Vor Auto gelaufen

Todesdrama am Schulweg: „Sophie ist immer da“

Oberösterreich
06.09.2020 06:01

„Sophie ist jeden Tag da, auch wenn sie vor eineinhalb Jahren gestorben ist“ - in ihrer Wohnung in Feldkirchen bei Mattighofen in Oberösterreich ist ihre Mutter Sabine Öller von Bildern ihrer Tochter umgeben, die im März des Vorjahres bei einem Schulwegunfall ums Leben kam. Und wenn am 14. September in Oberösterreich der Unterricht nach den Sommerferien wieder beginnt, wünschen sich alle Eltern, dass ihren Töchtern und Söhnen so ein tragisches Schicksal niemals passieren wird. Traurige Bilanz im Jahr 2019: vier getötete Kinder und 510 Unfälle mit Verletzten auf Schulwegen in Österreich.

„Sophie ist nie allein zum Bus gegangen und wir haben sie auch immer abgeholt“, erzählt die 33-jährige Innviertlerin und weiß noch genau, wie am Mittwoch, dem 20. März 2019, um 16 Uhr ihre Welt zum zweiten Mal zusammenbrach, nachdem sie zwölf Jahre zuvor ihren Sohn Michael, der als Frühchen zur Welt gekommen war, verloren hatte.

An diesem Tag war einfach alles anders
Die Mama war am Weg zur Haltestelle, wo Sophie jeden Tag in den Bus ein- und ausstieg: „Der Busfahrer ist immer so stehen geblieben, dass sie nicht über die Straße laufen musste. An diesem Tag ist er aber aus irgendeinem Grund anders gefahren, stand auf der anderen Seite“, erzählt die Mutter, die gerade am Weg vom Haus, das in unmittelbarer Nähe zur Haltestelle steht, zu Sophie war, als es krachte.

„Ich hab’ sie nicht fliegen sehen, aber war gleich bei ihr“, erinnert sich Sabine Öller. „Der Busfahrer hat zu Sophie noch gesagt, ,Warte, bis ich weg bin‘, doch aus irgendeinem Grund ist sie über die Straße gelaufen.“ Genau vors Auto eines Braunauers (76), der nicht mehr bremsen konnte. Er lenkte noch zur Seite, Sophie wurde aber erfasst und 33 Meter weit in die Wiese geschleudert.

Die Zehnjährige, die viele Freunde hatte, gerne musizierte und als Ministrantin aktiv war, erlitt lebensgefährliche Verletzungen, starb wenige Stunden später im Salzburger Spital.

Kein Wort des Hasses über Unfalllenker
„Wenn ich am Steuer des Autos gesessen wäre, mir wäre es nicht anders gegangen, ich hätte auch nicht bremsen können“ - in den Worten der Mutter ist kein Zorn oder gar Hass gegen den Todeslenker. Im Gegenteil: „Ich war erleichtert, als der Autolenker gleich freigesprochen worden ist. Er muss eh damit leben, was passiert ist. Aber Schuld trägt er wirklich keine.“

Nur der Busfahrer, aber nicht die anderen Kinder, die das Unglück mit angesehen hatten, mussten in den Zeugenstand. Laut Gutachten war der 76-Jährige langsamer unterwegs, als in der 70er-Zone erlaubt gewesen wäre und er hatte keine Chance, Sophie rechtzeitig zu sehen. Außerdem war der Bus, der noch dazu in eine Seitenstraße eingefahren war, nicht eindeutig ersichtlich als Schulbus gekennzeichnet gewesen - eine Gefahrenquelle, die inzwischen beseitigt wurde.

Zitat Icon

Ich mache dem Lenker keine Vorwürfe. Warum Sophie, die stets vorsichtig war, an dem Tag über die Straße lief? Ich weiß es nicht.

Sabine Öller

Fast täglich besucht die Mutter, deren Beziehung - ihr Partner damals war nicht der leibliche Vater von Sophie - am Unfall zerbrach, Sophie und Michael am Grab. Trägt ihre Fußabdrücke eintätowiert am Unterarm, in den Flügeln von Schmetterlingen. „So sind meine Kinder immer ganz nah bei mir“, sagt die Mutter, die vom Fenster direkt auf die Volksschule schaut, wo Sophie einst lernte.

Dieser Blick ist für Sabine Öller nicht belastend, allerdings der Anblick des Busses, der ihre Tochter schon zur Volks-, dann zur Musikmittelschule Eggelsberg gebracht hat. „Den Bus sehe ich täglich“, sagt die starke Innviertlerin, die nicht mit dem Schicksal hadert.

„Dein Lachen werden wir nie vergessen“
Bald beginnt auch an der einstigen Schule von Sophie wieder der Alltag. Ihr Platz in der Musikmittelschule Eggelsberg bleibt leer, in den Herzen ihrer Mitschüler und Lehrer wird das beliebte Mädchen weiterleben.

Nach dem Unglück wurden die Kinder von Kriseninterventionsteams und dem Pfarrer betreut, Direktor Theo Landrichinger und Klassenvorstand Bettina Lindauer fanden tröstende Worte, Mitschüler schrieben an Sophie: „Dein Lachen werden wir nie vergessen.“

„Wir haben auch alles getan, damit Sophie immer sicher unterwegs ist. Das machen doch alle Eltern“, sagt die Mutter von Sophie, die sich über die Sicherheit am Schulweg weniger Sorgen gemacht hatte. Viel mehr Angstschweiß hatte sie vergossen, als Sophie den Fahrrad-Führerschein gemacht hatte und mit ihrem Rad durch die Gegend geflitzt war. Doch mit dem Fahrrad ist Sophie immer gut nach Hause gekommen.

Schulweg mit Kindern trainieren
Von allen Seiten, sei es Autofahrerclubs, Elternvereine oder Politik ist in diesen Tag stets zu lesen und zu hören: „Trainieren Sie mit ihrem Kind den Schulweg.“ Da gibt es Tipps, wie dass man sich im wahrsten Sinne auf Augenhöhe des Kindes begeben soll, und Hinweise, dass Kinder die Geschwindigkeit von Fahrzeugen nicht richtig einschätzen können.

„Wir haben so aufgepasst und Sophie hat sich beschwert, weil sie nicht alleine gehen durfte. ,Ich bin ja schon in der Hauptschule’, hat sie da gesagt. Passieren kann einfach immer was. Man denkt eben nie, dass es einem selbst passiert.“

Markus Schütz, Kronen Zeitung

 krone.at
krone.at
Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele