Ein Jahr nach Anschlag

Flüchtling: „Wir sind nicht wie der Terrorist“

Wien
30.10.2021 06:00

Osama Abu El Hosna, ein junger Flüchtling aus dem Gazastreifen, hat in der Terrornacht einem Polizisten das Leben gerettet. Sein neues Buch ist ein Plädoyer für Toleranz.

An diesem sonnigen Herbsttag, einem Donnerstag, betritt Osama Abu El Hosna den Schwedenplatz. Den Ort, an dem er vor einem Jahr um ein Haar von Terrorist Kujtim Fejzulai erschossen worden wäre. Es ist aber auch der Ort, an dem er einem 28-jährigen Polizisten das Leben gerettet hat.

„Ich fühle mich gut hier“, sagt er im Gespräch mit der „Krone“. Es sei ein besonderer Platz für ihn. Nicht wegen des Terroranschlags, sondern weil er hier so viel Schönes erleben durfte. „Mein erster Silvester in Wien zum Beispiel. Ich war begeistert“, schwärmt El Hosna. Dennoch ging der 2. November nicht spurlos an ihm vorüber.

Im Traum kommt der Terror noch immer zurück
„Nur in der ersten Nacht konnte ich gut schlafen“, berichtet der 24-Jährige. Seitdem nicht mehr. „In der Nacht kommen die Erinnerungen. Aber das Schreiben meines Buches hat mir bei der Aufarbeitung geholfen.“

Osama Abu El Hosnas Buch „Wie wir nicht sind“, welches heute im Verlag edition-a erscheint, erzählt nicht nur die Geschichte vom Tag, als der Terror nach Wien kam, und dem Leben des jungen Mannes. Vom Aufwachsen im gebeutelten Gazastreifen, der dramatischen Flucht im Alter von 15 Jahren nach Österreich und dem Anfang in der neuen Heimat. Sondern es ist auch ein Plädoyer für Toleranz, Akzeptanz und das Vergeben.

„Was ich für Österreich empfinde“
„In diesem Buch steht, was ich für Österreich empfinde. Und ich will damit Vorurteile abbauen. Denn viele sehen uns Flüchtlinge oder Moslems so, wie wir nicht sind“, betont El Hosna. Er wolle die Chance nutzen, das Ansehen dieser Gruppe zu verbessern. Für sein eigenes Ansehen muss er – würde man glauben – nicht mehr eintreten.

An dem Tag, der das Land veränderte, steht El Hosna kurz nach fünf Uhr Früh auf. Für seine Schicht bei einem Fast-Food-Riesen. Eigentlich hatte er die Lehre zum Elektrotechniker abgeschlossen. Doch der Betrieb schrieb rote Zahlen, also kündigte El Hosna im Glauben, schnell wieder eine Stelle zu finden. „Immerhin hatte ich gute Noten, ein Jahr übersprungen“, schreibt er in seinem Buch. Aber so leicht wurde es nicht.

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Mit meinem Buch möchte ich Vorurteile abbauen und hoffe, dass die Menschen auch Ausländern eine Chance geben.

Die Beweggründe für sein Buch

Nach unzähligen Bewerbungen erhielt er eine Stelle in einem Betrieb in Floridsdorf. „In dieser Firma war ich der Außenseiter. Das war neu für mich. Seit ich in Wien war, bin ich immer mit allen Menschen gut ausgekommen“, schreibt er. Ausgrenzung kenne er von kleineren Orten in Österreich. „Aber nicht von Wien. Wien ist anders.“ Aber auch dieser Betrieb war anders. „Sie lachten über meinen Namen, nannten mich Osama bin Laden, einen Terroristen. Das hat mir sehr wehgetan“, sagt El Hosna, dessen Name eigentlich „Löwe“ bedeutet.

Osama, „der Löwe“ und Kujtim, der Terrorist
Und als Löwe steht er am 2. November schließlich einem tatsächlichen Terroristen gegenüber. Eigentlich wäre er an diesem Abend gar nicht vor Ort gewesen. Da aber der Lockdown am nächsten Tag startet, bittet ihn sein Chef auszuhelfen. „Wir waren gerade in der Tiefgarage am Schwedenplatz, um Absperrbänder zu holen“, erzählt der 24-Jährige. Auf einmal hört er die Geräusche. El Hosna weiß gleich, was es ist. „So wie ihr den Geschmack von Erdbeereis im Sommer seit Kindheit an kennt, kenne ich das Geräusch von Schüssen von klein auf.“

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Ich finde nicht, dass ich etwas Besonderes getan habe, sehe mich schon gar nicht als Held. Ich habe einfach nur geholfen.

El Hosna über seine Zivilcourage

Trotzdem traut er sich hinaus, seine beiden Kollegen waren schon vorausgegangen. „Und da habe ich ihn gesehen. Er war etwa 25 Meter weit weg von mir“, beschreibt er. Die Augen des Terroristen seien rot und ausdruckslos gewesen. „Er war wie ferngesteuert.“ El Hosna selbst wie festgefroren. „Meine Augen sehen ihn mit der Waffe, aber mein Hirn sagt mir, nein, das kann nicht sein, nicht hier. Es war wie ein Albtraum“, erinnert sich El Hosna.

Die kurzzeitige Fassungslosigkeit weicht dem Helferinstinkt. Er versteckt sich hinter einem Baum, Fejzulai zielt auf ihn, verfehlt ihn nur knapp. War das Glück? „Nein, das gibt es in so einer Situation nicht. Das war Gott“, sagt er.

Polizisten zum Rettungswagen geschleppt
In dem Moment kommen zwei Polizisten, wollen den Terroristen auslöschen, als er gerade nachladen muss. Doch er ist schneller, trifft den 28-jährigen Beamten. „Lauf weg“, befiehlt sein Kollege El Hosna. Doch er will helfen, und so schleppt er den am Oberschenkel stark blutenden Polizisten etwa 40 Meter weit zum Rettungswagen. „Eine Minute fühlte sich an wie Stunden“, sagt er. Auch beim Verhör, zu dem er nach seiner Heldentat abgeführt wurde und anfangs als möglicher Mittäter in Betracht gezogen wurde. Doch am Ende schenkt ihm ein Polizist den Aufnäher seiner Uniform. Es gibt Ehrungen, Medaillen von der Polizei. Und Anerkennung. „Etwa zwei Wochen lang. Dann ging Wien wieder zur Tagesordnung über“, weiß El Hosna.

Den Beamten, den er gerettet hat, trifft er nie. Der Bürgermeister von Weikersdorf, der seine Familie vor dem 2. November 2020 aufgrund ihrer Herkunft nicht in das von ihnen gekaufte Haus ziehen lassen wollte, ändert seine Meinung nicht. „Das tut sehr weh. Sie kennen uns gar nicht und mögen uns schon nicht“, bedauert er. Und auch die Verleihung der Staatsbürgerschaft wird ein schwerer Kampf. Mittlerweile steht er aber kurz davor, ihn zu gewinnen.

Fühlen Sie sich als Held? „Nein. Ein Held ist ein Vorbild. Ich mache Fehler. Aber ich lerne daraus.“ Dasselbe erhofft sich El Hosna von jenen Menschen mit Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen, nachdem sie sein Buch gelesen haben.

Die Buchpräsentation findet am 3. November um 19 Uhr im Thalia (6., Mariahilfer Straße 99) statt.

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