krone.tv-Reportage

Korruption: „Warum sollte ich Politik vertrauen?“

Politik
06.11.2021 14:41

Untreue, Bestechlichkeit, Bestechung - Chatprotokolle und strafrechtliche Ermittlungen erschüttern die Republik und bringen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seinen engen Kreis in Bedrängnis. Kulturell ist der Begriff „Freunderlwirtschaft“ im österreichischen Vokabular fest verwurzelt. Warum hat man sich an politische Skandale hierzulande schon gewöhnt? krone.tv sprach mit Experten, Juristen und Bürgern, um dem nachzugehen.

Ein stylisher Officeturm auf dem Gelände des neuen Wiener Hauptbahnhofs. Hier hat sich Transparency International Austria eingemietet. Wir treffen den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Dr. Alexander Picker und den Geschäftsstellenleiter Luca Mak in ihrem bescheidenen Büro. Die Anti-Korruptions-NGO veröffentlicht jährlich eine Korruptions-Rangliste. Österreich rangiert auf Platz 15 von 180 untersuchten Ländern. „Wir kämpfen gegen die Korruption und bemühen uns, dass Österreich besser wird, unter anderem mithilfe des Corruption Perception Index (CPI)“, so Picker.

Absturz durch ÖVP-Affäre wahrscheinlich
Der Index wird von 13 Instituten anhand von Studien von Experten in den jeweiligen Ländern mittels einer Formel berechnet. „Ein Algorithmus fasst das zusammen, vergibt Punkte zwischen 1 und 100. Österreich hat 76.“ Damit ist das Land nach dem Ibiza-Video auf Platz 15. Ein weiterer Absturz durch die ÖVP-Affäre ist wahrscheinlich: „2020 haben wir gesehen, dass die Geschehnisse von Ibiza dazu beigetragen haben, dass Österreich einen Punkt verloren hat.“ Wenn Korruption aufkomme, „heißt es nicht, dass es sie vorher nicht gegeben hat“. Aber bei solchen Enthüllungen gebe es auch einen positiven Aspekt: „Es hat eine generalpräventive Wirkung“, so Picker, bei der man davon ausgehen könne, „dass es weniger Korruption in Zukunft geben wird. Weil Menschen sagen: ‚Hoppala, das kann ich nicht tun, ich werde möglicherweise erwischt.‘“

Österreich über dem EU-Durchschnitt bei Freunderlwirtschaft
Aber nicht nur Politskandale und Korruption auf höchster Ebene bereiten der NGO Sorgen. „Kleine Länder sind anfälliger für das Phänomen“, sagt Geschäftsstellenleiter Mak. Bestechlichkeit und Käuflichkeit sind auch für die österreichischen Normalbürger eine Realität. Ein „Barometer“ untersucht mittels Umfragen Tendenzen in der Bevölkerung - mit einem ernüchternden Ergebnis. „Freunderlwirtschaft spielt laut der Umfrage im Alltag der Österreicher eine große Rolle. 40 Prozent jener, die eine öffentliche Dienstleistung in Anspruch nehmen, haben sich in den vergangenen zwölf Monaten dieses Instruments, der ,Freunderlwirtschaft‘, im Gesundheitsbereich oder in Schulen bedient. Österreich liegt da sieben Prozent über dem EU-Durchschnitt“, gibt Mak zu bedenken.

Vor der Wiener Karlskirche treffen wir Mag. Martin Kreutner. Er ist seit 15 Jahren  in der Korruptionsbekämpfung tätig - erst als Polizeijurist, dann als Leiter und Dekan der Internationalen Anti-Korruptions-Akademie mit Hauptsitz in Laxenburg. Nun ist er Proponent des Antikorruptionsvolksbegehrens. Dieses fordert Reformen zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit im Land. Korruption habe einen starken soziologischen Kontext, so der Experte: „Sie haben eine unterschiedliche Trinkgeld- und Geschenkkultur in Ländern wie Finnland, Italien oder Japan.“ Kaffee beispielsweise gehöre zur österreichischen Kultur: „Selbst einem Rechnungsprüfer kann man durchaus einen Kaffee anbieten. Wenn aber neben dem Kaffee eine dreilagige Bonbonniere und zwei Flaschen Champagner liegen, dann müssen die Alarmglocken läuten. Das haben wir ja in unserem kulturellen Verständnis, dass das nicht in Ordnung ist.“

