„Krone“-Interview

Pippo Pollina: „Die Liebe wird immer wichtiger“

Musik
30.12.2021 06:00

Auf seinem neuen Album „Canzoni Segrete“ beschäftigt sich Pippo Pollina mit der Liebe. Das war nicht immer so. Der Cantautore als Palermo kämpfte in jungen Jahren journalistisch und musikalisch gegen die Mafia, wurde Straßenmusiker und gilt heute neben seinem Freund Konstantin Wecker als wichtigste linkspolitische Musikerstimme Europas. Der Wahl-Schweizer hat außerdem einen Roman in der Pipeline und seine auch bereits bekannten Kinder mit Haltung und Musik infiltriert. Ein Gespräch über die Liebe und das Leben.

(Bild: kmm)

„Krone“: Pippo, du hast dein brandneues Album „Canzoni Segrete“, also „Geheime Lieder“, schon vor der Pandemie fertiggestellt. Hat es per se etwas mit ihr zu tun?
Pippo Pollina:
Ich habe nur ein Lied während der Pandemie geschrieben, die meisten habe ich währenddessen aufgenommen. In der Zeit habe ich produziert und arrangiert. Natürlich spielte die Pandemie eine Rolle, das hört man auch den musikalischen Nuancen an.

Wie habt ihr die Arrangements und Aufnahmen während der Pandemie umgesetzt?
Das war natürlich schwierig. Als es gerade keinen Lockdown gab, habe ich in Palermo, Paris, München und Zürich an dem Album gearbeitet, also alles maximal ausgenutzt. Ich wollte bestimmte Personen unbedingt in die Produktion involvieren, das war mir wichtig. Wir haben das meiste im Frühling und Sommer 2020 gelöst und da ging sich dann alles gut aus. Zeit hatten wir ja genug. (lacht)

Als geborener Straßenmusiker muss es für dich immens schwer sein, mit Livekonzerten seit fast zwei Jahren so dermaßen haushalten zu müssen?
Um ehrlich zu sein, hat es mich überrascht, dass diese fast zwei Jahre Pause für mich okay waren. Ich hatte kein großes Bedürfnis nach der Bühne und habe es genossen, andere Dinge zu machen. Ich habe das Album verarbeitet, einen Roman geschrieben, der 2022 veröffentlicht wird und viel Zeit mit Freunden und Familie verbracht.

Machen wir einen kurzen Exkurs zu deinem Roman. Worum geht es darin und was war die zündende Idee?
Es ist eine fiktive Geschichte, aber wie bei jedem Schriftsteller stecken auch hier 20 Prozent Autobiografisches drin. Kulturen und Erlebnisse, die man selbst gut kennt, fließen aufgrund der eigenen Erfahrungen natürlich in so eine Geschichte ein. Das passiert ganz unweigerlich. Eine Geschichte ist nie zu 100 Prozent fiktiv, aber zu einem großen Teil. Es geht um zwei Menschen, die 1959 geboren sind. Eine Person in Niedersachsen und eine in Sizilien. Zwei parallele Geschichten, die nicht nur die Personen, sondern auch die Länder Italien und Deutschland zur Gründungszeit der Europäischen Union beschreiben. Es ist also ein historischer Roman, in dem die Geschichte Europas der letzten 60 Jahre über die Protagonisten erzählt wird.

Ist das der Startschuss für eine Schriftstellerkarriere? Wirst du künstlerisch über kurz oder lang umsatteln?
Ich habe Lust auf mehr bekommen. Ob ich gut genug bin, um noch einen schreiben zu dürfen, werde ich nach diesem Roman sehen, aber es hat mir extrem viel Spaß gemacht. Es ist gut zu wissen, dass ich dabei nicht gelitten habe. Jetzt hoffe ich, dass die Leute beim Lesen so viel Spaß haben wie ich beim Schreiben Spaß hatte. Das Buch wird wohl im September 2022 erscheinen. Wir wollen sieben Länder in Europa gleichzeitig damit beliefern.

Hängt das Buch in irgendeiner Art und Weise mit deinem neuen Album, das schon Anfang Jänner erscheint, zusammen?
Nein, da gibt es gar keine Verbindung. Das Album besingt andere Thematiken und Lebensgefühle als das Buch. Der rote Faden des Albums ist die Liebe. Mir ist in der letzten Zeit bewusster geworden, dass die Liebe in dieser Welt immer wichtiger wird. Wenn du am Totenbett liegst, dann stellt sich nicht die zentrale Frage, was du alles erreicht hast, sondern wie du dein Leben gelebt hast. Ich will dieses Credo so gut wie möglich selbst praktizieren.

