„Krone“-Interview

Amelie Tobien: Folk zwischen Dublin und Wien

Musik
01.10.2020 10:27

Mit 29 veröffentlicht die gebürtige Salzburgerin Amelie Tobien nun ihr Debütalbum. „We Aimed For The Stars“ steht in seiner Reduziertheit ganz in Tradition großer Singer/Songwriter wie Joni Mitchell, Bob Dylan und Neil Young und handelt das turbulente und internationale Leben der Künstlerin ab. Im ausführlichen Gespräch mit der „Krone“ erzählt die in Wien wohnhafte Vollblutkünstlerin mehr über sich.

(Bild: kmm)

„Krone“:Amelie, mit „We Aimed For The Stars“ erscheint dieser Tage endlich dein Debütalbum. Das ja eigentlich schon etwas länger fertig ist…
Amelie Tobien:
Es war zumindest ein längerer Prozess. Als wir mit der Aufnahme begannen, habe ich noch in Salzburg gewohnt und bin immer wieder zwischen dort und Wien hin- und hergependelt. Die Songs standen teilweise aber schon länger. Die meisten sind nicht älter als zwei Jahre. Ich war zwischen 2017 und 2018 ein Jahr in Dublin und dort entstanden die meisten. Es ist eine Rückschau auf die Zeit dort, eine Hommage an Dublin sozusagen.

Die Themen Reisen, Fernweh und sich woanders zu verlieren kann man gut mit dem Album assoziieren. Du warst aber nicht nur in Dublin unterwegs.
Während des Studiums war ich öfter in Frankreich und sonst eben in Dublin. Das sind meine zwei Lieblingskulturen in Europa, aus denen ich wohl die größten Einflüsse schöpfe, was das Sprachliche angeht. Ich wuchs mit amerikanischem Folk auf, aber da hatte ich bislang noch nicht die Chance, länger hinzufahren. Auch Kanada wäre so ein Sehnsuchtsland. Neil Young und Joni Mitchell haben mich sehr geprägt.

Das sind schon mal sehr gute Richtwerte, wenn man sich deine Songs anhört. Kann man die beiden als Hauptinspirationspunkte für dich bezeichnen?
Das sind Künstler, mit denen ich in den Kinderschuhen aufgewachsen bin. In letzter Zeit kamen zeitgemäße Künstlerinnen wie etwa Phoebe Bridgers dazu. Ich schätze auch einheimische Bands wie Oehl oder My Ugly Clementine, die mich inspirieren. Bob Dylan, Mitchell, Young und Co. sind aber sicher die Wurzeln.

Sind deine Eltern für diese frühen Einflüsse verantwortlich, denn darauf stößt man als Kind für gemeinhin nicht aus Zufall?
Mein erstes Album war von meiner Mutter ein „Greatest Hits“-Album von Simon & Garfunkel. Mein Vater schenkte mir von Crosby, Stills, Nash & Young das Livealbum „4 Way Street“. Das waren sehr wichtige Alben für mich, die mich beim Songwriting und durch ihren Vibe sehr geprägt haben.

Was hast du eigentlich studiert?
Englisch und Französisch und daher habe ich auch den besonderen Hang zu diesen beiden Sprachen und den Kulturen.

Dublin hat eine reichhaltige Historie was Musik, Schriftstellerei und Poesie anbelangt. Hast du das in deiner Zeit dort auch eingeatmet?
Auf jeden Fall. Es gibt dort so wahnsinnig viele tolle Musiker, von denen ich einige persönlich kennenlernen durfte. Man sitzt bis 4 Uhr morgens in den Bars und reicht die Gitarre herum. In dieser Gegend fühle ich mich wohl und davon habe ich mich anstecken lassen.

Fehlt dir diese Art von Kultur in Österreich? Auch die Open-Mic-Nächte und das ungezwungene Musizieren in Pubs, das auf der britischen Insel Usus ist?
Teils teils. Es fällt mir nicht schwer mich wo wohlzufühlen, wenn gewisse Parameter vorhanden sind. Auch in Wien gibt es tolle Lokale, Straßenmusik und die U-Bahn-Stars. Da ist die Stadt supergenial unterwegs, aber natürlich ist ein Teil meines Herzens in Dublin geblieben. Die Leute und die Stadt dort drüben haben mir den Push gegeben mich auf die Straße zu stellen, meine Songs zu spielen und zu schauen, wie viel in meinem Hut zusammenkommt. Ich habe das in Salzburg schon als Teenager gemacht, aber da sind die Gegebenheiten anders. In der Festspielstadt wird man in der Getreidegasse oft vertrieben. (lacht) In Dublin war ich das erste Mal ganz alleine und die Leute freuen sich richtiggehend, wenn man musiziert. Straßenmusik ist dort erwünscht. Sie ist akzeptiert und gehört dazu. Schon der Gang zum Amt, um die Erlaubnis zu kriegen, ist ganz anders als hier. Da fragen dich die Leute sogar, was du für eine Musik machst - in Österreich hat man oft das Gefühl, man würde gegen etwas verstoßen. (lacht)

