Vor der Interpol-Generalversammlung in Wien haben die Anwälte von zwei Briten, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) Haft und Folter erlitten, bei der Staatsanwaltschaft Wien Beschwerde gegen Interpol-Chef Ahmed Naser Al-Raisi eingebracht. Al-Raisi war damals hoher Polizeibeamter in den Emiraten. Die Beschwerde wegen ungesetzlicher Haft und Folter erfolgt auf Basis der universellen Gerichtsbarkeit. Die Staatsanwaltschaft prüft ihre Zuständigkeit.
Vor Journalisten sprachen die beiden Opfer, Matthew Hedges und Ali Issa Ahmad, am Montag in Wien über ihr Leiden in der Haft. Anwalt Rodney Dickson stellte zu den beiden Menschenrechtsfällen fest: „Nichts wurde getan, auch nicht hinterher“, um die Verantwortlichen in den Emiraten zur Rechenschaft zu ziehen. Al-Raisi war vor seiner Wahl zum Interpol-Chef 2021 Generalinspektor in den VAE, als die beiden Briten 2018 bzw. 2019 festgenommen und verurteilt wurden. Die Anzeige in Österreich wurde jetzt eingereicht, weil Al-Raisi sich zu der Konferenz hier aufhält und laut universeller Gerichtsbarkeit im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig von Staatsbürgerschaft und Tatort gegen mutmaßliche Schuldige vorgegangen werden könne.
Eines der Opfer war sieben Monate in Einzelhaft
Matthew Hedges hatte sich 2018 zu Recherchen für sein Doktorat in den Emiraten aufgehalten, als er wegen Spionage für Großbritannien festgenommen wurde. In der siebenmonatigen Einzelhaft wurden ihm Drogencocktails verabreicht, Dunkelhaft in einem anderen Land wie Jemen wurde ihm angedroht. „Ich hörte Schmerzensschreie“ von malträtierten Häftlingen nebenan, erzählte er in Wien. Er wurde zu einem falschen Geständnis gezwungen. Verurteilt wurde er in einem Prozess nach sieben Monaten zu einer lebenslänglichen Haftstrafe. Nach großem internationalem Druck wurde er freigelassen.
Hier erzählt eines der mutmaßlichen Opfer von seinen Erlebnissen:
Hedges, der von seiner ebenfalls in der Sache sehr engagierten Frau nach Wien begleitet wurde, ist überzeugt: „Al-Raisi war sicher involviert“, in seiner damaligen hohen Position. Als Chef von Interpol schade er dem Ruf dieser internationalen Institution. Großbritannien sprach im September 2023 eine offizielle Entschuldigung im Fall Hedges aus, weil man die Zeichen der Folterung bei einem Gefängnisbesuch nicht entsprechend wahrgenommen habe.
T-Shirt mit „falscher“ Fahne Anlass für Haft bei zweitem Ankläger
Ali Issa Ahmad war 2019 als Fan für ein Fußballturnier in die VAE gekommen. Auf seinem T-Shirt war die Fahne des Golf-Staates Katar abgebildet. Dies genügte offenbar zur Festnahme, denn Katar stand damals bei den Nachbarn in Ungnade. In der Haft habe er Elektroschocks erhalten, sei geschlagen und mit Feuer verletzt worden. Er habe kaum Essen und Trinken bekommen, schilderte Ahmad. Kontakt zur britischen Botschaft sei ihm anfangs verwehrt worden. Schließlich wurde er dazu gezwungen, ein Geständnis zu unterschreiben, dass er Missetaten begangen habe. Auch Ahmad kam nach internationaler Intervention frei.
Die jetzt in Wien eingereichte Klage bezieht sich auch auf den Fall des bahrainischen Regimekritikers Ahmed Jaafar Mohammed Ali, der 2021 in Serbien um Asyl ansuchte. Dort wurde er im Jänner 2022 festgenommen und in einem Flugzeug der VAE unrechtmäßig nach Bahrain geflogen. Hinter dieser Aktion sei ein Mitglied der VAE-Herrscherfamilie gestanden, so der Anwalt. In Bahrain sei der Dissident noch immer inhaftiert. Anwalt Dickson zitierte den von ihm vertretenen Bürger des Golfstaates mit den Worten: „Mein Leiden ist unvorstellbar, seit ich in Bahrain lebenslänglich inhaftiert bin.“
Interpol soll Überstellung nach Bahrain zugestimmt haben
Der Fall des unrechtmäßig aus Serbien entführten und nach Bahrain überstellten Dissidenten war der erste dieser Art, seit Al-Raisi sein Amt an der Spitze der Interpol antrat. Sowohl Serbien als auch Bahrain gaben an, die Operation sei mit Zustimmung der Interpol erfolgt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich dagegen ausgesprochen. Anwalt Dickson kritisierte in Wien die Wahl Al-Raisis zum Interpol-Chef und beklagte die Tatsache, dass in der heutigen Zeit nichts gegen die Folter unternommen werde.
Bereits fünfte Klage gegen Al-Raisi
Im Falle der beiden Briten, die in Begleitung ihrer Anwälte nun nach Wien kamen, ist die am Montag in Österreich eingereichte Klage gegen Al-Raisi bereits die fünfte dieser Art. In der Türkei, in Frankreich, Schweden und Norwegen waren bereits Klagen gemäß der universellen Gerichtsbarkeit eingereicht worden, wie Anwalt Dickson erklärte. Im Falle von Folter komme der Faktor Immunität bei einem hohen Funktionär wie Al-Raisi nicht zum Tragen.
Experte: Immunität dürfe „kein Selbstzweck sein“
Ralph Janik, Völkerrechtsexperte von der Sigmund-Freud-Universität, erläuterte die rechtlichen Zusammenhänge und Möglichkeiten im Falle Österreichs. Das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit könne während der internationalen Konferenz in Wien angewendet werden. Die Entscheidung liege bei Österreich. Es sei wichtig, internationalen Druck auszuüben. Im Falle von Folter gehe es um den Schutz von Menschen. Immunität dürfe auch „kein Selbstzweck sein“.
Die Staatsanwaltschaft Wien bestätigte am Dienstag, dass die „Sachverhaltsdarstellung“ bei ihr eingelangt sei. Nun werde geprüft, „ob eine Zuständigkeit vorliegt“, sagte eine Sprecherin. Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock wollte sich vor dem Auftakt der Generalversammlung in Wien unter Verweis auf laufende Verfahren zu den Vorwürfen nicht äußern.
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