Gaza-Hilfsflotte

Neun Tote durch Israels Angriff ++ Mankell unverletzt

Ausland
01.06.2010 07:26
Bei einem Abfangmanöver der israelischen Marine gegen einen internationalen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für den Gazastreifen sind am Montag nach Armeeangaben neun Aktivisten getötet worden. Dutzende Menschen wurden verletzt. Die Armee teilte mit, ihre Soldaten seien während des Einsatzes unter Beschuss geraten. Auf einem der gestürmten Schiffe befand sich auch der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell.

Er befand sich am Montagabend gemeinsam mit vier weiteren prominenten Aktivisten aus Schweden in Gewahrsam der israelischen Armee in der Hafenstadt Ashdod. Das sagte der Pressechef im schwedischen Außenministerium, Anders Jörle, der Berichte skandinavischer Online-Medien dementierte, wonach Mankell bei dem israelischen Angriff verletzt worden sei.

Laut Ministerium wurden insgesamt neun Schweden von der israelischen Armee festgenommen. Vier davon befänden sich in einem Gefängnis in Beersheba. Die fünf, unter denen sich Mankell, Feiler sowie der Grünen-Abgeordnete Mehmet Kaplan befinden, seien vor die Wahl gestellt worden, Israel mittels "freiwilliger Deportation" sofort zu verlassen oder ebenfalls ins Gefängnis zu gehen, sagte der Sprecher.

Die sechs Schiffe waren geentert worden, weil sie die über den Gaza-Streifen verhängte Seeblockade durchbrechen wollten, hieß es von Seiten Israels. Der Küstenstreifen wird von der radikalen Hamas beherrscht. Mit der Blockade will Israel das Einschmuggeln von Waffen verhindern.

Schiff war in internationalen Gewässern
Wie die Sprecherin der Organisation "Free Gaza", Audrey Bomse, sagte, sind bei dem israelischen Einsatz mindestens 30 der rund 600 pro-palästinensischen Aktivisten an Bord eines türkischen Schiffes verletzt worden. Das Schiff habe sich deutlich in internationalen Gewässern befunden (siehe dazu auch Beitrag in der Infobox). Die Organisatoren der Flotte erklärten, sie hätten keinen Kontakt mehr zu den Schiffen, die von pro-palästinensischen Gruppen und einem türkischen Menschenrechtsverband gechartert wurden.

Mehrere Hundert Elitesoldaten waren den Angaben zufolge im Morgengrauen um 4.30 Uhr von Helikoptern und Schnellbooten an Bord des türkischen Schiffes IHH gekommen. Die Organisatoren von "Free Gaza" werfen dem Kommando vor, das Feuer auf unbewaffnete Passagiere eröffnet zu haben. Die Soldaten sollen auch Tränengas eingesetzt haben.

Militär: Aktivisten gingen gewaltsam vor
Der höchste israelische Armeesprecher, Avi Benayahu, sagte am Montag, man habe die Aktivisten auf den sechs Schiffen mehrmals aufgefordert, sich friedlich zu ergeben. Dies sei jedoch scharf zurückgewiesen worden. Daraufhin seien Elitesoldaten mit Strickleitern sowie mit Leitern aus Hubschraubern an Bord gekommen.

Bei der Stürmung seien die Soldaten von den Aktivisten mit "schwerer Gewalt" empfangen worden. Sie hätten versucht, die Truppen zu "lynchen". "Dies sind sehr aggressive Leute, keine Friedensaktivisten." Einer von ihnen habe einem der Soldaten das Gewehr entrissen und es offenbar gegen andere Soldaten eingesetzt. Andere hätten die Truppe mit Messern und Schlagstöcken angegriffen. Angesichts der Gewalt hätten die Soldaten "Mittel zur Auflösung von Demonstrationen" eingesetzt und - als sie keine andere Wahl mehr hatten - auch scharfe Munition. "Ich möchte hier auch Bedauern ausdrücken", sagte der Militärsprecher. "Wir wollten, dass diese Aktion ohne Opfer ausgeht."

Der israelische Handelsminister Benjamin Ben-Eliezer äußerte Bedauern darüber, dass bei dem Einsatz mehrere Menschen getötet wurden: "Die Bilder sind wirklich nicht schön. Ich kann nur mein Bedauern über all die Toten zum Ausdruck bringen." Gleichzeitig zeigte er Verständnis für das Verhalten der Soldaten während des Manövers: "Der Moment, wenn Dir jemand versucht, Deine Waffe aus der Hand zu reißen, um sie zu stehlen, das ist der Moment, wo man die Kontrolle verliert."

10.000 Tonnen Hilfsgüter an Bord der Schiffe
Die sechs Boote der Flotte mit Hunderten Aktivisten an Bord hatten am Sonntag die zypriotischen Hoheitsgewässer verlassen und sich auf den Weg zum Gazastreifen gemacht. Israel hatte wiederholt damit gedroht, die Flotte notfalls mit Gewalt zu stoppen. An Bord der Schiffe waren etwa 10.000 Tonnen Hilfsgüter, darunter auch hundert Fertighäuser, 500 Rollstühle und medizinische Ausrüstung.

"Massaker" und "abscheuliches Verbrechen"
Die Hamas bezeichnete die Übernahme des Hilfsbootes als "barbarischen Akt" und rief zu einer Intifada vor den Botschaften Israels in der ganzen Welt auf. Araber und Muslime weltweit sollten sich erheben, erklärte die Bewegung, die im Gazastreifen die Macht hat. Laut dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas sei die Erstürmung der Flotte ein "Massaker" und "abscheuliches Verbrechen" gewesen. Er verhängte drei Tage Staatstrauer in den Palästinensergebieten. Die Arabische Liga hat für diesen Dienstag eine Dringlichkeitssitzung in Kairo einberufen.

Türkei: Schaden nicht wiedergutzumachen
Die Türkei hat den israelischen Sturm auf das türkische Schiff ungewöhnlich scharf kritisiert. Der Schaden für die Beziehungen der beiden Staaten sei nicht wiedergutzumachen, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums. Die Türkei missbillige das als unmenschlich bezeichnete Vorgehen Israels scharf. "Israel hat auf unschuldige Zivilisten gezielt. Das Land einmal mehr gezeigt, dass es sich um Menschenleben und friedliche Initiativen nicht kümmert." Schiffe in internationalen Gewässern aufzubringen, sei auch ein Bruch internationalen Rechts. Ankara hat auch den türkischen Botschafter aus Israel abberufen. Außerdem annullierte die Türkei drei Militärabkommen mit Israel. In Istanbul protestierten Hunderte Menschen gegen Israels Angriff (siehe Clip in der Infobox).

Israel selbst wiederum hat seine Bürger vor Reisen in die Türkei gewarnt. Israelische Touristen, die sich bereits dort aufhielten, sollten möglichst in ihren Hotels bleiben und Menschenansammlungen meiden. In der gegenwärtigen angespannten Situation seien "gewaltsame Ausbrüche gegen Israelis in der Türkei" denkbar.

Tausende bei Protesten gegen Israel
Bei Protesten gegen die israelische Erstürmung des Schiffskonvois ist es am Montag in Athen und Paris zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Vor der israelischen Botschaft in Athen demonstrierten rund 2.500 Menschen, Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Blendgranaten ein. Einige Demonstranten warfen Steine und versuchten zum Botschaftsgebäude vorzudringen. In Paris ging die Polizei mit Tränengas und Pfefferspray gegen mehrere hundert Demonstranten vor.

