Klubchefs im Interview

Maurer: „Die Sozialdemokratie hat es nicht getan“

Politik
18.10.2020 05:55

Laut den Klubchefs von ÖVP und Grünen, August Wöginger und Sigrid Maurer, hat die Corona-Krise eines gezeigt: Ihre Koalition könne ein Projekt für mehr als eine Periode sein. An der SPÖ üben sie beide Kritik.

„Krone“: Frau Maurer, was wählen eigentlich Ihre Eltern?
Sigrid Maurer: Grün, sie sind übrigens beide Lehrer.

Sie sind also keine von den in Wien grün werdenden ÖVP-Töchtern, wovor August Wöginger einst gewarnt hat. Was haben Sie eigentlich gedacht, als Sie das hörten?
Maurer: Als ich es las, dachte ich: Na bist du deppert, das ist aber eine ordentlich patriarchale Aussage. Aber dann sah ich mir den Ausschnitt an, es war ja eine Rede bei einem Zeltfest, da ist dann schon das Augenzwinkern rübergekommen.

Herr Wöginger, Sie erlebten zwei andere Koalitionen in der ersten Reihe. Ist Ihnen diese jetzt die angenehmste?
August Wöginger: Es ist wirklich sehr angenehm. Es gibt Handschlagqualität, wir können über schwierige Themen reden. Frühere Große Koalitionen waren ja immer ein Gemetzel, man hat herumgeschnitten, am Ende blieb nur noch ein ungenießbares Stück übrig.

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Es ist wirklich sehr angenehm. Es gibt Handschlagqualität, wir können auch über schwierige Dinge reden.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger

Das türkise Nulldefizits-Dogma stand immer zwischen ÖVP und Grünen, mit Corona aber wurde das Geld de facto abgeschafft. Haben Sie es der Krise zu verdanken, dass Sie viel Geld für den Klimaschutz bekommen, Frau Maurer?
Maurer: Es wurde bereits im Regierungsprogramm verankert, dass es viel Geld für den Klimaschutz gibt. Wir müssen uns jetzt aus dieser Krise herausinvestieren, und auch raus aus der fossilen Vergangenheit. Es ist ein grünes Budget.

Der SPÖ ist es zu wenig.
Maurer: Die Sozialdemokratie hatte ihre Chance und viele Jahre Zeit, in der Regierung an diesen Stellschrauben zu drehen. Sie hat es nicht getan. Viele rote Infrastrukturminister - einige sitzen ja jetzt im Nationalrat - haben nicht zustande gebracht, was wir hier zustande bringen: etwa den 17-Milliarden Rahmenplan für die ÖBB oder das 1-2-3-Ticket, dessen erste Stufe im ersten Halbjahr 2021 kommt.

Nicht im Budget verankert ist, obwohl im Sommer noch vom Grünen-Chef erhofft, eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, die über die Einmalzahlung hinausgeht.
Maurer: Die Umgestaltung des Arbeitslosengeldes wäre jetzt nicht sinnvoll. Das ist ein Projekt, das Sinn macht, wenn die Beschäftigungskrise überwunden ist. Jetzt in der Krise haben wir andere Unterstützungsleistungen.

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Die Umgestaltung des Arbeitslosengeldes wäre jetzt nicht sinnvoll. Erst, wenn wir die Beschäftigungskrise überwunden haben.

Sigrid Mauer, Grünen-Klubchefin

Aber es sind doch jetzt über 400.000 Leute arbeitslos.
Maurer: Die Umgestaltung hätte eine Erhöhung am Anfang zum Ziel. Je länger man arbeitslos ist, desto weniger wird es. Das hat aber keinen Sinn, wenn es so wenige Jobs wie jetzt gibt.

In der Frage, ob man Flüchtlingskinder aus Moria aufnimmt, bissen Sie sich an der ÖVP die Zähne aus. Ist das Thema jetzt eigentlich erledigt?
Maurer: Das Thema kann nicht erledigt sein. Wir wären jederzeit bereit dazu. Wir haben Platz, die Betten in den Quartieren sind leer.
Wöginger: Wir setzen da aber bekanntermaßen auf die Hilfe vor Ort, haben die Mittel dafür auch aufgestockt. Und der Innenminister ist mit 55 Tonnen Hilfsgütern nach Griechenland gereist…

… die aber noch nicht auf Lesbos angekommen sind…
Wöginger: Weil die Griechen es übernommen haben, dort sind die griechischen Behörden zuständig.

Frau Maurer, waren Sie bei dieser Debatte irgendwann an dem Punkt, den Sinn dieser Koalition infrage zu stellen?
Mauer: Es waren tatsächlich sehr schwierige Debatten, und das Ergebnis freut uns nicht. Aber es gibt in diesem Parlament keine Mehrheit für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria. Wir werden das also weiter diskutieren. Es gibt ja auch in der ÖVP viele Menschen, die da eine andere Position haben.

Frau Maurer hofft also immer noch darauf, dass die ÖVP da umdenkt. Wird das passieren, Herr Wöginger?
Wöginger: Nein. Wir wissen auch aus Umfragen, dass zwei Drittel der Bevölkerung Hilfe vor Ort wichtiger finden, als zusätzlich Kinder aufzunehmen.

Apropos Umfragen: Laut diesen hat die Moria-Debatte den Grünen kaum geschadet, die Werte waren vor, nach und während des Streits nahezu gleich, ganz abgesehen vom guten Wien-Wahlergebnis. Ist Ihren Wählern das Thema vielleicht gar nicht so wichtig, Frau Maurer?
Maurer: Natürlich ist es unseren Wählern wichtig. Aber wir sind ja in diese Regierung gegangen, um in der Klimafrage etwas weiterzubringen. Ich lese diese Ergebnisse so, dass unsere Wähler sehr zufrieden sind mit der Regierungsarbeit.
Wöginger: Es sind ja nicht nur die Wahlergebnisse: Die Bewältigung der Corona-Krise hat wiederum gezeigt, dass diese beiden Parteien miteinander gut arbeiten können. Das wäre ja sonst nie und nimmer möglich.

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Die Bewältigung der Corona-Krise hat gezeigt, dass diese zwei Parteien gut miteinander arbeiten können.

ÖVP-Klubchef Wöginger

Sie sehen also in der bisherigen Bewältigung der Corona-Krise den ultimativen Beweis, dass Türkis-Grün ein Projekt für mehr als eine Legislaturperiode ist?
Maurer: Das kann’s jedenfalls sein, ja.
Wöginger: Das sehe ich genauso.

Herr Wöginger, die Opposition wirft besonders der ÖVP nicht erst seit der Corona-Krise vor, das Parlament zu missachten - etwa mit unzureichenden Anfragebeantwortungen oder kurzen Begutachtungsfristen. Ist das so?
Wöginger: Der Standort bestimmt den Standpunkt. Es ist das gute Recht der Opposition, da kritisch zu sein. Wir haben der Opposition in der Corona-Krise viel abverlangt, aber bemühen uns, dass wieder begutachtet wird und es keine Sammelnovellen mehr gibt.
Maurer: Ich sehe das auch nicht so. Es liegt ein bisschen in der Natur der Sache, dass eine Partei, die so lange wie die ÖVP regiert, eine andere Perspektive auf das Parlament hat als wir Grünen zum Beispiel.

Sind Sie für einen Corona-U-Ausschuss, wie Rot und Blau ihn teils fordern?
Maurer: Dazu sehe ich keine Notwendigkeit.
Wöginger: Ich auch nicht.

Klaus Knittelfelder, Kronen Zeitung

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