Versuchst du bei diesen „geheimen Liedern“ auch das Geheimnis der Liebe zu ergründen?
Das Leben ist voller Geheimnisse und die größten sind direkt unter unseren Augen, ohne dass wir es merken. Wir sind mit dem Kopf, den Gedanken, den Augen und den Ohren ganz woanders und nicht in der Lage, das Offensichtliche zu bemerken und zu ergründen. Es ist unsere Aufgabe, im Laufe des Lebens den richtigen Weg zu gehen und diese Geheimnisse zu ergründen. Wir sind oft nicht in der Lage, das zu machen und das lässt uns vom eigenen intimen Wesen in uns abrücken. Die Musik ist ein Instrument, die uns auf der Suche danach helfen kann. Viele Künstler stellen sich heute leider nicht die Frage, was sie zu sagen haben, sondern wie sie schnellstmöglich berühmt und reich werden können. Ich bin 58 und fühle die Verantwortung, gewisse Positionen klar und kompromisslos einzunehmen.

Gab es in deinem Leben einen entscheidenden Moment, wo dieses Verantwortungsgefühl von dir Besitz ergriffen hat?
Ich habe mich schon immer gegen kommerzielle Strömungen eingesetzt. Früher habe ich eher politische Lieder geschrieben, jetzt drehe ich meine Aufmerksamkeit auf andere Ebenen. Es ist nun mehr eine Ansage an die Kollektivität und die Gesellschaft. Ich spreche die Menschen direkt an, per du. Wir sind alle hier. Lass und miteinander reden. Ich will wissen, was in deinem eigenen, persönlichen Universum passiert. Die Gesellschaft ist die Summe vieler Individualitäten und ohne Individualitäten gibt es kein Kollektiv.

Die Gesellschaft wirkt in vielerlei Hinsicht so gespalten wie nie zuvor. Bist du mit deinen Themenkomplexen nun zeitgemäßer und aktueller dran, als du es dir vor zwei, drei Jahren überhaupt ausmalen konntest?
Pandemie hin oder her, man spürt die Verzweiflung und die Orientierungslosigkeit, die unsere Welt in den letzten ca. zehn Jahren prägte. Wir brauchen einen anderen Zugang zu uns miteinander, sonst wird es problematisch. Wichtig ist auch das Bedürfnis, unseren Kindern und Enkelkindern eine gute Welt zu hinterlassen. Wir können uns über alles streiten, aber wenn wir in erster Linie nicht den Planeten retten, dann ist alles andere sinnlos. Das sind die wichtigen Fragen der Gegenwart.

Der letzte Klimagipfel in Glasgow ging mit einem wenig zufriedenstellenden Kompromiss zu Ende. Verliert man da nicht langsam die Hoffnung auf ein globales Happy End?
Es stecken große wirtschaftliche Interessen dahinter und die Konzerne kämpfen wie verrückt darum, die Dinge für sie möglichst gut zu belassen. Ich verstehe nicht, dass Staaten wie China oder Indien nicht verstehen, dass bei diesen Entscheidungen ja auch bei ihnen alles kaputtgeht. Wie kann man so blind sein? Wir Europäer und Westler haben die Welt jahrzehntelang kaputtgemacht, ohne das zu verstehen. Die Aktivisten, die dagegen gekämpft haben, konnten auch nicht wissen, dass es so schnell bergabgehen würde. Es hat sich exponentiell extrem schnell entwickelt. Man kann die Welt noch retten, aber man muss stark sein und sofort intervenieren. Man darf keine Zeit mehr verlieren.

Es gäbe eigentlich viel mehr Themen und Gründe als vor einigen Jahren, um in der Kunst politisch zu werden. Warum hast du ausgerechnet jetzt auf „Canzoni Segrete“ einen anderen Weg gewählt?
Alles, was wir tun, kommt aus der Liebe. Die Liebe zu unserem Planeten, zu unseren Mitmenschen, für unseren Beruf und für unsere Freunde und Familie. Der Motor für alles im Leben ist und bleibt die Liebe. Auf dem Album besinge ich spezifische Probleme, aber die Antwort auf alle Fragen ist, dass nur die Kraft der Liebe uns retten kann. Wir haben in der Vergangenheit oft gesehen, dass verschiedene Ideologien die Welt an den Rand von Kriegen und Diktaturen gebracht haben. Die Liebe aber nicht. Man muss andere Wege finden, um miteinander auf der Erde zu leben.

