„Burgtheater“, die rasierklingenscharfe Posse mit Gesang der späteren Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek scheitert trotz fulminanter Besetzung in Milo Raus Inszenierung an der Burg.
Gedankenspiele helfen zuverlässig bei der Bewältigung überlanger Theaterabende. Deshalb stellt sich der zwischendurch beeindruckte, minutenlang sogar faszinierte, aber zuletzt doch verärgerte Besucher der zentralen Festwochenpremiere die folgenden Fragen: Muss man englischer Spätmittelalterexperte sein, um „Richard III.“ zu verstehen? Muss man die Meyerbeer-Oper „Der Prophet“ kennen, um Nestroys Parodie zu schätzen? Elfriede Jelineks „Burgtheater“ hat nämlich eine tragfähige Geschichte, die auch ohne Fußnotenexzesse, eventuell mit ein paar erläuternden Sätzen, bestehen kann: Eine Schauspielerfamilie, in der Kunst so begnadet wie im Opportunismus, arbeitet zu Höchstgagen an der Volkssedierung bzw. -verhetzung im Nazi-Reich. Die Russen stehen noch gar nicht vor der Tür, schon sind alle drei als Widerstandskämpfer kostümiert.
Hinter den Personen verbirgt sich eine einst gottähnliche Dynastie, die heute kaum noch ein junger Besucher kennt: Paul Hörbiger war für die kriegswichtige Unterhaltung zuständig, sein Bruder Attila und dessen Gattin Paula Wessely verdingten sich im Propagandasegment. Was aber ihrer (künstlerisch berechtigten) Ikonisierung nach dem Krieg keinen Abbruch tat. Diesen Verwandlungskünstlern ließ Elfriede Jelinek 1981 unter Protesttumulten eine „Posse mit Gesang“ angedeihen. Sie artikuliert sich in einer entfesselten Hanswurstiade von Nestroy’schem Rasierklingenschliff und funktioniert auch ohne Wissen um die Vorbilder, wie eine kürzliche Lesung bewies
Der Regisseur Milo Rau greift allerdings zu völlig überzogenen Erklärmaßnahmen: Das Original ist rüde zusammengestrichen, die Reste blühen zwar in den Händen der Luxusbesetzung Birgit Minichmayr (ihre Wessely-Bravournummer laboriert an leichter Wortundeutlichkeit), Caroline Peters (Attila) und Mavie Hörbiger (ihr Großvater Paul). Doch ertrinkt das Vergnügen in einer unregulierten Flut an Wikipedia- und Betroffenheitspädagogik, mit viel FPÖ, etwas Netanjahu und zu viel Handkamera. An den sinnlos vielen, kaum genutzten Schauplätzen (Bühne: Anton Lukas) schwafeln auch die Nebendarsteller Safira Robens, Itay Tiran, Tilman Tuppy und Annamaria Lang wie ein außer Kontrolle geratenes Divisionshauptquartier der Heilsarmee.
Der am Samstag verstorbenen Wessely-Hörbiger-Tochter Elisabeth Orth, deren Kinderrolle in der Aufführung kaum existiert, wurde mit einer Schweigeminute gedacht.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.