Debatte in Australien

Strafzettel führt zu “härtestem Anti-Burka-Gesetz”

Ausland
10.07.2011 16:34
Im australischen Bundesstaat New South Wales wird bald über das laut Beobachtern "härteste Anti-Burka-Gesetz der Welt" entschieden. Die Polizei soll künftig Frauen, die ihr Gesicht in der Öffentlichkeit komplett oder bis auf die Augen verhüllen, auffordern dürfen, sich zu entschleiern. Wer sich weigert, riskiert bis zu 5.500 Dollar Strafe oder ein Jahr Haft. Ausgelöst hat den als überschießend kritisierten Gesetzesentwurf eine zu schell gefahrene Frau.

Ziemlich genau vor einem Jahr, im Juni 2010, stoppte ein Polizeibeamter in Sydney eine Autofahrerin. Sie war zu schnell gefahren und sollte an Ort und Stelle eine Strafe zahlen. Gemäß Dienstvorschrift musste Senior Constable Paul Fogarty die Identität der Lenkerin klären, bevor er ihr den Strafzettel ausstellen konnte.

Doch die Frau, eine zum Islam konvertierte Australierin, trug einen Gesichtsschleier, einen Niqab, der nur ihre Augenpartie erkennen ließ. Fogarty konnte nicht feststellen, ob die Fahrerin wirklich die Frau auf dem (unverschleierten) Führerscheinfoto ist. Nach längerer Diskussion lüftete sie schließlich den Schleier, Fogarty stellte das Strafmandat aus und ließ die Lenkerin weiterfahren.

Erfundene Vorwürfe gegen Polizisten
Wenige Tage später langte dann eine Beschwerde bei Fogartys Dienstaufsicht ein. Die Lenkerin beschuldigte Fogarty, er habe sich ihr gegenüber aggressiv verhalten, rassistische Beschimpfungen ausgestoßen und versucht, ihr den Schleier vom Gesicht zu zerren. Was die Frau nicht gewusst haben dürfte: Sydneys Highway-Patrol-Streifenwagen sind mit Frontkameras ausgerüstet, die jede Amtshandlung mitfilmen. Die Videos werden danach für längere Zeit archiviert. Auf der Aufnahme war klar zu erkennen, dass sich Fogarty während der gesamten Amtshandlung ruhig verhielt und in Wahrheit die Lenkerin einen Aufstand machte, als er sie aufforderte, den Niqab zu lüften. Die Frau wurde wegen Falschaussage angezeigt und später zu sechs Monaten Haft verurteilt.

Das alleine schlug in Australien aber noch keine großen Wellen. Erst beim Berufungsverfahren, das im Juni 2011 mit einem überraschenden Urteil endete, wurde der Fall landesweit bekannt. Das Gericht erklärte nämlich das einzige Beweisstück für die Falschaussage, das auf einer Polizeiwache mit dem Namen der Frau unterzeichnete Beschwerdeprotokoll, für ungültig. Der Grund: Die Unterzeichnerin trug einen Niqab, und obwohl bei der Protokollierung eine Schiedsperson zur Beglaubigung zugegen war, hatte diese es verabsäumt, die Identität der Beschwerdeführerin einwandfrei zu klären. Sprich: Niemand hat unter den Schleier gesehen. Die Frau wurde in zweiter Instanz freigesprochen.

"Identifizierung durch Abnahme jeglicher Kopfbedeckung"
Die Resonanz auf den Fall war enorm, der Polizeichef im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Australiens forderte eine Erweiterung der Befugnisse der Polizei. Und er bekam sie vergangene Woche in Form des Gesetzesvorschlags. "Es ist mir egal, ob eine Person nun einen Motorradhelm, eine Burka, Niqab, einen Trauerschleier oder sonstwas trägt - die Polizei soll die Möglichkeit haben, Personen einwandfrei identifizieren zu können", erklärte Barry O'Farrel, Ministerpräsient von New South Wales. Im Gesetz ist nicht explizit von Burka, Niqab oder gar Frauen die Rede. Es heißt schlicht, dass sich Teilnehmer im Straßenverkehr und Verdächtige in Strafsachen gegenüber der Polizei durch die Abnahme jeglicher Kopfbedeckung zu identifizieren haben.

Angesicht der Hintergründe des Falles ist die Debatte um den Gesetzesvorschlag in australischen Medien ein klares "Islamthema" geworden. "Das härteste Anti-Burka-Gesetz der Welt", titelte die Sydneyer Zeitung "Daily Telegraph". Vertreter der australischen Muslime bekritteln die Haftandrohung von bis zu einem Jahr als überschießend. In Frankreich, wo ein generelles Burka-Verbot eingeführt wurde, müssten schließlich nur 150 Euro Strafe gezahlt werden, Haftandrohung gebe es überhaupt nicht. In Belgien sieht das dortige Burka-Verbot Ähnliches vor.

Kritik: Gesetz betrifft nur wenige Frauen
Bei 23 Millionen Einwohnern im gesamten Land leben in Australien rund 400.000 Muslime, vor allem in den Metropolen Melbourne und Sydney, Letztere befindet sich in New South Wales. Schätzungen zufolge tragen etwa 2.000 muslimische Frauen in "Down Under" Burka oder Niqab, wobei nur ein Bruchteil davon mit dem Auto fährt und es praktisch keine straffällig gewordenen Schleier-Trägerinnen gibt. In Frankreich war man ebenfalls von 2.000 Schleier-Trägerinnen ausgegangen, das EU-Land hat allerdings 65 Millionen Einwohner.

Die Abstimmung über das Gesetz im Parlament von New South Wales ist für August geplant. Islam-Vertreter protestieren gegen die Pläne und fordern, stattdessen die Dienstvorschriften der Polizei zu ändern. Dort solle verankert werden, dass sich Musliminnen gegenüber weiblichen Polizeibeamten identifizieren dürfen. Damit hätten Niqab- und Burka-Trägerinnen nämlich kein Problem.

Ähnliche Aufregung bei "Wiener Terroristen-Prozess"
In Österreich, wo die Polizei von sich aus darauf bedacht ist, im Umgang mit Schleier-tragenden Musliminnen eher weibliche Beamte einzusetzen und Burka und Niqab in der Öffentlichkeit praktisch nur in Gestalt von Touristinnen anzutreffen sind, gab es vergleichbare Aufregung im Zuge des "Wiener Terroristen-Prozesses" im Jahr 2008. Damals wurde die Angeklagte Mona S. aus der Hauptverhandlung ausgeschlossen, weil sie sich weigerte, ihren Niqab abzunehmen. Sämtliche Berufungsgerichte inklusive des Obersten Gerichtshofes bestätigten die Entscheidung des Richters später als rechtmäßig.

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