung, aus der auch ein Kind entspringt, gegen die Standesgrenzen verstößt und dafür zum Tode verurteilt wird. Es ist das titelgebende Erdbeben, das die beiden vorerst rettet. Doch das beinahe paradiesische Miteinander, das nach dieser Katastrophe herrscht, hält nur kurz an und endet in einer Tragödie.
Die Spaltung der Gesellschaft und die Suche nach Sündenböcken für eine unerklärliche Katastrophe, die dieses Werk beschreibt, haben durch die Corona-Krise besondere Brisanz erhalten. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum dieses Werk ein voller Erfolg ist: Harnik hat die Spannungen, die diese Gesellschaft von Anfang an durchziehen, wunderbar in Musik gefasst, die Neue Musik, minimalistische Jazz- und Rock-Elemente und Versatzstücke der Volksmusik vereint.
Trügerische Illusion
Es brodelt ständig in den Basslinien, Akkordeon und E-Gitarre spucken gespenstische Töne, die Drums treiben die Handlung weiter und das Ensemble zischt in den Chorszenen in präzise einstudiertem Sprechgesang. Und auch in den Momenten der Romantik ist klar hörbar, dass es sich um eine trügerische Illusion handelt.
Stimmungsvolle Dissonanzen
Auf der Bühne treffen erstklassige Profis auf mehr als professionell agierende Laien. Eindrucksvoll choreografiert Martin Kreidt die vier Sänger (Clara Sabin, Herbert Schwaiger, Justina Vaitkute und Stefan Jovanovic) und die Musiker (unter anderem Mitglieder des Ensemble Schallfeld) und unterstreicht auf visueller Ebene die stimmungsvollen Dissonanzen, die Harnik in Klangbilder gegossen hat.
Das Resultat ist keine leichte Kost, sondern eine Herausforderung im besten Sinn des Wortes. Der Nachhall dieses Werkes begleitet einen nach Hause - ganz egal wie lange der Weg auch sein mag.
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