Diagnose Lungenkrebs

Reichard: „Überleben muss erst in den Kopf hinein“

Adabei
07.04.2019 06:00

Vor zwei Monaten katapultierte die Diagnose Lungenkrebs Starfriseurin Barbara Reichard (57) aus dem Alltag. Die Operation hat sie überstanden, die Ungewissheit bleibt. Ihr Leben zwischen zarter Hoffnung und Angst.

Ein ganz normaler Tag auf Facebook. Eine Society-Biene bewirbt den Glanz ihrer Locken, ein anderer postet ein Foto seiner Katze, die am Küchentisch steht. Und Barbara Reichard schreibt: „Manchmal treten Ereignisse ins Leben, die möchte man für sich ganz alleine behalten. Am besten niemandem sagen, in der leisen Hoffnung und Verdrängung, dass es nicht wahr ist. Der Boden unter den Füßen ist weggezogen, starr vor Angst und völlig überfordert mit der Diagnose Lungenkrebs.“

Vor zwei Monaten wurde bei der 57-jährigen Starfriseurin Lungenkrebs festgestellt. Sie hatte keine Beschwerden. Es war eine reine Routineuntersuchung, welche die Gelegenheitsraucherin von einem Moment auf den anderen zur Patientin macht und in einen anderen Orbit katapultiert. Eine Diagnose wie der berüchtigte Blitz aus heiterem Himmel.

„Von einem Moment auf den anderen war ich Krebspatientin“
Es ist der 1. Februar, ein Freitag. „Als Asthmatikerin muss ich regelmäßig zum Lungenfunktionstest. Mein Arzt, Prof. Wolfgang Popp, war sehr zufrieden mit mir.“ Eher nur sicherheitshalber macht er gleich noch ein Röntgen. Dann ein finsterer Blick, ein Schatten am Bild: „Das gefällt mir gar nicht, das würde ich gern durch ein CT abklären.“

In der Privatklinik schiebt man die Unternehmerin schnell ein. Was dann folgt, läuft seitdem wie ein schlechter Film vor ihr ab. Noch bevor der Arzt das Wort „Karzinom“ ausspricht, ahnt sie es. Dann geht es Schlag auf Schlag. Eine Gewebsentnahme macht den Verdacht zum Fakt: „Von einem Moment auf den anderen war ich Krebspatientin und mein ganzes Leben im freien Fall. Nichts war mehr so wie zuvor.“

Vorerst darf sie noch nach Hause in ihre neu bezogene Dachgeschoßwohnung in der Wiener Innenstadt. Eine Mitarbeiterin übernachtet bei ihr - zur Sicherheit. In der Früh hustet sie plötzlich Blut und ringt nach Atem. Offensichtlich eine Folge der Biopsie. Ihr Sohn bringt sie in die Klinik. Die Lunge war kollabiert. „Der absolute Albtraum. Ich hab‘ gebetet: ,Lieber Gott, bitte lass mich aufwachen!‘“ Das tut sie auch - allerdings auf der Intensivstation. Schon am nächsten Tag wird sie operiert.

Es ist Samstag, der 2. Februar, Mariä Lichtmess. In der Tradition endet an diesem Tag die dunkle Zeit. Für sie beginnt sie erst. Freunde auf Facebook posten Fotos vom ersten Vorfrühlingstag und den Semesterferien.

Lange Narbe am Brustkorb als Zeuge der OP
Die Ärzte entfernen ihr einen drei Zentimeter großen Tumor. Die Lymphknoten sind gottlob nicht befallen. Zu den Ängsten kommen noch die Schmerzen: „Die waren wirklich arg. Bei der Operation wurden mir die Rippen zur Seite gebogen.“ Sie zeigt eine Linie entlang des rechten unteren Brustkorbs. Hier verläuft die lange Narbe.

In der Privatklinik ist sie Zimmernachbarin von Niki Lauda. Als sie das erste Mal aufstehen kann, begleitet sie ihren Sohn zögerlichen Schritts zum Aufzug. Dort läuft ihr Laudas Buddy Toto Wolff in die Arme: „Was tust du da?“, fragt der. Verdattert antwortet sie: „Ich hab‘ Lungenkrebs.“ Das erste Mal, dass sie das Wort aussprechen muss. Kurz darauf tut sie es auf Facebook, weil sie in ihren beiden Friseur-Salons fehlt. Sie, die als tüchtige Geschäftsfrau seit über 30 Jahren eigentlich immer da ist, quasi Tag und Nacht. Ihr 28-jähriger Sohn Kevin, der sie jetzt vertritt, kommt bei den Fragen nach der Mama zunehmend in Erklärungsnot. Auf Urlaub ist sie jedenfalls nicht. Das wissen alle. „Wenn ich ihn nicht gehabt hätte, hätte ich das nie durchgestanden.“