Was waren die lehrreichsten und wichtigsten Erfahrungen aus deiner Zeit als Straßenmusikerin in Dublin?
Es hat mich anfangs sehr viel Überwindung gekostet, mich allein hinzustellen, doch je öfter ich das machte, umso mehr half mir das für die Bühne. Mach einfach und habe Spaß dabei. Lebe im Moment.

Hast du dir in Dublin ein Netzwerk an Musikern oder Songwritingpartnern aufgebaut?
Vor allem die letzte Nummer „We Aimed For The Stars“ ist der Stadt und all meinen Freunden dort gewidmet. Wir haben sehr viel miteinander geschrieben und in dem Song geht es darum, dass man immer dafür kämpft, um etwas aus sich und der Musik zu machen. Man geht zu jedem Open-Mic-Abend und wenn man scheitert, hat man es zumindest versucht.

Hat das ganze Album, das denselben Titel wie der Song trägt, dann eine differenzierte Aussage dazu?
Der Titel trägt schon den allumgreifenden Vibe. Es geht darum, dass ich mit der Zeit im Positiven abschließe. Das Album ist eine schöne Erinnerung und ich kann diese Erinnerung nun angreifen. Es ist ein bisschen wie ein Tagebuch. Ich bin nach wie vor mit vielen Leuten in Dublin in Kontakt und wir schreiben zusammen Songs und machen Online-Workshops. Es ist schön, dass diese Nähe geblieben ist.

Siehst du deine Basis zukünftig hier in Wien oder lässt du dir das offen?
Ich fühle mich im Moment sehr wohl, auch meine Familie lebt in Österreich, aber ich reise auch wahnsinnig gerne und lebe mich gerne in neue Kulturen ein. Ich will nicht ausschließen, dass es mich wieder mal woanders hin verschlägt.

Der Titel trägt sehr viel Hoffnung mit sich. Ist das eine Botschaft, die du in Zeiten wie diesen bewusst nach außen stülpst?
Ich bin niemand, der schwarzmalt. Es wird schon alles vorbeigehen und gut gehen. Selbst in dieser schwierigen Zeit entstanden coole Projekte und die Leute wuchsen online zusammen. Es ist kein Ersatz für das persönlich Gemeinsame, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass alles wieder gut weitergeht.

Am 3. Oktober spielst du im Wiener Fluc deine offizielle Album-Release-Show. Ist das für dich ein Gig wie jeder andere oder doch irgendwie anders oder besonders?
Mittlerweile bin ich schon aufgeregt, weil ich jetzt herzeigen will, woran ich so lange arbeitete. Einige die kommen kennen die Songs schon, aber ich hoffe es kommen auch Menschen, die etwas Neues entdecken wollen. Ich habe ein Produkt in der Hand, das meine Visitenkarte ist und das ist sehr aufregend. Ich habe ein bisschen Bammel, denn ist etwas anderes, wenn man so einen Gig alleine bestreitet.

„Rivers“ war die erste Single-Auskoppelung, die auf sehr viel positiven Anklang stieß. Inwiefern war die Nummer besonders für dich, sodass du sie als erstes in die Öffentlichkeit gejagt hast?
Das hat sich einfach so ergeben, da steckt nicht viel mehr dahinter. Allgemein steckt wenig Planung und Konzept hinter dem Album, es passierte viel durch „learning by doing“.

Spielt die Nummer etwa auf deinen Sprung ins kalte Wasser an, als du nach Irland gekommen bist?
Durchaus. Die einzelnen Songs haben alle Lyrics, die für mich etwas Bestimmtes bedeuten. Die Texte wachsen mit der Zeit mit und für die Hörer ist die Interpretation wieder anders. Ich finde es cool, dass jeder seine eigene Geschichte rausziehen kann und Assoziationen hat. Zuerst gehörte der Song mir, jetzt gehört er euch.

