Festwochen-Aufreger

„Burgtheater“ mit Wikipedia-Pädagogik totgepredigt

Kritik
19.05.2025 08:55

„Burgtheater“, die rasierklingenscharfe Posse mit Gesang der späteren Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek scheitert trotz fulminanter Besetzung in Milo Raus Inszenierung an der Burg. 

kmm

Gedankenspiele helfen zuverlässig bei der Bewältigung überlanger Theaterabende. Deshalb stellt sich der zwischendurch beeindruckte, minutenlang sogar faszinierte, aber zuletzt doch verärgerte Besucher der zentralen Festwochenpremiere die folgenden Fragen: Muss man englischer Spätmittelalterexperte sein, um „Richard III.“ zu verstehen? Muss man die Meyerbeer-Oper „Der Prophet“ kennen, um Nestroys Parodie zu schätzen? Elfriede Jelineks „Burgtheater“ hat nämlich eine tragfähige Geschichte, die auch ohne Fußnotenexzesse, eventuell mit ein paar erläuternden Sätzen, bestehen kann: Eine Schauspielerfamilie, in der Kunst so begnadet wie im Opportunismus, arbeitet zu Höchstgagen an der Volkssedierung bzw. -verhetzung im Nazi-Reich. Die Russen stehen noch gar nicht vor der Tür, schon sind alle drei als Widerstandskämpfer kostümiert.

Birgit Minichmayr als Paula Wessely, umringt von Nazi-Symbolik
Birgit Minichmayr als Paula Wessely, umringt von Nazi-Symbolik(Bild: © Tommy Hetzel, Krone KREATIV)
Birgit Minichmayr, Alla Kiperman, Maja Karolina Franke, Caroline Peters, Mavie Hörbiger, ...
Birgit Minichmayr, Alla Kiperman, Maja Karolina Franke, Caroline Peters, Mavie Hörbiger, Annamária Láng(Bild: © Tommy Hetzel)
Mavie Hörbiger unter dem Porträt ihres Großvaters, Schauspielerlegende Paul Hörbiger
Mavie Hörbiger unter dem Porträt ihres Großvaters, Schauspielerlegende Paul Hörbiger(Bild: © Tommy Hetzel)

Hinter den Personen verbirgt sich eine einst gottähnliche Dynastie, die heute kaum noch ein junger Besucher kennt: Paul Hörbiger war für die kriegswichtige Unterhaltung zuständig, sein Bruder Attila und dessen Gattin Paula Wessely verdingten sich im Propagandasegment. Was aber ihrer (künstlerisch berechtigten) Ikonisierung nach dem Krieg keinen Abbruch tat. Diesen Verwandlungskünstlern ließ Elfriede Jelinek 1981 unter Protesttumulten eine „Posse mit Gesang“ angedeihen. Sie artikuliert sich in einer entfesselten Hanswurstiade von Nestroy’schem Rasierklingenschliff und funktioniert auch ohne Wissen um die Vorbilder, wie eine kürzliche Lesung bewies

Safira Robens, Annamária Láng, Tilman Tuppy, Caroline Peters
Safira Robens, Annamária Láng, Tilman Tuppy, Caroline Peters(Bild: © Tommy Hetzel)
Birgit Minichmayr, Caroline Peters
Birgit Minichmayr, Caroline Peters(Bild: © Tommy Hetzel)
Safira Robens, Tilman Tuppy
Safira Robens, Tilman Tuppy(Bild: © Tommy Hetzel)
Caroline Peters, Annamária Láng, Birgit Minichmayr, Itay Tiran
Caroline Peters, Annamária Láng, Birgit Minichmayr, Itay Tiran(Bild: © Tommy Hetzel)

Der Regisseur Milo Rau greift allerdings zu völlig überzogenen Erklärmaßnahmen: Das Original ist rüde zusammengestrichen, die Reste blühen zwar in den Händen der Luxusbesetzung Birgit Minichmayr (ihre Wessely-Bravournummer laboriert an leichter Wortundeutlichkeit), Caroline Peters (Attila) und Mavie Hörbiger (ihr Großvater Paul). Doch ertrinkt das Vergnügen in einer unregulierten Flut an Wikipedia- und Betroffenheitspädagogik, mit viel FPÖ, etwas Netanjahu und zu viel Handkamera. An den sinnlos vielen, kaum genutzten Schauplätzen (Bühne: Anton Lukas) schwafeln auch die Nebendarsteller Safira Robens, Itay Tiran, Tilman Tuppy und Annamaria Lang wie ein außer Kontrolle geratenes Divisionshauptquartier der Heilsarmee.

Schweigeminute nach der „Burgtheater“-Aufführung für die verstorbene Wessely/Hörbiger-Tochter ...
Schweigeminute nach der „Burgtheater“-Aufführung für die verstorbene Wessely/Hörbiger-Tochter Elisabeth Orth(Bild: APA/HERBERT PFARRHOFER)

Der am Samstag verstorbenen Wessely-Hörbiger-Tochter Elisabeth Orth, deren Kinderrolle in der Aufführung kaum existiert, wurde mit einer Schweigeminute gedacht.

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