Geheimnis seiner Macht

Ungarns „Viktator“ Orban und die Salami-Taktik

Ausland
25.04.2020 06:00

Mit einer Vorahnung dessen, was auf ihn zukommt, hat Viktor Orban ziemlich brachial die Krankenhäuser räumen lassen, die seit seinem berüchtigten Selbstermächtigungsgesetz unter Militärverwaltung stehen. Die Mehrzahl der Betten soll für Corona-Patienten verfügbar bleiben. Die Spitäler mussten 60 Prozent ihrer Betten freimachen und dabei Patienten nach Hause schicken. Angehörige von Patienten seien ratlos und überfordert, heißt es in den sozialen Medien.

Chronisch Kranke und Pflegefälle, die aus den Krankenhäusern entlassen werden, mögen zu Hause von ihren Familien betreut werden, erklärte die oberste Amtsärztin Cecília Müller. Aufgrund der Regierungsanordnung sahen sich Chefärzte gezwungen, Kranke vorzeitig zu entlassen. Deren Pflege überfordert nun die Angehörigen oder kann von diesen gar nicht gewährleistet werden.

Oppositioneller: „Das wird man euch nicht verzeihen“
Das Internet-Portal index.hu zitierte einen Betroffenen: „Meinen Vater hat man nach einer Fußamputation mit kaum verheilter, eiternder, noch vernähter Wunde nach Hause geschickt.“ Die Schwiegertochter verbinde nun die Wunde, die Familie suche noch nach einer Fachkraft, die die Nähte zieht. Der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Ferenc Gyurcsany schrieb auf seiner Facebook-Seite: „Das ist die denkbar unmenschlichste Verantwortungslosigkeit, die eine Regierung in dieser Lage begehen kann.“ Orbans Kabinett verschulde den Tod von Tausenden Menschen. „Das wird man euch nicht verzeihen“, fügte er hinzu.

„Opposition steht auf Seite des Virus“
Damit wird klar, weshalb es Orban für notwendig erachtete, trotz der Zweidrittelmehrheit (an Mandaten, nicht an den 49 Prozent Stimmen) das Parlament loszuwerden: als Vorbeugung gegen alle Eventualitäten. Der (noch?) hilflosen Opposition ließ der Meister-Populist ausrichten, dass sie „auf der Seite des Virus“ stehe. Wie soll sich das demokratische Europa verhalten zu dem „Viktator“, der Bürgerrechte systematisch aushebelt?

EU-Kommissionspräsident Juncker hatte ihn einmal als „Diktator“ begrüßt, aber das war nur als Scherz gemeint gewesen. Beide lachten, worüber es eigentlich nichts zu lachen gibt. Von der EU muss Orban nichts befürchten. Die neue Kommissionschefin Ursula von der Leyen verdankt ihm ihren Job. Außerdem haben die Regierungen in Budapest und Warschau eine Vereinbarung geschlossen, dass jeweils einer durch Veto EU-Beschlüsse verhindert, die sich gegen den anderen richten.

Die Hand beißen, die dich füttert
Zu Hause „lebt“ Orban von der systematischen Verunglimpfung der EU, obwohl Ungarn pro Kopf der größte Empfänger von EU-Hilfsgeldern ist. Motto: Die Hand beißen, die dich füttert. Ungarn bekommt auch jetzt Corona-Hilfe aus Brüssel, doch Orban veranstaltet lieber einen Kult um chinesische Hilfslieferungen, denn er will sich im Kampf gegen Corona nicht von den „Querulanten der EU behindern lassen“. Damit gemeint sind Demokratie-Mahnungen aus Brüssel. Zur Debatte steht auch der Status der Regierungspartei Fidesz in der Familie der Europäischen Volkspartei (EVP). Dort ist Orban zwar schon suspendiert, aber nun wächst der Druck zu einer vollständigen Trennung vom „Viktator“.

