Alles im Kasten
Urlaub im Arbeitstier: Dänemark-Tour mal anders
Arbeit mit nach Hause oder gar in den Urlaub mitzunehmen, ist pures Gift für die Work-Life-Balance. Trotzdem kann es eine gute Idee sein, jedenfalls wenn das Arbeitsgerät ein Eintonner ist und man nach Dänemark will. Ein Land, das einen nachhaltig verändern kann. Apropos: Was heißt eigentlich „hygge“?
So sind wir also Transitreisende, genauer gesagt Ford-Transit-Reisende. Drei Sitzplätze (davon einer recht bequem, aber man kann auch andere Konfigurationen bestellen), keine Schlafplätze, dafür 5,7 Kubikmeter Ladevolumen für jede Menge Krempel und unsere Fahrräder. So kann man locker in den Tag hineinleben, die Reiseroute spontan gestalten und jeweils kurzfristig online Quartiere buchen. Die dürfen im Fahrradland Dänemark dann auch gerne etwas außerhalb liegen.
Der/das Reisegefährt/e (die einzige gegenderte Stelle)
Auf zwei Wochen Roadtrip wird jedes Gefährt zum Gefährten, wenn es sich anständig aufführt, und das hat er, der Ford Transit Custom Trend L1H1 mit 136-PS-Diesel. Klingt nicht übermotorisiert für einen 1886 kg schweren Transporter, der Zweiliter-Vierzylinder reißt aber so heftig an, dass die Vorderräder sogar nach dem Hochschalten in den zweiten Gang durchdrehen, wenn man es darauf anlegt. Und wer braucht mehr als 170 km/h Spitze. Außerdem fährt er recht sparsam, wenn man den Gasfuß im Zaum hält. Und nur dann.
Auf der Anfahrt durch Deutschland steht da schon mal eine Neun vor dem Komma am Bordcomputer. Vollgas ist eben schlecht für den Verbrauch. Und für das musikalische Klangerlebnis, weil das Innengeräusch das Soundsystem überfordert. Bei geringerem Tempo passt der Klang.
Vor allem fällt auf langen Strecken auf, wie gut der Ford zu bedienen ist. Echte Lenkradtasten, mit denen man sogar easy die Zwangsassistenten abschalten kann, ein Display, das rechts neben der Google-Maps-Karte in Apple CarPlay auch noch ein weiteres Fenster wahlweise für Spotify-Titel, Bordcomputer oder sonstiges anzeigt, dazu Klimabedienung und Home-Button immer im Blickfeld. So viel Perfektion! Da hat dieser einfache Transporter vielen fancy Pkws einiges voraus.
Dass die Klimaautomatik im Testwagen selten genau das macht, was man erwartet, ist da maximal eine Fußnote wert. Die Fahrzeugbedienung (inklusive Tempomat) ist ein Quell der Freude, der den Urlaubs- oder Lieferalltag versüßt.
Süßmäuler haben es gut in Dänemark – aber nicht nur
Für den Weg nach Kopenhagen, unsere erste Station in DK, entern wir auf Fehmarn die Fähre von Puttgarden nach Rødby. An Bord gönnen wir uns die erste Zimtschnecke. Dass die zwar super, aber trotzdem nur durchschnittlich ist und wir später auf der Reise diesbezüglich wahre Großartigkeiten finden, wissen wir da noch nicht. Stichwort „Lille Bakery“ und „Lagkagehuset“ (siehe weiter unten).