Siehst du dich als Person der Öffentlichkeit in der Pflicht, solche Botschaften an die Außenwelt zu adressieren?
Ich bin an sich ein positiver Mensch und versuche auch so zu denken. Ich habe die große Chance, durch das Instrument der Musik zu sagen, was ich denke. Andere werden Schriftsteller oder Politiker. Mein Instrument ist das Lied und damit kann ich meine Welteinstellungen mitteilen und den Menschen offerieren. Die Musik hat eine große Macht. Sie verbindet Herz und Verstand, Bauch und Seele. Die Kunst alleine kann aber die Welt nicht verändern. Irgendwann muss man die Ideen mit Fakten untermauern und übersetzen. Die Kunst kann aber einen Anstoß geben.

Du hast als junger Mann Jura studiert und dann einige Jahre als Journalist gearbeitet. Hast du als Musiker die größte Wirkung, deine Gedanken nach außen zu tragen und zu teilen?
Die Musik kann einen sehr großen Gesellschaftsbeitrag leisten. Es gab keine politische Bewegung, die nicht von Musik begleitet wurde. Es gab zu jeder Veränderung einen Soundtrack, aber man muss Interpreten finden, die sich nicht aus egoistischen Gründen als Figuren für eine Veränderung hergeben. Man braucht Interpreten, die alles aus Liebe für die anderen und nicht als Selbstliebe machen. Napoleon hat die Französische Revolution ausgenützt, um Imperator zu werden. In der Sowjetunion hat das Lenin gemacht und in Kuba Fidel Castro. Egal, ob das linke oder andere Revolutionen waren, es ging immer nur um den Egoismus. Diese Fehler sollten wir nicht mehr wiederholen.

Als Journalist hast du in deiner alten Heimat Palermo gegen die Mafia gekämpft und Sizilien 1985 verlassen, weil dein damaliger Chefredakteur von der Cosa Nostra ermordet wurde. Hast du dir den rebellischen Kern deiner jungen Jahre erhalten?
Ich bin ruhiger geworden in der Form, aber nicht in der Substanz. Ich werde weiter versuchen Wege zu finden, um eine bessere Gesellschaft zu bilden. Die Formen ändern sich mit dem Alter. Die Rock’n’Roller, die mit Mitte 80 noch so tun, als wären sie 20, sind für mich ein Witz. Das ist reines Kokettieren. Man ist kein Ausdruck seines Alters und man kann mit 80 nicht denken wie ein Zwanzigjähriger. Das ist eine unreife Form des Daseins und damit belügt man sich selbst.

Reife muss man auch annehmen können. Gerade im Popmusikbereich kämpfen viele alternde Künstler mit Biegen und Brechen gegen mehr Reife an.
(lacht) Es ist nicht leicht, das gebe ich zu, aber ich habe mich selbst gehört. Hauptsache ist, dass du nicht der Sklave deiner eigenen Persönlichkeit und deiner Erfolge bist. Das Leben kommt sowieso so, wie es kommt.

Du hast vorher davon gesprochen, welche Welt wir unseren Kindern mitgeben. Deine Kinder sind selbst erfolgreiche Musiker. Dein Sohn Faber füllt bei uns schon die Arenen und Tochter Madlaina reüssiert bei Steiner & Madlaina, wohnt zudem seit kurzem in Wien. Welche Ansichten hast du deinen Kindern mitgegeben, die von ihnen angenommen wurden?
Ich bin sehr glücklich, dass sie mit der Musik ein Ventil gefunden haben, um ihre Weltanschauungen auszudrücken. Das tun sie gut, mit viel Mut und mit großer Überzeugung. Sich passen sich nicht an und ziehen ihr Ding durch. Darüber bin ich sehr glücklich.

Decken sich eure Weltanschauungen oder überwiegen manchmal die Generationskonflikte?
Natürlich gibt es die. Als die beiden in der Pubertät waren, wurden die Grenzen natürlich ausgelotet, aber diese Phase war schnell vorbei.

Ihr drei macht verschiedene Arten von Musik. Hört und respektiert da jeder jeden?
Wir schicken uns unsere Lieder, hören sie durch und geben unsere Meinungen ab. Die Kommunikation ist unter diesen Aspekten sehr gut und zum Teil auch sehr lustig. Ich bin sehr froh darüber, was sie machen.

Kommen wir zurück zu deinem Album - welche Probleme zeigst du denn darauf auf, die durch und mit Liebe gelöst werden können?
Mit Liebe kann man sehr viel lösen. Es bedeutet, zu geben und das bedeutet automatisch, das eigene Ego zu verlassen oder es hintenanzustellen. Wenn wir für andere etwas tun, dann haben wir politisch schon sehr viel erreicht. Für mich ist das nichts Persönlich-Individuelles, sondern ganz klar etwas Politisches. Das macht man aber aus Liebe und darum ist die Liebe der Motor für alles.