Europäische Parteien mahnen mehr Demokratie ein
13 Parteien (ohne ÖVP) formulierten einen Brief, in welchem sie Demokratie einmahnten, ohne allerdings den Adressaten beim Namen zu nennen. Dieser leistete sich den Zynismus - auch das ein Charakteristikum seiner Herrschaft -, diesen Brief willkommen zu heißen, denn Demokratie sei ja schließlich auch seine Herzensangelegenheit. Es darf erwartet werden, dass Orban bei der Linie bleibt: Immer wenn es wirklich eng wird, einen Schritt zurückmachen, aber nur einen halben.

Machterschleichung statt Machtergreifung
Das entspricht der legendären ungarischen Salami-Taktik, die sich der „Viktator“ von den Kommunisten abgeschaut hat. Ungarns stalinistischer Parteichef Matyas Rakosi (sprich: Rakoschi) hatte sie „erfunden“ und sich selbst damit gebrüstet: Im Nachkriegsungarn ab 1945 schnitten die Kommunisten bei demokratischen Parteien eine Scheibe nach der anderen von der Salami der Macht ab - bis diese zu spät feststellen mussten, dass sie nichts mehr in der Hand hatten.

Ein Jugendfreund des Premiers ist der reichste Mann Ungarns
Orban hatte schon 2015 von den damaligen Notverordnungen wegen des Migrantenansturms ein paar Scheiben zurückbehalten, und so wird es auch diesmal sein. Mit der Salami-Taktik hat er auch die Medien unter seine Kontrolle gebracht: Erst wurde ihnen die wirtschaftliche Grundlage entzogen, und dann wurde eines nach dem anderen durch Strohmänner aufgekauft. Ungarns größter Strohmann ist - kein Witz! - der frühere Gasinstallateur und Jugendfreund Orbans in seinem Heimatdorf Felcsut, Lorinc Meszaros. Der heutige Chef eines riesigen Wirtschaftsimperiums und reichste Mann Ungarns ist somit der Pate dieses als „Kleptokratur“ bezeichneten Herrschaftssystems - eine Bezeichnung aus dem Altgriechischen für Diebesherrschaft und Diktatur.

Staatsaufträge für das Wirtschaftsimperium von Mészáros
Meszaros macht gar kein Geheimnis daraus, wem er seinen sagenhaften Aufstieg zu verdanken hat: „Gott, Glück und Orban!“ In sein Wirtschaftsimperium fließen Staatsaufträge und landen EU-Gelder. Orbans Heimatort kam auch in den Genuss eines als „Puskas-Akademie“ bezeichneten Stadions mit über 3800 Sitzplätzen - doppelt so viele wie die Einwohnerzahl des Ortes. Orban wird sich als Retter der Nation doch noch ein kleines Fußballhobby leisten dürfen! Wenn der Morgen anbricht, sagt Orban seinen Landsleuten „Guten Morgen Ungarn“ über Radio und Facebook. Inhalt: Nationalismus, Spott und Hohn über die Opposition und die EU, Angstkampagne um den zum Staatsfeind Nummer 1 hochstilisierten George Soros. (Ein Soros-Stipendium hatte dem jungen und damals noch linksliberalen Orban ein Studium an einer britischen Universität ermöglicht.)

Paul Lendvai: „Er ist der beste Schüler von Putin, nur schlauer“
Budapests oppositioneller, aber machtloser Bürgermeister Gergely Karacsony über das „System Orban“: „Er baut Bedrohungskulissen auf, als deren Bezwinger er sich dann feiern lässt.“ Das öffentliche Leben ist gleichgeschaltet, die Kontrolle ausgeschaltet. An allen Schalthebeln sind Vasallen einzementiert. Diese „neue Klasse“ würde selbst durch eine Wahlniederlage Orbans nicht mehr aus der Welt verschwinden. Meint ein Oppositionspolitiker: „Zum Abschaffen der Demokratie braucht man heute keine Panzer mehr. Man höhlt sie einfach aus.“ Machterschleichung statt Machtergreifung. Orbans ungeliebter Biograf Paul Lendvai: „Er ist der beste Schüler von Putin, nur schlauer.“

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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