Schauspielhaus Graz

Epischer Tanz am Kipppunkt des Kolonialismus

Steiermark
20.09.2025 12:41

Das Schauspielhaus Graz startet mit der deutschsprachigen Erstaufführung von Lorraine Hansberrys „Les Blancs“ in die neue Saison. Intendantin Andrea Vilter folgt mit diesem epischen Stück über die Auswirkungen des Kolonialismus ihrem Ziel der Kanonerweiterung. Ein zeitgemäßer Zugriff auf den Stoff gelingt nur bedingt.

Eigentlich hat Tshembe Matoseh in Europa ein neues Leben begonnen – Frau, Kind, Shakespeare-Bücher. Doch als er für das Begräbnis seines Vaters in das afrikanische Land seiner Kindheit zurückkehrt, ist dort alles in Aufruhr. Nach 300 Jahren, in denen die weißen Kolonialherren den Ton angegeben haben, wollen schwarze Freiheitskämpfer an die Macht – und sind dafür auch bereit zu töten. Dadurch ist auch die Mission bedroht, die der norwegische Pfarrer Torwald Neilsen mit seiner Frau aufgebaut hat. Das wiederum lockt den Reporter Charlie Morris an.

Einen Kipppunkt des Kolonialismus beschreibt Lorraine Hansberry in „Les Blancs“ – und sie tut es mit viel Gespür für die Grautöne in diesem Kampf zwischen Schwarz und Weiß. Denn auf beiden Seiten kreiert sie Figuren, die für mehr stehen als ihre Rasse und ihre Ideologie, sondern die auch individuelle Kämpfe auszufechten haben.

Figurenzeichnung mit Grautönen
Tshembes Bruder Eric (großartig: Otiti Engelhardt) etwa flüchtet sich vor einer traumatischen Lebensgeschichte (sein Vater war ein Weißer, seine Mutter starb bei seiner Geburt) in den Alkohol. Madame Neilsen (berührend kämpferisch: Olivia Grigoli) ist verantwortlich, dass Eric überhaupt leben durfte und hat dafür einen Riss in ihrer Ehe in Kauf genommen. Tshembes zweiter Bruder Abioseh (Leonard Burkhardt) will der erste schwarze Kardinal seines Landes werden – und muss sich dafür den Vorwurf gefallen lassen, sich der weißen Kirche anzubiedern. Die Missionsärzte Marta Gotterling (Marielle Layher) und Willy DeKoven (Zeljko Marovic) kämpfen nicht nur ums Überleben ihrer Patienten, sondern auch mit ihren eigenen Vorurteilen und Schwächen.

Otiti Engelhardt, Bless Amada und Lulu Mlangeni
Otiti Engelhardt, Bless Amada und Lulu Mlangeni(Bild: Lex Karelly)

Sie alle geraten zwischen die Fronten, die Major Rice (Tim Breyvogel) und der unscheinbare Diener Peter (Jean-Philippe Adabra) verkörpern. Im Zentrum stehen mit dem Heimkehrer Tshembe und dem Journalisten Charlie zwei Figuren, die immer wieder um einen Brückenschlag ringen – doch letztlich feststellen, dass die historische Kluft zu groß ist. Bless Amada glänzt als Tshembe mit großer emotionaler und körperlicher Intensität, Dominik Puhl spielt den Charlie mit intellektueller Alertheit.

Vieles ist ein bisschen Retro
Die Aufgabe von Regisseurin MoMo Matsunyane und Dramaturgin Andrea Vilter bei dieser deutschsprachigen Erstaufführung ist nicht leicht. Sie wollen ein Stück, das deutlich aus der US-Theatertradition der 1960er kommt (es ist episch, ausufernd und bedeutungsschwanger) aus dem Dunkel der Theatergeschichte ans Licht holen und zeigen, dass Hansberry mit vielgespielten Zeitgenossen wie Wilder und O’Neill mithalten kann. Dafür freilich können sie nicht zu weit vom Text abweichen. Zugleich hat sich der Diskurs über Rassismus und Kolonialismus seitdem verändert und auch dem soll der Abend gerecht werden. Kein leichter Spagat.

Und so mäandert alles ein wenig zwischen den Zeiten: Kostüm und Bühne (Mirjam Pleines) leben vom Retro-Charme der 1960er. Die Idee zur Aufstellung der Figuren auf einem schrägen Halbkreis könnte aus den 1990ern stammen. Das Ensemble wiederum spielt die Figuren mit einem zeitgenössischen Zugriff. Ein echter Gewinn für die Produktion ist Tänzerin Lulu Mlangeni, die traditionellen afrikanischen Tanz und zeitgenössische Performancekunst vermischt und dadurch auf herrliche Weise die Produktion aufwirbelt.

Letztlich erreicht der Abend aber sein Ziel – wenn auch ein bisschen vorhersehbar: Vor allem nach der Pause gelingt es bei immer dichter werdender Handlung, Spannung und große Emotionen zu erzeugen und damit einen Text zum Glänzen zu bringen, der zu lange im Dunklen lag.

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