Ist das Album per se für dich persönlich oder fußt es eher auf Erlebnissen und Beobachtungen, die du außerhalb dir selbst gemacht hast?
Das Meiste ist mir sehr nahe oder handelt von Geschichten, die ich selbst erlebt habe. „Most Of All“ beruft sich auf die erste Zeit in Dublin, wo ich mich ein bisschen verloren gefühlt habe. Ich hatte meine Ausbildung daheim abgeschlossen und gearbeitet, doch als ich dort ankam, hatte ich anfangs weder Job, noch Freunde, noch einen Draht zu jemanden. Der Song ist der Schrei danach, all das zu finden. Das Album endet dann mit dem Shoutout an die ganze Gruppe, die ich kennengelernt habe. Somit sind die zwei Songs ein schöner Rahmen für all diese Erlebnisse.

„The Docks“ gibt es in Dublin auch haufenweise. Waren die für dich ein besonderer Kreativplatz?
Ganz im Gegenteil. Ich habe dort Vollzeit bei einem IT-Riesen gearbeitet, um mir in Dublin die Miete leisten zu können. Ich verbrachte zehn Stunden pro Tag vor dem PC und genau dort unten bei den Docks sitzen die großen Firmen wie Google, Facebook und alle anderen. Der Song ist eine Kritik an mich selbst, dass ich diesen Job gemacht habe. Ich habe Werbungen analysiert und auf Betrug durchforstet. Da steckt nicht viel Gutes dahinter. Ich hatte schon ein bisschen das Gefühl, in der Zeit meine Seele verkauft zu haben. (lacht) Rückblickend war es aber eine nette Erfahrung, weil ich sehr tolle Kollegen aus der ganzen Welt kennenlernte und mit ihnen abends im Pub war.

Anspielend auf die Nummer „All The Things I’ve Done“ - was sind denn Dinge, die du lieber nicht getan hättest?
(lacht) Der Job zum Beispiel. Man lernt viel, wenn man ein Album produziert. Gerade in der Musikwelt sind viele Menschen nicht unbedingt darauf aus, einem zu helfen, auch wenn sie es so vermitteln wollen. In der Hinsicht bin ich um einiges vorsichtiger und wenn man mal ganz alleine so ein Projekt startet, lernt man irrsinnig viel. Ich würde jetzt viel anders machen, aber ich bin glücklich, wie schlussendlich alles geworden ist.

Du kümmerst dich im Prinzip um so gut wie alles, hast noch nicht einmal eine PR-Beraterin. Das ist in Zeiten wie diesen extrem selten geworden.
In den letzten Wochen und Monaten hat mich das sehr ausgebrannt. Ich wünsche mir natürlich, dass die Musik so viele Leute wie möglich erreicht, aber ewig kann ich nicht alles alleine machen. Ich habe einen normalen Job und will ja auch schreiben, musizieren und kreativ sein. Irgendwann werde ich mir wohl Unterstützung holen.

Ist die Fokussierung auf englische Texte auch ein Schutzmechanismus? Weil man Persönliches dadurch nicht so direkt vermittelt?
Mit Sicherheit. (lacht) Ich schließe deutschsprachige Songs nicht aus, denn eine Band wie Oehl hat meinen Nerv gepackt. Ich höre sehr wenig deutschsprachige Musik, aber Ariel Oehl, der auch Salzburger ist, ist der erste, der in meinem Dialekt sang. Das hat mir gut gefallen, aber ich bin noch nicht soweit. Die englischen Texte kommen einfach so und auf Deutsch würde ich mich noch nackter machen.

Einen französischen Song findet man auf dem Album aber nicht…
Ich habe französische Nummern, aber sie sind hier nicht drauf. Das sind eher die Gassenhauer, die ich auf der Straße singe. Ich bin heute noch bei den U-Bahn-Stars dabei, auch wenn ich mir die Platzkarte bei der Stadt lange nicht mehr geholt habe, weil das ein bürokratischer Horror ist.

Du hast also schon genug Material für weitere Veröffentlichungen beisammen? Es geht also munter weiter?
Definitiv. Die Songs sind zwar aktuell, aber für mich sind sie schon länger fertig in der Box. Seitdem kam einiges dazu und ich freue mich auf neue Kooperationen mit neuen Leuten. Ich bin erst seit knapp zwei Jahren in Wien und habe schon viele tolle Leute kennengelernt, mit denen ich was machen möchte. Es kommt sicher schon bald was nach. Spruchreif ist aber noch nichts. Unlängst war ich Teil des „Acoustic Tuesday“ im Chelsea und da waren auch sehr viele coole Leute dabei, mit denen ich mich mal grob zusammengeredet habe.

