Newcomer mit Album

Potato Beach: Der Sound der 60er ohne Misogynie

Musik
20.03.2024 09:00

Über Jahre hinweg sammelte Jannik Rieß Lieder im 60s-Stil zusammen, nun veröffentlicht er sie gesammelt unter dem Banner Potato Beach. Aus dem Ein-Mann-Projekt ist mittlerweile eine geschlossene Band geworden, die sich ganz dem französischen „Art de Vivre“ verpflichtet und den auch ihm angemessenen Soundmantel propagiert.

(Bild: kmm)

Die Musik aus den 60er-Jahren. Schier unendliche Klangweiten, durchtränkt von einer besonders romantischen Form der Freiheit und exerziert mit größtmöglicher Experimentierfreudigkeit. Der Surf Rock der Beach Boys, das vielseitige Pop-Feld der Beatles, die rotzige Rock’n’Roll-Attitüde von den Rolling Stones und The Who oder die sanfte Folklore, die Simon & Garfunkel mit sich brachten. So schön die Sounds auch klingen mögen, mit den aus der Zeit gefallenen Texten von damals wird Jannik Rieß nicht warm, wie er der „Krone“ im Interview verrät. „Teilweise sind sie mir zu sexistisch. Dieser ,Girl I gotta have you on my mind‘-Stil ist richtig schlimm. Ich höre mir gerne Bands wie die Beach Boys oder die Kinks an. Die Musik war damals so ruhig und angenehm unperfekt, aber textlich muss ich das oft skippen.“ Rieß ist 30, stammt aus dem deutschen Herrenberg in Baden-Württemberg und ist schon seit geraumer Zeit in Wien als Musiker sesshaft.

Solo mit Band
Auf seinem aktuellen Projekt Potato Beach versucht er die Soundästhetik seines musikalischen Lieblingsjahrzehnts mit zeitgemäßen, aus der Gegenwart gezogenen Texten zu vermischen, ohne dabei bloß zu kopieren. „Es ist mitunter die größte Kunst, einen positiven und lebensbejahenden Text zu schreiben, der nicht zu plakativ ist. Das ist wahrscheinlich der Grund, dass ich trotz der nicht so düsteren Songs bei eher düsteren Texten bleibe. Begriffe wie ,Baby‘ versuche ich tunlichst zu vermeiden. Ich verwende dann lieber das Wort Darling, das ist geschlechtsneutral“, lacht Rieß. Potato Beach ist eigentlich ganz dem Hirn des Frontmannes entschlüpft, mittlerweile hat sich das Solo-Projekt aber zumindest für die anstehenden Live-Konzerte und das Einspielen von Liedern auf Bandgröße ausgeweitet.

Der Zusammenschluss verlief so zufällig wie ungewohnt analog. „Anja und ich haben uns beim Maifield Derby in Deutschland kennengelernt. Wir haben uns gewundert, dass wir beide in Wien leben und haben uns beim Kurt-Vile-Konzert wiedergetroffen. Mit Sven habe ich meine Bachelor-Arbeit geschrieben, Peter half ich bei seinem Projekt The Human Boy und Lilly lernte ich kennen, als Anja ein Konzert veranstaltete.“ Das Interessante an dieser bunten Gemengelage – die einzelnen Musikerinnen spielen nicht nur bei anderen, teilweise größeren Projekten (Zinn, The Human Boy, Atom Womb), sie kommen auch aus komplett unterschiedlichen musikalischen Szenen. „Im großen Überbegriff Surf Rock finden wir uns dann aber alle“, so Rieß, „und es ist für alle Beteiligten ein bisschen das jeweilige Wohlfühlprojekt.“ Rieß selbst ist für das gesamte Songwriting und die Konzeptionierung verantwortlich – eine klar ausgesprochene Tatsache.

Geschmacksüberblick
Die Songs auf dem soeben erschienenen Debütalbum „Dip In“ sind sehr eklektisch ausgefallen und lassen sich nicht in einen stringenten Stilmantel pressen. Auf dem Cover-Artwork sieht man einen guten Freund von Rieß, der im Urlaub in den Calanques bei Marseille zögerlich überlegt, ob er jetzt springen soll oder nicht. „Es geht um Unsicherheiten und auch um den Bruch mit gesellschaftlichen Fassaden. Diese Themen sind sehr stark ausgeprägt. Musikalisch vielseitig sind wir auch, weil ich auf keinen Fall will, dass Potato Beach so eine Szeneband wird wie AC/DC oder die Hives. Ich kann nicht für jeden Geschmack von mir eine eigene Band gründen, also vermischen wir die Stile hier.“ Songs wie „Fever“ oder „Pandora“ haben schon einige Jahre auf dem Buckel, andere kamen aktueller. „Das Album gibt einen guten Überblick über meinen derzeitigen Musikgeschmack und was mich alles inspiriert hat.“

„Dip In“ ist zuvorderst eine in Ton gegossene Einladung, sich dem Alltagsstress zu entziehen und der Gemütlichkeit mehr Platz im Leben einzuräumen. „Ich arbeite seit November in einem neuen Job, aber 40 Stunden würden mich kaputtmachen“, so Rieß, „ich habe eine 4-Tage-Woche und der Freitag ist dezidiert immer für Musik reserviert. Ich kann mich voll darauf konzentrieren und es muss auch nicht immer was dabei herauskommen. Ein Ergebnis ist nicht der Vorsatz von Kreativität. Ich achte gerne auf mein Wohlbefinden.“ In den Texten reflektiert der Frontmann die Erfahrungen, Erlebnisse und Beobachtungen seines Lebens. Die Songs gehen inhaltlich aber nicht zu sehr in die persönliche Schneise, weil Potato Beach damit dem Hörer nicht die Eigeninterpretation nehmen wollen. Ein Schlüsselsong ist etwa „Meltdown“. „Einerseits geht es um die Überforderung mit Arbeit, andererseits wortwörtlich um die absurde Hitze, die wir mittlerweile jeden Sommer erleben. Es geht also um den persönlichen und den globalen ,Meltdown‘.“

Beispiel für Zusammenhalt
Das Album ist aber auch ein Gefährte gegen Süchte und egoistische Umtriebe und stellt sich wiederholt gegen den ausbeuterischen Trend zur Selbstoptimierung. „Es wäre schön, wenn die Wirtschaft möglichst stabil und gesund bleibt, aber das ist aktuell ziemlich utopisch. Ich bin beruflich im Mobilitätsbereich tätig und Automatisierung ist dort ein großes Thema. Dass Jobs wie Busfahrer oder Fahrkartenverkäufer gestrichen werden, ist auch sozial gesehen schade. Das sind Berufe, wo man Kontakt zu anderen Menschen hat. Jobs, wo wir alle hinterm Bildschirm hängen und uns einsam einigeln, gibt es schon zur Genüge.“ Ein gutes Beispiel für echte Freundschaft und Zusammenhalt ist die Band selbst. „Wir haben uns wirklich gefunden“, so Anja Pöttinger, „Bands sind für junge Leute immens wichtig. Sie haben dort einen Raum, um unter sich zu sein und sich auszuprobieren. Dafür stehen wir natürlich ein.“

Live in Wien
Diesen Raum nützen Potato Beach (der Name resultiert übrigens aus der gemeinschaftlichen Liebe für Strände und Erdäpfel) für ihre Album-Release-Show, die am 19. April im Ottakringer DIY-Spot Kollektiv Kaorle stattfinden wird. Ebenfalls mit an Bord sind die Laundromat Chicks und Gardens. Unter www.kollektiv-kaorle.at gibt es alle weiteren Informationen und auch noch die Karten für das Konzert.

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