Neue Band und Album

Peter Doherty: Auf dem Weg zum Seelenfrieden

Musik
24.05.2019 07:00

Jahrelang stand Pete Doherty vor allem wegen seines Drogenmissbrauchs und diverser Skandale in den Klatschspalten der Boulevardmedien. Nach seinem letzten Entzug konzentriert sich der nunmehr 40-Jährige aber auf Musik, Touren und neue Freundschaften. Mit seinen Puta Madres stellte er unlängst das neue Album im restlos ausverkauften Wiener WUK vor - und erzählte davor im Interview nachdenklich und fokussiert, was sich in seinem Leben alles verändert hat.

(Bild: kmm)

Mit dem Alter hat er so seine Probleme. Am 12. März hat Peter - ehemals Pete - Doherty seinen 40. Geburtstag gefeiert, doch über seinen offiziellen Eintritt in die Lebenshalbzeit redet er nur ungern. Aber was heißt schon Lebenshalbzeit. Dem bekennenden und langjährigen (Ex)Junkie hätte man weiland nicht einmal den 30er zugestanden. Heroin, Kokain, Crack, Ketamin, Weed - dazu tonnenweise Alkohol. Drogensucht, Drogenmissbrauch, Drogenbesitz, Drogenhandel. Gefängnisstrafen, Entzüge, skandalumwitterte On- und Off-Beziehungen mit Kate Moss und diversen anderen Frauen aus dem Kunst- und Kulturumfeld. Fans vergöttern ihn als revolutionären Helden der britischen Indie-Musik, der zuerst mit den Libertines und dann mit den Babyshambles unwiderruflich in allen Geschichtsbüchern verhaftet bleiben wird, Gegner stoßen sich an seiner drogenumnebelten Wankelmütigkeit, an seinen oftmals harschen Bühnenauftritten und sprechen ihm zudem jedwedes musikalisches Talent ab.

Exzentrisch und selbstdestruktiv
Wie jeder große Rockstar polarisiert Doherty die Gesellschaft. Er nimmt sich die Freiheiten, Konzerte aufgrund übermäßigen Drogenmissbrauchs kurzerhand abzusagen, sich auf der Bühne wie ein pubertärer Wicht zu benehmen und gut laufende Gigs aus purer Provokation für eine unendlich scheinende Zeitspanne zu unterbrechen. Vielmehr ist Doherty aber ein genialer Geist mit viel Sensibilität und einem reinen Herzen. Ein bröckelnder Dandy, der er so gar nie sein wollte, mit einem rustikalen Image, das sich wie ein Schleier über sein ganzes Leben zieht. Schon im ersten Jahr brach er sein Studium der englischen Literatur in London ab, weil er 1996 durch seine Schwester Carl Barât kennenlernte, mit dem er nicht nur die Liebe zu Musik, Lyrik und Posie, sondern auch zur exzentrischen Selbstdestruktivität teilte. Zwei über alle Grenzen hinaus leuchtende Talente der mannigfaltigen Kunst, die sich - ganz in der Tradition großer britischer Schriftsteller und Poeten - bewusst in Skandale und Exzesse flüchteten, um gegen ihre inneren Dämonen ankämpfen zu können.

„Ich wollte eigentlich immer Romane schreiben. Man soll mich nicht missverstehen, ich ziehe sehr viel Freude aus der Musik“, erklärt er der „Krone“ im Interview, „aber tief in meinem Herzen träume ich mich in eine Welt der Poesie und der Literatur. Das Songschreiben erscheint mir manchmal schlichtweg zu einfach.“ Sollten die Einnahmen mit der Musik ausreichend sein, sieht sich Doherty in einer einsamen Gegend in Spanien, bevorzugt Barcelona, ohne großen Druck, Fiktion erschaffend. Der europäische Weltenbummler hat schon Wochen und Monate in Krefeld, Hamburg, Barcelona und London, Nächte und Tage aber auch im Wiener Flex oder in seiner Herzensstadt Graz verbracht. So global und allumfassend sein unstetes Leben vonstattengeht, rekrutierte sich vor wenigen Jahren seine neue Band, die Puta Madres. Musiker aus Spanien, England, Irland, Wales und Frankreich befinden sich darin. Ein paneuropäisches Gesamtkonzept, dass nicht nur für gemeinsame Kreativität, sondern auch für gegenseitigen Halt, Liebe und Unterstützung steht.

