Am 13. September setzte die Jahrhundert-Flut weite Teile Niederösterreichs unter Wasser. Ein Jahr danach kämpfen Opfer noch mit den Folgen. Auch Martin Angelmaier, Abteilungsleiter der Wasserwirtschaft, erinnert sich an die Katastrophentage.
„Die Angst ist da, aber es muss weitergehen.“ Wie unzählige andere Opfer wurde auch Viktoria Anzenberger und ihr Glasereibetrieb in Böheimkirchen durch die Hochwasserkatastrophe vor einem Jahr schwer getroffen. Wie aus dem Nichts überraschten damals unbändige Fluten die 5200-Seelengemeinde im Bezirk St. Pölten.
„Plötzlich war überall Sirenengeheul, wir sind schnell in den oberen Stock geflüchtet“, schilderte die Firmenchefin der „Krone“ damals beim Lokalaugenschein. Ein Jahr später wurden mit sehr viel Eigenleistung und Förderungen des Landes die meisten Schäden wieder beseitigt. Doch sobald es regnet und die Sirenen heulen, ist die Angst da. „Heute sind wir besser aufgestellt. Wir haben bei der Einfahrt einen Hochwasserschutz installiert“, so Anzenberger. Für den Fall der Fälle, denn Katastrophen sind selten vorhersehbar.
Auch Rust im Bezirk Tulln wurde von den Flutmassen im vergangenen Jahr besonders hart getroffen. Die Bürger mussten den Ort verlassen, bei den Sicherungs- und Pumparbeiten fand ein Feuerwehrmann den Tod. Morgen, Sonntag, gedenkt man im Rahmen eines „Dankesfestes“ jenen Mitmenschen und Organisationen, die damals rund um die Uhr geholfen haben. Der damals gebrochene Damm an der Perschling ist geflickt. Das mehr als 100 Jahre alte Bauwerk wird aber erst 2026 erneuert und grundlegend saniert.
Aktuelle Hochwasserschutzprojekte
Die landesweiten Flut-Ereignisse wurden inzwischen unter der Leitung von Prof. Friedrich Zibuschka untersucht. Auch wenn derartige Schicksalsschläge nie ganz ausgeschlossen werden können, arbeitet man an weiteren Sicherungsmaßnahmen. „Wir waren schon im vorigen Jahr gut aufgestellt und stellen uns jetzt für künftige Katastrophen auf. Dreißig Hochwasserschutzprojekte stehen aktuell im Bau. Alleine in den beiden vergangenen Monaten sind mehrere Projekte begonnen oder fertiggestellt worden. Zum Beispiel ein Schutzprojekt in St. Veit an der Gölsen um 9,2 Millionen Euro und ein Rückhaltebecken am Dangelsbach in Ruprechtshofen und St. Leonhard am Forst um 4,6 Millionen Euro.“
Die Jahrhundert-Hochwasserkatastrophe, die vor einem Jahr über Niederösterreich hereinbrach, war durch eine Verkettung mehrerer Faktoren verursacht. „Es herrschte damals eine Vb-Wetterlage (Anm.: 5b-Wetterlage)“, erklärt Klaus Haslinger, Klima-Experte von Geosphere Austria. Dieser Begriff beschreibt ein Tiefdruckgebiet, das vom Mittelmeerraum nordwärts über Österreich Richtung Skandinavien zieht. „Das ist nichts Ungewöhnliches, so etwas kommt fünf- bis zehnmal im Jahr vor“, sagt Haslinger. Allerdings: „Im Herbst des Vorjahres trafen auch kalte Luftmassen aus dem Norden genau über Niederösterreich mit warmen Luftmassen aus dem Süden zusammen“, so Haslinger weiter. Und dadurch wurde das Tiefdruckgebiet genau hier sozusagen „festgesetzt“.
Das allein würde aber noch nicht die enormen Regenmengen erklären, die letztlich die Jahrhundertflut ausgelöst haben. Und da kommt der Klimawandel ins Spiel: „Der bedingt, dass durch höhere Temperaturen im Mittelmeer fünf bis zehn Prozent mehr Feuchtigkeit in die Atmosphäre gelangen“, so der Experte. Droht heuer eine ähnliche Katastrophe? „Das ist nicht hundertprozentig auszuschließen“, prognostiziert Haslinger – beruhigt aber gleich wieder: „Es wäre aber großer Zufall, wenn alle Faktoren wieder so zusammenfallen würden.“
„Krone“: Wie ist Ihre Erinnerung an die Tage vor dem Hochwasser?
Martin Angelmaier: Bereits am 7. September 2024, also rund eine Woche vor Beginn der eigentlichen Niederschläge, lagen erste meteorologische Hinweise vor, dass sich eine ernste Lage entwickelt und mit einer größeren Hochwassergefahr zu rechnen sei. Ab diesem Zeitpunkt wurde die meteorologische Situation genau beobachtet und laufend analysiert. Es fanden bereits auch schon erste Abstimmungen mit der Landeswarnzentrale, den Katastrophenschutzbehörden und auch der Geosphere Austria statt.
Ab wann war klar, dass eine historische Katastrophe heranzieht?
Ab dem 9. September standen wir in engem Kontakt mit der EVN und es wurde begonnen, den Wasserstand im Stausee Ottenstein abzusenken, um in weiterer Folge möglichst viel Wasser zurückhalten zu können. Das hat gut funktioniert und das Kamptal vor deutlich größeren Schäden bewahrt. Am 13. September wurde der permanente Hochwasserdienst des Hydrographischen Dienstes hochgefahren. Ab diesem Zeitpunkt war die Wasserstandsnachrichtenzentrale bis zum 20. September rund um die Uhr besetzt.
Der hydrologische Dienst war rund um die Uhr im Einsatz und lieferte unter anderem Lageberichte.
Martin Angelmaier, Chef-Hydrologe
Mehrmals am Tag wurden Lageberichte verfasst und dem Landesführungsstab als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt. Parallel dazu waren mobile Messtrupps unterwegs, um zu den automatisierten Pegelmessungen die Hochwasserabflüsse zu erfassen. Im Rückblick hat sich gezeigt, dass die tatsächlichen Niederschlagsmengen anfänglich von den Wetterprognosen unterschätzt wurden. Erst etwa zwei Tage vor dem Auftreten war das wahre Ausmaß der Niederschläge erkennbar.
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