Schläuche gezogen

Tod im Wiener AKH: „Ich musste ihn erlösen“

Österreich
29.04.2018 10:08

Er lag auf der Intensivstation des Wiener AKH im Sterben. Dann riss seine Freundin die Schläuche zu lebenserhaltenden Maschinen aus seinem Körper. Jetzt spricht die Frau in der „Krone“ über die Gründe für ihr Handeln: „Es war meine Pflicht“, sagt sie, „Harrys Leid zu beenden.“

Mit zusammengekrümmtem Rücken, den Blick zu Boden gerichtet, in den Händen ein zerknülltes Taschentuch, sitzt Renate E. (52) jetzt auf der Couch in ihrem Wohnzimmer. Vor ihr, auf einem kleinen Tisch, liegen Fotos, die sie mit Harald F. (Name geändert) zeigen. Bei Heurigenbesuchen, bei Spaziergängen. Aus einer Zeit, „in dem es meinem Harry noch halbwegs gut gegangen ist“.

„Ich bereue nicht, was ich getan habe“
Tränen beginnen über die Wangen der Frau zu laufen, wenn sie nun über „den Mann, der meine große Liebe gewesen ist“, und über die „wunderschöne Vergangenheit mit ihm“ zu erzählen beginnt. „2011 lernten wir uns über Freunde kennen“, sofort habe zwischen ihr und dem um fast 20 Jahre Älteren „eine extreme Vertrautheit“ bestanden. Vielleicht, weil sich ihre Schicksale ähnelten. Beide waren gesundheitlich stark angeschlagen, beide hatten gescheiterte Beziehungen hinter sich, beide sehnten sich nach Harmonie: „Also wurden wir ein Paar.“

„Prächtig“ hätten sich der ehemalige Nachrichtentechniker und die Bankangestellte vertragen, „wir hielten uns oft im Grünen auf, spielten Schach und das ,Millionenshow‘-Quiz, beschäftigten uns mit ,Puppe‘ und ,Bärli‘, Harrys Katzen“.

„Er ertrug sein Los tapfer“
Und sonst? „Redeten wir viel über unsere gesundheitlichen Probleme.“ Die Frau: „allergisch auf beinahe alles“, das Immunsystem chronisch geschwächt. Der Mann: von Geburt an nierenkrank, zwei Transplantationen. Seit 2016 litt er zudem an einem Nervenleiden in den Beinen, das ihn an den Rollstuhl fesselte. „Er ertrug sein Los tapfer. Aber er fürchtete sich davor, irgendwann von Ärzten künstlich am Leben erhalten zu werden. Immer wieder bat er mich, ihn zu erlösen, sollte er jemals in solch eine Situation kommen. Ich gab ihm dieses Versprechen.“

„Deswegen“, sagt Renate E., „bereue ich nicht, was ich getan habe.“ Dass sie im Wiener AKH die Schläuche zu lebenserhaltenden Maschinen aus Harald F.’s Körper gerissen - und ihn getötet - hat. Als keine Aussicht mehr bestand auf eine Besserung seines Zustands.

Laufende Verschlechterung des Gesundheitszustands
Am 28. März war der 71-Jährige - wieder einmal - nach einem körperlichen Zusammenbruch in der Klinik aufgenommen worden. Diagnose: eine übergangene Lungenentzündung, die Blutwerte alarmierend. „Harry bekam hohe Dosen an Medikamenten verabreicht“, erinnert sich Renate G., „aber sie griffen nicht“, und dem Mann ging es laufend schlechter: „Deshalb wurde er auf die Intensivstation verlegt und in künstlichen Tiefschlaf versetzt.“ Auch diese Maßnahme brachte keinen Erfolg.

„Doch davon ahnte ich zunächst nichts. Ich saß an seinem Bett, streichelte seine Wangen, erzählte ihm von seinen Katzen, sprach von Ausflügen, die wir im Sommer machen würden. Ich wollte ihm damit Kraft geben. Denn ich dachte: Vielleicht hört er mich.“

„Ich schrie: ,Bitte verlass mich nicht!‘“
Am 6. April um 13 Uhr ein Anruf aus dem Spital: „Kommen Sie schnell, Ihr Partner hat nur noch wenige Stunden zu leben.“ „Da zog es mir“, schluchzt Renate E., „den Boden unter den Füßen weg.“ Ein Bekannter von Harald F. fuhr die Frau zum AKH, „am Weg dorthin hielten wir bei einer Tankstelle an, wo ich vier Mini-Flaschen Wodka kaufte und sie sofort austrank. Um mich zu beruhigen“. Im Krankenhaus kam es dann zu dramatischen Szenen. „Ich bekam einen Weinkrampf, klammerte mich an Harry, schrie: ,Bitte verlass mich nicht!‘“

In der Folge ein Gespräch mit einer Ärztin: „Ich fragte sie, was jetzt geschehen würde. Sie erklärte mir den Todesablauf. Dass ein Organ nach dem anderen versagen würde, zuerst die Nieren und zuletzt das Herz.“ Völlig geschockt sei Renate E. danach „mit dem Aufzug nach unten, in die Aula des Spitals, gefahren. Ich konnte nicht klar denken und beschaffte mir in einem Lebensmittelgeschäft eine große Flasche Wodka. Ich bin an Alkohol nicht gewöhnt, darum war ich rasch ziemlich benebelt.“

„Seine Katzen sind alles, was mir von ihm blieb“
Um 16 Uhr ging die 52-Jährige nochmals auf die Intensivstation: „Ich sah Harry hilflos vor mir liegen und wusste, dass ich ihm jetzt seinen letzten Wunsch erfüllen musste …“ Die Frau wurde festgenommen, verhört, und bald in Freiheit entlassen. Formal ist ein Verfahren wegen Mordes gegen sie anhängig. „Ich habe fürchterliche Angst davor“, sagt sie, „von Harrys Katzen getrennt zu werden, sollte ich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Denn ,Puppe‘ und ,Bärli‘ sind doch alles, was mir von ihm blieb.“

Daten und Fakten
Aktive Sterbehilfe - also Tötung auf Verlangen - ist in den meisten europäischen Ländern, darunter Österreich, verboten und mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren bedroht. Ausnahmen bilden die Niederlande, Luxemburg und Belgien. In der Schweiz sind „assistierte Suizide“ erlaubt - an Menschen, die von Ärzten für unheilbar krank erklärt wurden.

Der Parallel-Fall aus Mariazell
Einen Monat vor dem Drama im AKH kam es in der Steiermark zu einer ähnlichen Tat. Erich G. (67) erstickte seine pflegebedürftige Ehefrau. „Weil sie mich gebeten hatte, sie von ihrem Leid zu erlösen“, sagt der Mann. Er sitzt unter Mordverdacht in U-Haft. Ein gerichtsmedizinisches Gutachten entlastet ihn jedoch nun: Weder an seinem noch an dem Körper der Toten wurden Kampf- oder Abwehrspuren festgestellt.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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