Live im Wr. Reigen

Atomic Rooster: Steve Bolton kommt mit Kultband

Wien
06.11.2023 09:00

Paul Young, The Who, Bob Dylan, David Bowie - nur ein kleiner Auszug jener Künstler, mit denen der britische Gitarrist Steve „Blitz“ Bolton im Laufe seiner Karriere spielte. Am 8. November kommt er mit den reanimierten Kult-Proggern Atomic Rooster in den Wiener Reigen. Im „Krone“-Talk gab er uns Einblicke in sein buntes Leben, das alles andere als geradlinig verlief.

Steve „Boltz“ Bolton ist eine stille Legende des 70er- und 80er-Jahre Rock. Im Laufe seiner Karriere nahm er mit David Bowie auf, spielte eine Rolle in Bob Dylans Film „Hearts Of Fire“, tourte mit 80er-Legende Paul Young durch Europa und Amerika und schrieb gar einen Song für sein Album „No Parlez“ und wurde vor allem von The-Who-Boss Pete Townshend über alle Maßen geschätzt. Als Rhythmus- als auch Leadgitarrist der britischen Mod-Legenden spielte Punk-Fan Bolton in den größten Arenen und Stadien der Welt. In den 90er-Jahren verlor er zwar an Popularitätsterrain, war aber immer noch gut gebuchter Session-Gitarrist für diverse Künstler wie etwa Scott Walker.

Doch wo Licht, da auch Schatten. Seine langjährige Kokainabhängigkeit führte den heute 73-Jährigen an den Rand seine Existenz. Vor etwas mehr als zehn Jahren hauste er, vom staatlichen Radar getilgt, in einem Wohnwagen und wusste weder ein noch aus. Mithilfe seiner zweiten und aktuellen Frau Louise und einigen Schicksalsfügungen fand er wieder in die Spur und gründete mit Dead Man’s Corner seine eigene Band. Nebenbei reaktivierte er mit dem einstigen Sänger Pete French 2016 die 70er-Jahre-Prog-Rock-Kultband Atomic Rooster, die unter der Schirmherrschaft des einstigen Arthur-Brown-Organisten Vincent Crane für Furore sorgte und Top-Musiker von Carl Palmer über Chris Farlowe bis hin zu Ginger Baker willkommen hieß. Nun kommt die Kultband gar in den Wiener Reigen - ein Pflichttermin für alle Rock-Fans!

„Krone“: Steve, die allerwichtigste Frage für einen Musiker aus Manchester: United oder City?
Steve Bolton:
Mir ist Fußball ziemlich egal, aber wenn ich mich entscheiden müsste, dann wohl United. Als ich jünger war, war ich öfters in Südlondon bei Charlton Athletic. Mich hat Manchester United als Junge mal eine Zeit lang interessiert, aber das hat sich irgendwann gelegt.

Du hast schon in den 60er-Jahren angefangen, in Rockbands zu spielen …
Da war ich noch verdammt jung, aber ich habe mit ein paar Freunden die erste Schulband gegründet. Ein älterer Junge hatte einen Gitarrenkoffer und ich habe ihn gefragt, ob er nicht eine Band starten möchte und so ging es los. Wir spielten ein paar Covers und mir war schnell klar, dass ich Rhythmusgitarrist sein wollte und nicht Bandleader. Lustig, oder? Pete Townshend war dafür geboren, ich nicht. Es gibt in keiner Band genug Platz für zwei Lead-Gitarristen. (lacht)

Vor The Who war noch Atomic Rooster. Für das 1971 erschienene Album „In Hearing Of Atomic Rooster“ warst du auf der folgenden Tour dabei, bei „Made In England“ (1972) hört man dich und deine Gitarre auch auf dem Album selbst.
Wir hatten damals eine Band in Manchester. Zwei Gitarren, ein Bass, ein Schlagzeug, der Sänger und ein Saxofon - warum auch immer. Ich hasse das Saxofon. (lacht) Wir sind dann nach London gegangen, um es zu schaffen, aber zerbröselten völlig. Ein paar Jungs zogen wieder zurück, andere blieben, machten aber was anderes. Ich habe dann in der Zeitung eine Anzeige gelesen, dass eine Band namens Atomic Rooster dringend einen Gitarristen suchte. Ich schlief damals am Boden eines Freundes und spielte mit einer spanisch angehauchten Band in Striptease-Clubs in Soho. Bei der Audition von Atomic Rooster überzeugte ich, es gab eine zweite Runde und ich war dabei. Ich hatte damals keine Ahnung, wie man Leadgitarre spielte und ein Freund zeigte mir das wichtigste. Dann ging es mit der Band für zwei Touren über gesamt 18 Monate nach Amerika.

