Auftrag an die Politik

Filzmaier analysiert: Wählen mit 16 ist zu wenig

Politik
03.07.2022 06:00

In Jugendtreffs oder auf Sportplätzen werden mehr demokratische oder undemokratische Einstellungen vermittelt als in jeder Schulstunde: ein Auftrag an die Politik.

Im Jahr 2007 war Österreich weltweit das erste Land, welches sein Wahlalter auf 16 Jahre senkte. Was aber besitzen wir nicht, das Liberia, Moldawien und Osttimor haben? Ein eigenes Jugendministerium. Für die politische Bildungsarbeit ist das traurig. Der Stellenwert des Lernens von Demokratie für Erwachsene ist leider sogar noch geringer.

Wählen mit 16 ist weder Rettung noch Untergang einer Demokratie. Kein Staat ist nicht automatisch mehr oder weniger demokratisch, weil man ab 16 oder 18 Jahren wählen darf.

Doch Politik bedeutet, dass Entscheidungen getroffen werden, die unser Zusammenleben regeln. Dazu gehört, wie lange man in die Schule gehen muss und welche Fächer dort unterrichtet werden. Oder Gesetze und Verordnungen, ab welchem Alter Alkoholkonsum, Moped fahren und Sex erlaubt sind.

Keine Abteilung für Jugendpolitik
Nicht nur hier sollen Jugendliche mittels Wahl demokratisch mitbestimmen. Wird aber nach rund 5500 Tagen Wählen mit 16 jungen Menschen von der Politik besondere Aufmerksamkeit geschenkt? Nein. Aktuell gibt es eine Abteilung für Jugendpolitik im Bundeskanzleramt, welche in der Öffentlichkeit niemand kennt. 13 Leutchen sind da für ganz Österreich zuständig. Das Sekretariat bereits eingerechnet.

Bis 2017 leitete die wegen Korruptionsdelikten beschuldigte Sophie Karmasin - es gilt die Unschuldsvermutung - ein zwergengroßes Ministerium, wo dieselbe einzige Abteilung ihr Dasein fristete. Davor waren Jugendkompetenzen ein Anhängsel im Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium. Stets galten für Jugendliche zuständige Beamte als eine Art Wanderpokal, die bei Koalitionsverhandlungen zwischen den Ministerien wie Figuren eines Schachspiels verschoben und abgetauscht wurden.

Trotz Wählen mit 16 soll uns kein Politiker irgendeiner Regierungspartei - in den letzten 15 Jahren waren das SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grüne - einreden, dass Politische Bildung in der Jugendarbeit je eine große Bedeutung hatte. Aber ist das nicht ohnehin Sache der Schulen? Genau diese Frage ist das Problem. Man darf weder die offene Jugendarbeit auf der Straße, in sozialen Einrichtungen und Vereinen noch die Erwachsenen ausblenden.

Im für den Schulunterricht zuständigen Bildungsressort hat Minister Martin Polaschek immerhin im April 2022 einen Demokratieschwerpunkt angekündigt. Seit der Wahlaltersenkung 2007 gab es das nämlich nicht. Die damalige Initiative für mehr Demokratie starb mit dem rot-schwarzen Koalitionsende 2008 einen schnellen Tod.

Für Jugendliche außerhalb der Schule sieht der Bildungsminister sich - formal zu Recht - nicht verantwortlich. Das ist schade, weil oft in Jugendtreffs oder auf Sportplätzen mehr demokratische oder undemokratische Einstellungen vermittelt werden als in jeder Schulstunde. Zudem zeigen nicht etwa Schüler das größte politische Desinteresse, sondern wenden sich vor allem 20- bis 29-jährige von Politik und Demokratie ab.

Um diese Twens kümmert sich die politische Bildungsarbeit kaum. Der Haken ist, dass sich in der Altersgruppe niemand so richtig für das Erlernen von Demokratie als zuständig empfindet. Wann hat Polaschek in seiner Amtszeit je etwas dazu gesagt, was seine ohnehin nur rund zehn Mitarbeiter für Erwachsenenbildung im Bereich Politische Bildung überhaupt machen?

Tabu-Thema
Geradezu ein Tabu für alle Politiker ist die ehrliche Aus- und Ansage, dass Erwachsene bis ins hohe Alter mehr Politische Bildung brauchen würden. Demokratie ist nicht auf Teenager beschränkt, sondern lebenslanges Lernen. Folgerichtig dürfen mit der Schule vergleichbare Programme der politischen Bildungsarbeit für junge und alte Erwachsene von 19 bis 99 Jahren in Österreichs Bildungslandschaft kein Dasein eines Stiefkinds fristen. Das entsprechende Angebot des Staates und der Bundesländer ist dennoch zahlenmäßigen und budgetär klein.

Wichtig wäre es zudem, junge und ältere in Österreich lebende Menschen an einen Tisch zu bringen. Bei Veranstaltungen für mehr Demokratie nehmen häufig entweder Schulklassen oder eine Runde älterer Erwachsener teil. Wie viele Projekte gibt es, die sich sowohl an unter 30-Jährige als auch an über 50-Jährige richten? Wir bräuchten gerade beim Thema Politik viel mehr Generationendialog.

Allen Regierenden, sämtlichen Parteien, den Sozialpartnern und auch uns in den Medien sei abschließend ein Experiment zur Selbstbeobachtung empfohlen: Schaffen wir es, mehr als zehn Minuten über Politische Bildung zu reden, ohne irgendeinen schulischen Aspekt anzusprechen? Wenn ja, so könnte es endlich gelingen, alle Bildungsbereiche miteinzubeziehen. Falls nicht, ist das Jubiläum von Wählen mit 16 nichts als ein bisschen Blablabla über Schulen und Schüler.

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