An dem Protest in der französischen Hauptstadt beteiligten sich laut Polizei rund 1.200 Menschen. Sie brachten den Verkehr nahe der israelischen Botschaft zum Erliegen, viele riefen "Israel, Mörder" und "Wir alle sind Palästinenser". Proteste gab es außerdem in Rom und rund 20 Städten in Griechenland, darunter Thessaloniki, wo etwa 2.000 Menschen auf die Straße gingen. Auch in Schweden, Norwegen, Zypern und weiteren Ländern fanden Demonstrationen statt. In Teheran verbrannten Dutzende Demonstranten israelische Flaggen und warfen Steine gegen UN-Büros. In der irakischen Hauptstadt Bagdad gingen schätzungsweise 3.000 Menschen auf die Straße.

EU fordert Untersuchung der Militäraktion
Die UNO und die EU haben eine Untersuchung des israelischen Militäreinsatzes gefordert. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton äußerte am Montag ihr tiefes Bedauern über die Todesfälle und übermittelte den hinterbliebenen Familien ihr Mitgefühl. Zugleich rief Ashton Israel auf, die Blockade des Gazastreifens für Hilfslieferungen und normale Handelsgüter "sofort und ohne Bedingungen" zu lockern. Auch die Ein- und Ausreise von Personen dürfe nicht länger durch Israel unterbunden werden. Die israelische Blockade-Politik sei "inakzeptabel und politisch kontraproduktiv". Die EU hat wegen des Militäreinsatzes eine Sondersitzung der Botschafter aller 27 EU-Staaten noch für Montag einberufen.

Offenbar keine Österreicher an Bord
An Bord der Gaza-"Solidaritätsflotte" waren offenbar keine Österreicher. Nach Angaben des Außenamtssprechers Peter Launsky-Tieffenthal gebe es dafür zumindest keinerlei Hinweise. Zuvor hatte es unbestätigte Meldungen gegeben, wonach auch Österreicher an Bord eines der Schiffe gewesen seien.

Außenminister Michael Spindelegger zeigte sich bestürzn ist schockierend, und ich erwarte mir eine rasche und lückenlose Aufklärung." Der Generalsekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Johannes Kyrle, sei beauftragt worden, den israelischen Botschafter umgehend einzubestellen und auf Klarstellung der Situation zu dringen.

Spindelegger erwartet von Israel "Zurückhaltung"
Spindelegger appellierte an die israelische Regierung, Zurückhaltung zu üben und alles zu tun, damit es zu keinen weiteren gewaltsamen Zwischenfällen komme: "Israel muss die kontraproduktive Absperrungspolitik gegenüber dem Gazastreifen beenden, so wie dies bereits nachdrücklich und wiederholt vom UNO-Sicherheitsrat in New York und von der Europäischen Union gefordert wurde."

Indes ist das erste Schiff im Hafen von Ashdod eingelaufen. Ein israelischer Armeesprecher bestätigte, die "Challenger" sei in den Hafen geschleppt worden. Laut dem israelischen Plan sollen die Identitäten der Aktivisten überprüft und diese befragt werden. Danach sollen sie in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Falls sie dem nicht zustimmen, droht ihnen eine Inhaftierung.

Israel hält Gaza-Blockade weiter aufrecht
Israel und Ägypten haben nach der 2007 erfolgten Machtübernahme der radikalen Hamas eine Blockade gegen den Gazastreifen verhängt. Israel, das sich 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen hat, vertritt den Standpunkt, ausreichend humanitäre Hilfsgüter über die Grenze in das palästinensische Gebiet durchzulassen.

Es begründet die Blockade vor allem mit dem Schmuggel von Waffen, die zum Beschuss von israelischen Siedlungen in der Nähe des Gazastreifens verwendet würden. Ein wichtiger Teil der Güterversorgung wie auch des Waffenschmuggels in den Gazastreifen werden über illegal gegrabene Tunnel aus Ägypten abgewickelt. Kairo baut derzeit eine unterirdische Stahlmauer an der Grenze, und das Graben von Tunnels zu unterbinden.

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