Anfang der 70er-Jahre florierte das Rockbusiness. Es gab unzählige gute Bands, die Drogen waren rundum frei verfügbar und alles brach auf in monströse Konzerte und Touren. Wie kommt man als 22- oder 23-Jähriger mit so etwas klar?
Ric Parnell, unser Drummer, war mein großer Dealer. In Amerika war es mit den Drogen wie in einem Süßigkeitengeschäft. Es gab überall alles und das nicht zu knapp. Selbst 1971 war es noch immer normal, sich alles zu werfen, was herumging. Es gab bei Konzerten keine Securitys und Mädchen kifften auf den Ecken der Bühnen. Für mich war das ein Crashkurs, aber vielmehr verliebte ich mich in Amerika selbst. Nach meinen 18 Monaten bei Atomic Rooster war es vorbei und ich kam zu einer Band namens Headstone, mit der ich zwei Alben aufnahm. So habe ich die 70er-Jahre erlebt. Als die Sex Pistols aufkamen, fand ich das im Gegensatz zu den meisten Kollegen großartig. Ich habe bei ihnen immer Captain Beefheart herausgehört. John Lydon war ein großer Fan und das habe ich bemerkt. Die meisten haben das nicht verstanden.

Haben dir das Image und die rohe Ausprägung von Punk gefallen? Dass harte Musik nach Jahren der steigenden Opulenz wieder auf ihr wesentlichstes, gefährliches Element zurückgeschraubt wurde?
In den 70er-Jahren in London zu sein, war einfach großartig. In den richtigen Clubs bist du auf David Bowie oder Ginger Baker getroffen, aber das waren „Members Clubs“, da kam man nicht so leicht rein. Das waren großartige Zeiten. Ich war als Musiker in Amerika in einem Van, ohne ordentlich bezahlt zu werden und andererseits sehr würdig untergebracht. Ersteres hat definitiv meinen Charakter gebildet, aber das Land fühlt sich natürlich ganz anders an, wenn man jeden Tag ums Überleben kämpft.

Die Musikwelt schien damals auch noch sehr frei und unabhängig gewesen zu sein. Trotz der diversen Downs, die es zweifellos auch gab. Hast du das genossen?
Absolut. Ich bin jetzt seit elf Jahren mit meiner zweiten Frau verheiratet und würde das alles so nicht mehr machen. Aber damals war ich jung, Single und leidenschaftlicher Musiker. Ich hatte eine kleine Wohnung in London, die ich immer wieder vermietete, und so konnte ich tun, was ich will.

Und über die Jahre hast du die Größen der Musikwelt kennengelernt. Paul Young, The Who, Bob Dylan …
Damals bekam man noch Anrufe von Produzenten und konnte einspringen. Tony Visconti rief mich an und meinte, ich solle ins Studio kommen und mit jemanden arbeiten. Ich fuhr hin und David Bowie war da. Es ging darum, Songs wie „Panic In Detroit“ oder „Space Odyssey“ für eine TV-Show neu einzuspielen. Es war fast surreal, denn David Bowie kam man normalerweise nicht so nahe. Das war in den ganz frühen 80er-Jahren.

Das Kapitel mit The Who ist dein bekanntestes. Das Vertrauen von Pete Townshend zu gewinnen, ist auch alles andere als eine Selbstverständlichkeit …
Das war wirklich abgefahren. Zuerst kam noch Paul Young, der damals einen Gitarristen für sein Album „No Parlez“ (1983) suchte. Ich kannte seinen Drummer und seinen Produzenten und dachte mir, warum nicht. Auch wenn es nicht ganz mein Sound war. Ich habe dort also meinen Job gemacht und Paul sagte, sie bräuchten noch einen Song für das Album. Über Nacht schrieb ich dann die Nummer „Ku Ku Kurama“, die ganz am Ende aufgenommen wurde und am Album landete. Das war auch eine ziemlich magische Sache. Nach zwei Jahren, wo wir so gut wie jeden Tag zusammenspielten, habe ich die Band nach einigen USA- und Europa-Touren verlassen. Ich wollte mich damals selbst verwirklichen.