Wichtig: Man fährt anders in Dänemark
Sobald man die Fähre verlassen oder die Grenze überquert hat, ist für Autofahrer aus Deutschland oder Österreich vieles anders. Man fährt hier gelassener, langsamer, hält sich viel mehr an Regeln als bei uns, obwohl das Tempolimit mit 80/120 km/h (Überland/Autobahn) niedrig ist. Klar, die hohen Verkehrsstrafen tragen dazu bei, aber Dänen sind offenbar grundsätzlich entspannter unterwegs. Das ist gewöhnungsbedürftig, wenn man wieder mal darauf wartet, dass der Vordermann endlich links abbiegt und gefühlt kilometerlange Lücken im Gegenverkehr nicht ausnutzt, senkt aber das allgemeine Stresslevel (oder macht einen wahnsinnig – je nach Charakter)
Hier ist es auch ganz normal, dass – vor allem in Städten - alles auf Radfahrer ausgerichtet ist und sie auch allgegenwärtig sind. Nicht einmal die große Zahl an Lastenrädern stört. Es ist ein harmonisches Miteinander. Ein Gefühl, das sich bald in ganz Dänemark einstellt, nicht nur auf der Straße.
City-Highlight: Refshaleøen aka Reffen
Auf nach Kopenhagen. Die Hauptstadt kennt man für die kleine Meerjungfrau aus dem Hans-Christian-Andersen-Märchen, die in Bronze gegossen seit über 100 Jahren auf ihren Prinzen wartet (ironischerweise auf einem Findling). Auch für Nyhavn (Nühaun gesprochen), mit der bunten Häuserfassadenreihe und den vielen Lokalen am Wasser.
Wirklich cool ist die Halbinsel Refshaleøen – wegen Unaussprechlichkeit kurz Reffen genannt – die von Nyhavn aus in 10 Minuten mit dem Fahrrad oder dem Hafenbus erreichbar ist. Dort ist nicht nur der größte Streetfood-Markt Nordeuropas beheimatet, Reffen ist ein Hotspot für internationale Küche und Kultur. Und in der Container-Siedlung Urban Rigger möchte man am liebsten gleich einziehen.
Dort sollte man auch die Lille Bakery besuchen, die kleine Bäckerei einer Kooperative, wo man u.a. mit die besten Zimtschnecken der Welt bekommt. Um diesen Titel rittert auch das Stammhaus des Lagkagehuset mit, zu deutsch Tortenhaus, dessen Filialen man in ganz Dänemark findet. Wichtig: Nummer ziehen, sonst wartet man ewig.
Und sonst? Kopenhagen hat jede Menge zu bieten, u.a. das autonome Viertel Christiania (wenn auch als Attraktion überschätzt), ein Heizkraftwerk mit Skilift und Ganzjahres-Skipiste am Dach (CopenHill) und viel Leben in erlebenswerten Stadtvierteln wie Vesterbro oder Nørrebro. Man kann auch an unzähligen Stellen im Meer baden, sogar im Hafen ist das Wasser sauber.
Helsingør, Roskilde, Louisiana
Statt direkt weiter nach Jütland zu dieseln, bleiben wir noch zwei Nächte auf Seeland, in zwei sehr unterschiedlichen Unterkünften: einem ebenso freundlichen wie einfachen Motel nahe Helsingør und einem herausragenden Comwell-Hotel in Roskilde (bis 1443 Hauptstadt, heute für das Musikfestival bekannt). Ein Muss in Helsingør ist ein Besuch des Louisiana Museum of Modern Art. Sogar mit Kindern, die sich hier unter Anleitung ausgiebig künstlerisch verwirklichen können, statt die sonst übliche elitäre Ruhe zu stören.
Sonst leidet Helsingør etwas unter der Nähe zu Schweden bzw. dem nur ein paar Fährminuten entfernten Helsingborg. Die regelmäßige Ankunft von „Party-Schweden“, wie sie hier genannt werden, lässt den eigentlich vorhandenen Charme der Stadt leiden.
Herrlich an der Küste sind die allerliebsten Häuschen, immer wieder lauschige Lokale und kleine Häfen. Mit echten Fischern, die etwas Idyllisches ausstrahlen, wenn sie an Bord ihrer Arbeit nachgehen. Mit ihrem Job will man trotzdem nicht tauschen. Stattdessen lieber an einem der vielen Strände baden gehen.