Ist das Songschreiben für dich therapeutisch? Kannst du dadurch auch Dinge erledigen und abhaken?
Das kann man schon so sagen. Andere Leute gehen zur Therapie, ich schreibe meine Gedanken nieder und ordne sie. Dann auch bei Konzerten immer mantraartig die gleichen Texte zu singen kann sehr hilfreich sein, weil sich die Bedeutung von Songs verändert. Das Songschreiben hat mich sicher schon vor einigen Ausrastern geschützt. (lacht)

Du hast den Sound auf dem Album auf das Wesentlichste reduziert. Viel nackter und ursprünglicher kann man sich nicht mehr präsentieren. Kostete das für ein Debüt nicht noch mehr Überwindung?
Das erste Album von Bob Dylan hat mich dazu bewogen, diesen Schritt zu setzen. Ich will und kann mich nicht qualitativ mit ihm vergleichen, aber er hat es in einem Tag im Studio runtergespielt und das war auch meine Ambition. Ich spiele auf der Straße und der Bühne alleine und obwohl es natürlich toll wäre, etwas dicker produziert mit einer Band zu machen, wollte ich mich am ersten Album bewusst so präsentieren. Das bin ich und das hört man, wenn man auf ein Konzert von mir geht. Einerseits muss man sich so etwas trauen, weil ich keine Ahnung hatte, ob das so angenommen wird. Einem Trend außerhalb der Indie-Szene folge ich damit sicher nicht. Ich konnte aber auch gar nicht anders.

Kannst du dir vorstellen, deinen Sound und deine Ideen auszuweiten? Sie mit einer Band und einer großen Produktion zu erweitern?
Darauf hätte ich große Lust. Ich will mich eigentlich noch nicht auf einen bestimmten Stil festlegen. Ich liebe Folk genauso wie Singer/Songwriter oder Pop. Es wird immer ein bisschen eine Mischung aus diesen Eckpfeilern sein, auch in Zukunft. Einen Sound wie Lady Gaga werde ich wahrscheinlich nicht haben, obwohl sie ja auch leisere Töne beherrscht. Die große Pop-Produktion sehe ich bei mir nicht, es muss einfach etwas mit den richtigen Leuten probieren.

Zuletzt hat sogar Taylor Swift ein sehr gemütliches, ruhiges Album aufgenommen. Diese Entschlackung von Songs hat im Pop-Business weit mehr Akzeptanz als noch vor wenigen Jahren.
Der Hunger nach Analogem ist einfach da. Man sieht ja, dass wieder vermehrt Schallplatten verkauft werden und die Leute das Greifbare suchen. Ich brauche das total, auch wenn ich mich genauso auf Spotify tothören kann. Es schließt aber das Physische nicht aus, das Gesamtpaket muss einfach passen. Ich hab leider keinen Plattenspieler, kaufe mir aber immer gerne Vinyl, weil ich die Platten gerne zuhause habe.

Mit 29 ein Debütalbum rauszubringen ist gar nicht mal so früh. War der Plan schon länger da oder reifte der erst sehr spät in dir?
Ich kann nicht genau sagen, wie es jetzt dazu kam. Musik mache ich schon lange, hatte früher auch eine Band, aber mir war nie so ganz bewusst, dass man ein Album ja einfach machen kann. Ich habe mich anfangs sicher etwas gefürchtet, aber es ist keine Hexerei. Christoph Filip, der das Album auch produzierte und den Bass auf ein paar Songs gespielt hat, hat in Salzburg ein Studio und lud mich einfach ein. Er hat immer an mich geglaubt und ich habe ihm sehr viel zu verdanken.

Du bist also niemand, der nur den Weg der Musik gehen wollte? Es gab schon auch einen Plan B?
Es war der nächste logische Schritt. Bei Konzerten haben mich viele Leute gefragt, ob es meine Musik zu kaufen gibt, aber ich hatte nie was. Jetzt habe ich endlich eine Visitenkarte - nämlich das Album. (lacht) Ich bin jetzt professioneller aufgestellt.

Wie geht es nach der Release-Show mittelfristig bei dir weiter? Was ist geplant, welche Schritte verfolgst du?
Ich habe am 16. Oktober noch einen Gig in Salzburg und dann werde ich mich auf das nächste Projekt stürzen. Mein Freund Dylan Goff bringt Ende des Jahres sein erstes Album raus und ich habe dort mitgesungen. Dann werde ich mich einfach weiterorientieren. Die nächste Single oder EP kommt aber bestimmt. Eine Tour wäre schon auch echt lustig, aber das scheitert derzeit weniger an mir, als an anderen Parametern.

Live-Shows
Amelie Tobien spielt die Release-Show ihres Albums „We Aimed For The Stars“ am 3. Oktober im Wiener Fluc. Am 16. Oktober tritt sie mit den Purple Souls im Salzburger Rockhouse auf. Alle weiteren Infos und Tickets gibt es unter www.amelietobien.com

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