Es ging musikalisch die meiste Zeit nur bergauf bei dir.
Privat aber nicht. Als unser gemeinsamer Sohn ein Jahr jung war, kam ich drauf, dass meine damalige Frau eine Affäre mit einem Herzchirurgen hatte. Das war 1989. Ich war komplett am Boden und wollte die Musik hinschmeißen. Plötzlich läutete mein Telefon und Pete Townshend war am anderen Ende des Apparats. Ich solle mal vorbeikommen. Ich fuhr dann mit meinem Auto nach East Sussex, um Demos aufzunehmen, um mich zu beweisen. Währenddessen wurde mir gesagt, Townshend wäre ein großer Fan von mir und liebe mein Spiel. Ich wusste, dass The Who zum 25-Jahre-Jubiläum etwas machen wollten. Pete sagte mir direkt, er wäre von mir begeistert und ich solle Leadgitarre spielen. Unglaublich! Ich habe The Who das erste Mal als 16-Jähriger gesehen und war hin und weg.

Er lud mich in sein Studio ein, um ein paar Songs zu spielen und meinte, ich solle leise spielen, was kurios war, denn The Who waren die lauteste Band der Welt. Dann sagte er, er würde mit John Entwistle für Promotion nach Amerika fliegen und ich solle in England zu der Zeit seinen Part als musikalischer Leiter übernehmen. Sein Team mochte mich nicht, das war anfangs natürlich klar. Irgendwann hat sich aber alles eingespielt. Es war so kurios. Die Warm-Up-Gigs fanden in Eishockey-Stadien vor etwa 10.000 Leuten statt. Die richtigen Konzerte vor bis zu 90.000. Die Zuseher waren so klein wie Ameisen, einfach unglaublich. Ich sah immer rüber zu Entwistle, der mich während der Gigs fragte, ob alles okay sei. Ich habe eine Zeit lang gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Das waren wirklich großartige Zeiten.

Mit welchen Musikern oder in welchen Projekten hast du dich eigentlich am meisten wohlgefühlt?
Ich fühle mich jetzt mit Atomic Rooster und meiner Soloband am besten, aber ich weiß, dass du was anderes hören willst. (lacht) Bei The Who war die Dynamik ganz speziell. Roger Daltrey stolzierte immer durch die Gegend und sagte, er sei der Boss, aber jeder wusste, dass es Pete Townshend war. Damals wollten sie immer, dass ich John Entwistle sage, wir müssten seinen Bass leiser drehen, aber darauf habe ich mich nicht eingelassen. Das war schließlich nicht mein Job. (lacht) Die 90er-Jahre liefen für mich nicht sonderlich gut. Ich spielte in ein paar Projekten ohne große Erfolge und meine Ehe zerbrach endgültig. Die letzten zehn oder zwölf Jahre liefen aber großartig. So rund um 2012 lebte ich in einem Wohnwagen und war schwer auf Drogen. Dann passierte Magisches. Ich traf meine Frau Louise, wurde clean, zog wieder in eine Wohnung und alles hat sich wieder gebessert.

Als Musiker lebt man immer von der Hand in den Mund, aber ich hatte schwere Zeiten zu durchtauchen. Pete French überredete mich 2016 zur Wiederbelebung von Atomic Rooster, doch ich war anfangs noch skeptisch. Ich habe mit Dead Man’s Corner mittlerweile mein eigenes Trio und das ist mir ungemein wichtig. Pete wollte dann in Italien spielen und wir haben einen Weg gefunden. Atomic Rooster arbeiten ungemein professionell. Es hat bei den ersten Proben sofort geklickt. Mein Band spielt nicht so sauber, hat dafür aber ein anderes Feeling. Ich bin froh und dankbar, dass ich diese zwei Projekte habe, weil sie mich sehr erfüllen.