Aarhus und ein Dachgartenparadies in der Stadt
In Aarhus packen wir gleich wieder die Fahrräder aus, denn das extrem empfehlenswerte Hotel Guest Apart liegt etwas außerhalb (mit Straßenbahn vor dem Haus). Hier entsteht zum wiederholten Mal der Eindruck, dass sie in Dänemark richtig viel richtig machen.
Aarhus ist Dänemarks zweitgrößte Stadt und die größte auf dem Festland. Ihr Charakter ist „normaler“ als der von Kopenhagen, aber nicht minder sympathisch. Es gibt eine sehr liebe Innenstadt, dort auch eine bunte Häuserzeile (allerdings nicht am Wasser und ohne Lokale) und viele kleine Gassen mit Lokalen und Geschäften.
Eine Attraktion ist der zweigeschossige Dachgarten auf dem Kaufhaus Salling, von wo aus man einen herrlichen Blick über die Stadt hat, sich mit Aperol Spritz (den scheinen die Dänen noch mehr zu lieben als die Österreicher) oder sonst wie versorgen kann und auf den bunten Rundweg auf dem ARoS-Kunstmuseum blickt.
An der Nordseeküste, hinter den Dünen
Die nächste längere Autoetappe steht an. Der Transit fährt sich wie ein Pkw, auch in der Stadt. Die Rückfahrkamera macht ihn übersichtlich, die fordtypische Lenkung wendig. Auf der Landstraße vermittelt sie mehr Gefühl als die der meisten aktuellen Elektroautos. Das ist angenehm, auch wenn Kurven zwischen den Städten Richtung Norden immer seltener werden. Für eine Motorradtour drängt sich Dänemark nicht gerade auf, für eine Radtour schon eher.
Dieses Licht!
Je weiter wir nach Norden kommen, desto ärger wird auch die Lichtstimmung. Dazu diese Weite. Man wird fast zwangsläufig ruhig, gelassen, kommt an. Wenn man ganz oben an den Strand fährt, aussteigt und am Meer entlanggeht, kann man es innerlich geradezu einrasten hören, wenn man dafür eine Affinität hat. Auch wenn man sich daran gewöhnen muss, dass man mit dem Auto direkt auf den Strand und sogar über den Strand von A nach B fahren kann und darf. Achtung: Der feste Sand trägt zwar meistens, dennoch besteht immer die Gefahr, sich festzufahren.
Auch wenn es sehr einladend ist: Man darf zwar mit dem Wohnmobil auf dem Strand stehen, allerdings nur tagsüber. Für die Nacht muss man sich einen anderen (Stell- oder Camping-) Platz suchen.
In Skagen treffen Nord- und Ostsee aufeinander. Wir haben es allerdings nur bis Løkken geschafft, einem sympathischen, kleinen Bade- und Surfort mit netten Lokalen und auch Shopping-Möglichkeiten. Der Charakter der Kleinstadt ist sehr angenehm, die Menschen freundlich und unaufdringlich. Wer Bade-Hotspots nur aus Italien, Spanien oder Österreich kennt, wird positiv überrascht sein.
Highlight am Schluss: Eine „hyggelige“ kleine Insel
Ausgerechnet im ADAC-Magazin Motorwelt bin ich auf ein autofreies Kleinod gestoßen: Tunø, eine 3,52 km² große Insel vor der Ostküste Jütlands, direkt neben der Insel Samsø. Wir finden mit knapper Not einen Parkplatz im Hafen von Hou, schieben die Räder an Bord der Tunøfærgen und gehen eine Stunde später an Land.
Unsere Unterkunft haben wir am Tag vorher über die dänischsprachige Website des kleinen Anwesens gebucht. Geschrieben versteht man vom Dänischen dann doch relativ viel, auch wenn man beim gesprochenen Dänisch kaum eine Chance hat.