Bist du selbst über die Jahre selbstloser geworden?
Vielleicht bin ich es geworden. Ich war früher sicher egoistischer als ich dachte. Da habe ich mich wohl lange selbst belogen. Das irgendwann verstanden zu haben, war ein wichtiger Schritt in meiner persönlichen Reflektion.

Gab es von dir aktivistische oder rebellische Aktionen, die du mit dem Wissen und der Reife des fortschreitenden Alters bereust?
Ich würde sicher einige Dinge anders machen, das ist ganz klar. Ich würde nicht mehr so sehr ins Rampenlicht treten, sondern lieber hinter den Kulissen stehen. Die Sache an sich viel stärker in den Vordergrund stellen und mich selbst als Individuum zurückreihen.

Wäre denn das politische Parkett nichts für dich? Siehst du dich dort gar nicht?
Ich wurde in Italien schon oft für politische Aktionen angefragt, um in verschiedenen Parteien anzutreten. Das war mir aber nie ein Bedürfnis. Um das zu machen, müsste ich die Musik verlassen, denn man kann nicht beides vermischen. Dazu bin ich noch nicht bereit. Ich kann als Musiker wahrscheinlich mehr aussagen und helfen, als aus der politischen Perspektive heraus. Es ist schon gut so, wie es ist. (lacht)

Ein guter Freund von dir ist z.B. Konstantin Wecker. Sind eure Stimmen in dieser Welt heute wichtiger denn je? Dass man als Künstler auch ganz klar Position bezieht?
Mein Sohn Julian aka Faber macht das auch. Aber du hast recht, es werden immer weniger, die das so klar machen. Wichtig ist aber, dass die Jungen sich klar artikulieren. Sie sprechen jene Menschen an, die die Welt von morgen gestalten werden. Konstantin und ich sind leider gescheitert, das sieht man heute sehr gut. Es lag nicht an uns persönlich, aber unsere Generation hat viel falsch gemacht. Auch wenn ich nicht genau weiß, was, aber hätte man uns zugehört, wäre die Welt ja eine bessere. Ich erkenne, dass ich dort und da Fehler gemacht habe. Es gibt heute keine Bewegung, mit der ich mich voll identifizieren kann. Kein Kollektiv, das eine Weltvorstellung ausdrückt, die sich mit meiner deckt. Meine Generation war nicht fähig, international eine Struktur oder Plattform zu konstruieren, auf der eine neue Welt sich hätte etablieren können.

Aber ihr gebt nicht auf. Weder Konstantin, noch du. Ihr kämpft unaufhaltsam für eure Werte und Ideale.
Aufgegeben wird am Schluss!

Was sollen die Menschen von deinem Album „Canzoni Segrete“ mitnehmen, wenn du dir das aussuchen könntest?
Geheime Lieder sind Lieder, die wir an die Banalität der Masse adressieren. Es sind Lieder, die wir schützen wollen vor dieser Banalität. Als ich jung war, hatte ich Künstler entdeckt und wollte diese Entdeckung mit all meinen Freunden teilen. Dass wir alle dorthin gehen und feiern. Heuer ist genau das Gegenteil eingetreten. Ich will diese Künstler schützen vor der Banalität der Masse und das ist vielleicht auch ein Fehler. Aber ich will, dass Intimität herrschen darf. Ich will Konzerte geben, wo ich nicht mit einer formlosen Masse, sondern mit jedem einzelnen Besucher spreche. Jeder soll sich in meinem Konzert persönlich angesprochen fühlen. Das ist mein großes Ziel mit diesen Liedern.

Siehst du deine Auftritte als eine Mischung aus Konzert und polit- oder gesellschaftskritischer Ansprache?
Das war immer so und mein Publikum hat es auch immer so verstanden. Das ist das Geheimnis von meinem bescheidenen Erfolg. Trotz meiner unpopulären Argumente habe ich ein Publikum gefunden und das freut mich. Ich mache keine Partymusik, sondern gebe ein Konzert, wo wir uns alle auf einer imaginären Plattform finden müssen. Ich will auch kein passives, sondern ein aktives Publikum. Es soll sich nicht nur berieseln lassen, sondern einen Teil von sich geben. Ein gutes und aufmerksames Publikum ist noch wichtiger als der Einsatz des Künstlers. Jedes Konzert ist ein Dialog, kein Monolog.

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