Kannst du vielleicht noch genauer erzählen, wie du aus dem tiefen Strudel deines Lebens vor gut zehn Jahren herausgekommen bist? Was ist da alles passiert?
Wie ehrlich soll ich hier sein? Ich war schwer kokainabhängig. Selbst wenn ich überhaupt kein Geld hatte, ich hatte gewiss immer was, um meine Sucht zu finanzieren. Ich geriet in einen schlimmen Strudel der Abhängigkeit. Ich verlor meine Bleibe und meine Familie. Mit sehr viel Willenskraft habe ich dann versucht, mich aus diesem Loch zu holen. Das gelang mir ganz gut und im selben Moment ging es auch schon wieder bergauf. Ich habe seitdem nie wieder zurückgeschaut und bin total clean. Es ist alles möglich, wenn man nur will.

Aber es ist vor allem harte Arbeit …
In den 80ern entkam man dem Kokain nicht. Jeder hat es genommen. Ein paar, so wie ich, sind dann leider dabeigeblieben, aber ich habe einen Weg herausgefunden. Als ich damals im Wohnwagen wohnte, fuhr ich mit einem Auto, das gar nicht für die Straße zugelassen war. Ich spielte aber noch immer Gigs. Ich hatte jeden Abend Tränen in den Augen, weil ich zwar die Leute glücklich machte, selbst aber todunglücklich war. Dann passiere Einschneidendes. Ein Typ kam aus dem britischen Nebel auf meinen Wohnwagen zu. Er gab mir einen Zettel und sagte, dass darauf eine Telefonnummer wäre, die ich wählen sollte. Sie war von einer Wohnbaugesellschaft. Ich habe den Typen nie mehr gesehen, aber am nächsten Tag die Nummer angerufen. Ich hatte jahrelang keine Steuern mehr bezahlt und war völlig aus dem Radar des Staates geraten, musste also erst wieder einmal Formulare unterschreiben und ein Konto eröffnen, damit ich in das Programm für eine Wohnung kommen könnte. Eigentlich hätte ich in der Lage gar keinen Anspruch auf Hilfe gehabt, aber der Typ, mit dem ich telefonierte, mochte mich und hat mir geholfen. Das war wie ein Wunder. Ich kann es heute kaum glauben, dass ich noch live auftrete und Menschen mich sehen wollen. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Lebst du momentan in London?
Nein, ich bin an der Südküste. Mittlerweile habe ich wieder ein Haus, das ich abbezahle. Direkt am Meer, mit drei Schlafzimmern, damit meine Jungs hier übernachten können und ich habe mir auch ein eigenes Studio eingerichtet. Ich gehe jeden Tag mit dem Hund am Strand spazieren, es ist ein herrliches Leben. Auch wenn ich aus Manchester bin, habe ich den Großteil meines Lebens in London verbracht und ich fühle mich auch als Londoner. London ist aber eine Stadt für die jungen Leute, da gehöre ich heute nicht mehr hin. Mein jüngerer Sohn lebt dort, hat aber nie Geld, weil dort alles so unglaublich teuer ist. Das nimmt er aber in Kauf, weil die Stadt für junge Leute wie ihn ein großartiger und vitaler Ort ist.

Wie sehen deine weiteren Zukunftspläne aus?
Meine Band Dead Man’s Corner habe ich vor gut sieben Jahren gegründet, um endlich die Musik zu spielen, die ich spielen wollte - außerhalb meiner Soloaktivitäten. Das Line-Up hat sich mehrmals geändert, aber wir sind jetzt stabil und wirklich gut eingespielt. Mein Drummer ist wie Keith Moon und singt auch dazu - ich liebe es. Ich würde gerne für immer mit meiner Band spielen und auch das Atomic-Rooster-Projekt macht mir großen Spaß. Ich habe wirklich viel Glück, dass alles gut ausging.

Live in Wien
Am 8. November sind die legendären Atomic Rooster rund um Steve „Blitz“ Bolton und Pete French endlich auch bei uns im Wiener Reigen zu sehen. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weitere Informationen zum kultigen Konzerthighlight.

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