17 Tage muss sie in der Klinik bleiben. Dann darf sie heim. Immer noch im Ungewissen. Erst Mitte Mai wird eine PET-Tomographie (ein Scan der Körperzellen) Aufschluss geben, ob sich noch irgendwo befallene Zellen verbergen. Ob dann noch eine Chemotherapie nötig ist, wird man sehen. Ihre Ärzte machen ihr Mut. Lungenfacharzt Prof. Wolfgang Popp, ihr junger Thoraxchirurg Konrad Hötzenecker, der auch Laudas Lunge transplantierte, und Onkologe Prof. Christoph Zielinski. Auch Doris Kiefhaber, die beherzte Geschäftsführerin der Krebshilfe, ist ihr eine starke Stütze. Froh ist sie, dass sie damals mit 20 ihr erstes selbst verdientes Geld in eine Zusatzversicherung investiert hat statt in hippe Jeans.

Die Medizin taxiert ihre Chancen mit 75:25. Das klingt nicht schlecht.

„Statt mit Planung eines Urlaubs beschäftige ich mich mit Patientenverfügung“
Die 57-Jährige sitzt in ihrer Innenstadtwohnung auf einer riesigen Schaukel, die von alten Dachbalken hängt. Unsichtbar über ihr das Damoklesschwert der Ungewissheit. Sie streicht ihre dunklen ungefärbten Haare aus dem Gesicht und sagt: „Das muss erst in meinen Kopf hinein, dass Überleben auch eine Option ist. Mein Leben ist nicht mehr dasselbe wie früher. Die Angst hat sich ganz tief festgesetzt in mir. Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich den Krebs.“ Damit tut sie sich unrecht. Zerbrechlich wirkt sie, aber keineswegs krank. Zweimal pro Woche hilft ihr eine von ihrer Freundin Andrea Dungl vermittelte Psychotherapeutin bei der Aufarbeitung des schweren Schocks. In der Küche liegen zehn verschiedene Schachteln mit Tabletten. Normal hätte sie um diese Jahreszeit ihren Sommerurlaub geplant: Ibiza? Kroatien? Kärnten? „Stattdessen beschäftige ich mich jetzt mit einer Patientenverfügung. Oder mit einer Einäscherung statt mit einem Bikini, den ich für den Sommer gerne hätte.“

Ihr Leben läuft derzeit sehr reduziert: „Ich gehe selten weg. Was soll ich? Über meine Krankheit reden? Will ich nicht. Übers Wetter? Gesellschaft kostet mich derzeit zu viel Kraft. Früher bin ich bis 21 Uhr im Geschäft gestanden, jetzt gehe ich um 20 Uhr ins Bett.“

Mitte März hat ihr Sohn sie mit der ganzen Familie in den Zirkus eingeladen. Der erste Ausgang seit Langem. Gemeinsam mit Tochter Sue (32) und den beiden Enkeln. Dann der Zufall: Ihr Sohn stupst sie: „Schau, Mama, jetzt kann dir nichts mehr passieren.“ Ein paar Reihen vor ihr sitzt ihr Arzt.

Die meisten Freunde kommen mit der Wende in ihrem Leben nicht gut zurecht. Als wäre Krebs eine ansteckende Krankheit. Die einen sind abgetaucht, andere schicken Fotos von Frisuren, die sie beim nächsten Salonbesuch gerne hätten: „Ich glaube, das steht mir :-)“ Dafür tauchen andere nach Jahren wieder auf, wollen vorbeikommen oder schicken SMS. Von daheim hilft sie im Büro: „Das bringt mich auf andere Gedanken. Sonst denkt man im Kreis.“ Zum Lesen eines Buches fehlt ihr die Ruhe: „Ich kann derzeit keinen Gedanken fassen und bin viel zu unruhig.“

Und doch geht es langsam aufwärts: Fünf Kilo hat sie seit der Operation wieder zugenommen, dank Kraftnahrung aus der Apotheke. Die Fußnägel hat sie hübsch lackiert. In der Bodenvase im Vorzimmer steht ein gigantisch großer Kirschenzweig in voller Blüte. Und wenn man genau hinsieht, bekommt er sogar schon erste kleine grüne Blätter.

Edda Graf, Kronen Zeitung

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(Bild: kmm)



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