„Keiner wird mehr 100 Euro dazulegen für ordentlichen Steuerbescheid“
Historisch hat sich die Alltagskorruption gewandelt. „Wenn man irgendwo seinen Steuerbescheid ausfüllt, wird heute keiner mehr 100 Euro oder 100 Schilling - wie es früher war - dazulegen, um einen ordnungsgemäßen Steuerbescheid zu bekommen. Darüber sind wir alle doch froh, dass wir alle nicht illegal handeln müssen und vom Gesetz alle gleichbehandelt werden.“ Genau das verlangt Kreutner auch von Kurz & Co: „Gerade die obersten Repräsentanten der Politik und der Wirtschaft müssen Vorbild sein.“ Bezüglich Chats: „Derartige Sprüche und Denke - letztendlich ist das ja auch Denke, wenn ich an Pöbel und Quotenweiber denke -, das kann es nicht sein.“

Geldstrafen für Überschreitung der Wahlkampfkosten „Wettbewerbsverzerrung“
Für Kreutner sind Skandale wie die ÖVP-Affäre nicht tabu genug: „Was würden wir uns den Mund und das Maul zerreißen über irgendein anderes Land, wenn derartige Dinge dort passieren würden. Wenn Chats und Verdachtslagen auftauchen, dass Wahlen manipuliert worden sind, mit gekauften Umfragen, dass da Meinungsforschungsinstitute mitspielen, dass die Wahlkampfkostenobergrenze um 80 bis 100 Prozent überschritten wird - gleichzeitig in einem anderen EU-Land immerhin ein ehemaliger Staatspräsident (Anm.: Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy) dafür zu einem Jahr Haft verurteilt wurde. Bei uns aber wird das eingepreist.“ Milde Geldstrafen bei Überschreitung kämen einer Wettbewerbsverzerrung in der Demokratie gleich. „Das gehört angesprochen.“

Es leide dabei immer das Ansehen des Landes auf internationaler Bühne. „Natürlich tut man sich schwer, ausländischen Fachleuten gegenüber zu erklären, was hier passiert.“ Insbesondere dann, „wenn Österreich auch Experten ins Ausland schickt, um andere Länder zu beurteilen und bewerten“. Kreutner ringt sich ein Lächeln ab. Dies passiere im Rahmen „der EU, des Europarates, der OECD und der Vereinten Nationen“. Was das Volksbegehren angeht, ist der Ex-Polizeijurist motiviert: „Gehen wir es an. Es liegen 72 Vorschläge am Tisch. Die sind umsetzbar, zum Teil auch ohne große verfassungsgesetzliche Beschlüsse.“ Wenn es einen Konsens gebe, gehe es natürlich leichter. „Und ich bin überzeugt davon, dass es uns danach besser geht.“ Mittels Handysignatur und Bürgerkarte dauere das Unterschreiben des Volksbegehrens wenige Sekunden, rührt er noch die Werbetrommel. „Je früher, umso besser!“

„Vertrauen in die Politik? Was bringt uns das?“
In einem kleinen Café im dritten Wiener Gemeindebezirk werden an diesem Abend die SMS-Leaks heiß diskutiert. Kellnerin Felicia K. ist trotz der jüngsten Chats nicht empört. „Korruption gibt es überall.“ Enthüllungen bedeuten für sie keinen Vertrauensverlust, denn sie hat kein Vertrauen in die Politik. „Warum sollte ich Vertrauen in die Politik haben, was bringt uns das? Ich hab gehört, dass Kurz seine Immunität verliert, ich glaube er hatte keine Wahl mehr. Deshalb ist er zurückgetreten.“ Stammgast Albert S. ist ähnlich abgeklärt bis pessimistisch eingestellt. „Solche Entwicklungen beginnen immer früher. Es war schon vorher etwas im Busch und jetzt ist es halt an die Oberfläche gekommen. Ich bin nicht verwundert. Man sollte sich ganz genau anschauen, was passiert ist, wie die Politik strukturiert ist, wie sie mit den Medien zusammenarbeiten, und daraus die Konsequenzen ziehen. Man muss Gesetze ändern.“

Dass sich in absehbarer Zeit etwas ändert, glauben Felicia und Albert nicht.

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