Kooperation und Kommunikation
Drummer Rafa lernte er etwa beim Campen in Barcelona kennen, Bassist Miggles war eine Zeit lang obdachlos in Frankreich. „Wir sind sozusagen selbstauferlegte Ausgestoßene“, erklärt er die Band nachdenklich, „es ist leicht einen Platz in dieser normalen Welt zu finden, doch wenn ich mich zu lange in ihr aufhalte, stirbt etwas in mir. Hier geht es immer um den Killerinstinkt oder um das Überleben des Stärkeren, aber das ist nicht die Natur des Menschen. Was die Menschen zum Überleben brauchen, und das seit Hunderttausenden Jahren, sind Kooperation und Kommunikation. Alles, was uns in der Gesellschaft vorwärtsbringt, ist der Zusammenhalt.“ Diesen Zusammenhalt findet Doherty in seinem neuen, multinationalen Konglomerat. Eine Truppe leidenschaftlicher Künstler und Musiker, die überbordendem Exzess nicht abgeneigt, aber weit von der selbstzerstörerischen Ader Dohertys Vergangenheit entfernt ist. Clean sei er seit knapp vier Jahren, ganz aus der Abwärtsspirale diverser Suchtmittel wird man ihn aber niemals kriegen können.

Gerade im deutschsprachigen Raum wurde ihr durchaus spannendes und abwechslungsreiches Debütalbum zu Unrecht verschmäht. Auch wenn die Rock’n’Roll-Attitüde der Libertines oder Babyshambles fehlen mag, zeigt sich Doherty mit seiner Rasselbande so ehrlich und selbstreflektiert wie nie zuvor. In „Someone Else To Be“ referiert er gar offen über den immer wieder aufkeimenden Wunsch jemand anders zu sein und zitiert bewusst seine Idole Velvet Underground und Oasis. „Mit mir wurden immer die Dinge außerhalb meiner Bands negativ konnotiert, es hatte kaum was mit der Musik selbst zu tun. Auf dieses Album bin ich besonders stolz, denn ist wahrscheinlich mein erstes überhaupt, das ich mir selbst anhören kann, ohne Verwirrung zu spüren.“ Mehr denn je stechen in Songs wie „All At Sea“, „Travelling Tinker“ oder „Shoreleave“ seine Vorlieben für Folk, Country-Blues, Leonard Cohen und Gram Parsons hervor. „Früher habe ich bei den Aufnahmen oft das Mikro abgeschaltet und weitergespielt. Dieses Mal haben wir diesen Spaß auch aufgenommen.“

Ruhe im Leben
Die Ruhe und Abgeschiedenheit nach so vielen turbulenten Jahren hat Doherty mittlerweile im beschaulichen 50.000-Einwohner-Küstenstädtchen Margate gefunden. Dort ist genug Platz zum Auslauf für die Hunde, die frisch-kühle Meerbrise tut dem Seelenheil genauso gut wie die selbstgewählte Form von Einsamkeit, die nicht nur Kreativität, sondern auch Gesundheit und Gefühl beflügelt. „Ich mag viele Plätze, fühle mich etwa in eurer Gegend oder Bayern sehr wohl. Aber am liebsten würde ich irgendwo isoliert in einem uralten Haus auf einem Hügel mit Wald und Seeanschluss wohnen. Margate ist für mich aber ein wundervoller Ort. Ich bin einfach daheim und schaue mir Filme mit Humphrey Bogart und Edward G. Robinson an. Das ist für mich der Himmel.“ Das Alter mag Doherty vor einem inneren Unfrieden stellen, doch langsam aber sicher scheint er auch die Ruhe in seinem Leben zu finden.

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