Auf Tunø findet man das, was man ein Idyll nennen kann. Die Dänen würden hier von Hygge sprechen, was schwer zu übersetzen, aber am ehesten mit Gemütlichkeit oder Behaglichkeit zu umschreiben ist. Es gibt noch wirklich einsame Strände, einen Kirchturm, der gleichzeitig als Leuchtturm fungiert, sehr wenige Unterkünfte und eine Handvoll Lokale. Bei 74 Einwohnern ist alles sehr überschaubar. Der Kellner, der uns abends bedient hat, ist gleichzeitig Postbote und für die Müllabfuhr zuständig.
Gut zu wissen
Sprache: Die Dänen sprechen fast ausnahmslos perfektes Englisch, was die Verständigung enorm erleichtert, da gesprochenes Dänisch für uns kaum zu verstehen ist.
Bezahlen: Bargeld ist so gut wie überflüssig. Kontaktloses Bezahlen mit Karte oder Handy ist überall Standard, selbst an kleinen Automaten.
Preise: Das Preisniveau ist deutlich höher als in Österreich. 17 Euro für einen Aperol Spritz oder ein Smørrebrød sind keine Seltenheit.
Trinkgeld: Ist in Dänemark gänzlich unüblich und wird auch nicht erwartet.
Wenn die Fähre anlegt, geht es rund im Hafen. Sie ist die Lebensader der Insel. Lebensmittel, Baumaterialien, Autoanhänger mit Zelt und Campingutensilien werden aus dem Bauch der Fähre gerollt. Und unsere Räder wieder rein.
Die Weisheit der Dänen
Während die Fähre ablegt, denken wir: Zehn Tage Dänemark vergehen schnell – und doch langsam, weil man richtig viel erlebt, wenn man es richtig anlegt. Das Land ist vielseitig, die Menschen offen, blicken einem ins Gesicht und lächeln, statt missmutig vorbeizuschauen. Mit dem Wetter muss man halt Glück haben. Unserer Erfahrung nach ändert sich die Vorhersage in den Apps mehrmals täglich, man muss es also nehmen, wie es kommt. Was generell eine gute Lebensweisheit bzw. -haltung ist.
Und an Lebensweisheit sind sie in Dänemark generell reich. Hier schaut man auf die Work-Life-Balance, aber nicht im Sinn von nichts weiterbringen, sondern von richtig zielstrebig arbeiten, um dann Zeit für sich, Familie und Freunde zu haben. Dann ist „Hygge“ angesagt, dieser Wohlfühlzustand, der so schwer zu erklären ist. Es gibt Bücher, die sich einer Definition annähern. Zu Hause hat er viel mit Kerzen zu tun, überhaupt mit dem richtigen Licht, der richtigen Lebenseinstellung und mit den richtigen Leuten, mit denen man sich umgibt oder nicht. Überhaupt damit, Dinge und Menschen „wegzulassen“, die einem nicht guttun.
Gut zu wissen in Dänemark
Dänisch wirkt geschrieben dem Deutschen sehr ähnlich, gesprochen ist es Kauderwelsch. Gut, dass die Dänen allesamt hervorragend Englisch sprechen. Bezahlt wird praktisch überall kontaktlos per Karte oder Handy, sogar am Automaten auf der Tunø-Fähre. Und mittlerweile sogar bei den Gastro-Einrichtungen in Kopenhagens autonomen Stadtteil Christiania. Die Preise sind hoch, 17 Euro für einen Aperol Spritz nicht ungewöhnlich. Dafür ist Trinkgeld unüblich.
„Fahrzit“
Eine Reise nach Dänemark, egal ob im Kastenwagen oder anders, ist eine Erfahrung, die entschleunigt und verzaubert. Die weite Anreise aus Österreich wird reichlich belohnt, auch per Bahn (Autoreisezug Wien-Hamburg, dann mit der Fähre) oder Flugzeug ist möglich. Auf jeden Fall kehrt man nicht nur mit unzähligen Eindrücken zurück, sondern vielleicht auch mit einer neuen Perspektive und dem festen Vorsatz, mehr „Hygge“ in den eigenen Alltag zu integrieren.
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