Buch-Tipp

„Heimat finde ich in Worten und im Schreiben“

Literatur
06.11.2025 18:10

Unterdrückung, Schmerz, Krankheit, Flucht und Fremdsein – all das überwand die aserbeidschanische Dichterin Jegana Dschabbarowa mit beeindruckender Kraft und Resilienz. Und erzählt ihre Geschichte jetzt in einem besonderen Roman: „Die Hände der Frauen in meiner Familie waren nicht zum Schreiben bestimmt“.

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Ein Gedicht, erkannte Jegana Dschabbarowa schnell, reiche nicht aus, um diese große Geschichte zu erzählen. „Eigentlich bin ich Dichterin. Aber die Menge an Dingen, über die ich sprechen und die ich erklären möchte, konnte ich nicht in Poesie ausdrücken.“

Die große Geschichte, das ist ihre eigene. Und die erzählt sie nun in ihrem ersten Roman: „Die Hände der Frauen in meiner Familie waren nicht zum Schreiben bestimmt“. Sie wuchs in einer aserbaidschanischen Familie in der russischen Diaspora auf. Frauen sind in der streng konservativen Gemeinde das Eigentum ihrer Männer und sollten möglichst unsichtbar bleiben. Den Mund geschlossen, die Augen zu Boden gerichtet. Und die Hände zum Arbeiten geschaffen, zum Schreiben sind sie nicht bestimmt . . .

„Ich fühlte mich nirgends zugehörig“

Schon früh versuchte Dschabbarowa, sich gegen das Unrecht dieser patriarchalischen Gesellschaft aufzulehnen. „Bereits damals fühlte ich mich nirgends zugehörig, nicht in der russischen Gesellschaft, nicht in der aserbaidschanischen Community. Deswegen wollte ich immer einen sicheren Hafen für mich finden – und den fand ich in der Literatur und im Schreiben“, so Dschabbarowa im Interview.

„Die Hände der Frauen in meiner Familie waren nicht zum Schreiben bestimmt“ von Jegana ...
„Die Hände der Frauen in meiner Familie waren nicht zum Schreiben bestimmt“ von Jegana Dschabbarowa ist im Zsolnay Verlag erschienen (144 Seiten)(Bild: Hanser Verlag)

Die Emanzipation gelang ihr ausgerechnet durch eine schwere Krankheit, die selten auftretende neurologische Störung Dystonie. Nach und nach verhärteten sich ihre Muskeln unter immensen Schmerzen, schon kleine Tätigkeiten wurden unmöglich, sie konnte kaum mehr gehen, nicht sprechen und auch das Schreiben war ihr verwehrt.  „Es ist paradox, dass mir die Erkrankung Befreiung und Freiheit ermöglicht hat“, meint Dschabbarowa sichtlich bewegt. „Eine schwere Krankheit ist immer eine existentielle Erfahrung. Sie konfrontiert einen damit, dass man Grenzen hat, dass das Leben zu Ende geht und du dich mit dem Tod auseinandersetzen musst. Ich habe erkannt, dass ich ganz alleine für mein Leben verantwortlich bin.“

„Ich einem russischen Gefängnis hätte ich nicht überlebt.“

Dank eines im Gehirn implantierten Impulsgebers konnte sie wieder ein fast normales Leben führen. Bis es eben wieder kein normales war. Als queere Frau, die sich offen gegen den Krieg aussprach, wurde sie in Russland immer öfter und intensiver bedroht. „Ich hatte wirklich Angst und traute mich nicht mehr aus dem Haus.“ Als schließlich eine Verhaftung drohte, verließ sie fluchtartig ihr Geburtsland. „In einem russischen Gefängnis hätte ich mit meiner Krankheit nie überlebt.“

In ihrem Roman hat sie die Kapitel mit Körperteilen betitelt. Augen, Schultern, Bauch . . . Ihr Körper, über den sie nicht frei bestimmen konnte, erst in ihrer aserbaidschanischen Kultur – und später wegen der Krankheit. „Es steckt so viel Verwundbarkeit in diesem Buch.“

„Nur beim Schreiben fühlt sich mein Leben vollständig an.“

Dschabbarowa erzählt in einer klaren poetischen Sprache, nie pathetisch und mit überraschend viel Witz. Es sind nur 144 Seiten – und doch steckt in ihnen so viel Emotion, Stärke und Resilienz, die einen zutiefst bewegen. Ein wahrlich besonderer Roman.

Dschabbarowa lebt heute mit ihrer Frau und Katze in Hamburg. Heimat finden kann sie auch hier nicht, dafür ist ihre Visaverlängerung zu unsicher. „Irgendwann habe ich festgestellt, dass Heimat natürlich meine kleine Familie ist. Aber vor allem finde ich Heimat in Worten – nur beim Schreiben fühlt sich mein Leben vollständig an.“

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