Viele Geheimnisse

Christian Pilnacek: Der letzte Akt einer Tragödie

Er galt nicht nur in der Justiz als einst mächtigster Beamter der Republik - doch verfolgt von den Korruptionsjägern der Staatsanwaltschaft, war der Fall umso tiefer. Jetzt der letzte Akt (s)einer Tragödie mit dem Tod nach einer Geisterfahrt. Auch die Politik reagiert auf die Schocknachricht.

Christian Pilnaceks Vita in 30 Jahren bei der Justiz ist bis zur Entmachtung 2020 und letztlich seiner Suspendierung im Jahr darauf (siehe auch Chronologie unten) tadellos. Vom Richteramtsanwärter klettert er bis zum Leiter der Sektion Strafrecht und ist so praktisch Herr über alle Staatsanwaltschaften.

Mächtigster Beamter der Republik
Er gilt selbst für seine Gegner als renommiertester Jurist und mächtigster Beamter der Republik. Pil, so sein Spitzname, ist als akribischer Kopf Architekt der neuen großen Strafprozessordnung 2008.

Christian Pilnacek am 27. April 2023 bei einer Verhandlung der Bundesdisziplinarbehörde in Wien.

(Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)

Rauswurf aus Ministerium hat er nie verkraftet
Gleichzeitig gilt er auch als gesellig, ist Stammgast in City-Lokalen. Seine Arbeit und sein Auftreten machen ihn jedenfalls zur polarisierenden Größe. Die langjährige Feindschaft mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ist allseits bekannt. Mit dem Rauswurf aus dem Palais Trautson, dem Sitz des Justizministeriums, beginnt dann der tiefe Fall für den parteilosen Spitzenbeamten, den er nie verkraftet hat.

Die Chronologie

• Christian Pilnacek, geboren im Mai 1962 in Wien, war viele Jahre der wichtigste Justizbeamte der Republik. In Polit- und Justizkreisen kursierte der Spruch „Wer wird Minister unter Pilnacek?“.
• Er wurde 1992 Richter, 2001 Oberstaatsanwalt, 2010 Leiter der Strafrechtssektion des Justizministeriums. Er kontrollierte die Staatsanwaltschaften inklusive WKStA. 2018 wurde er Generalsekretär. Selbst bei Kritikern galt er als glänzender Legist, zeichnete mit Oberstaatsanwalt Werner Pleischl verantwortlich für die umfassende StPO-Reform.
• Die steile Karriere knickte 2019. Legendär der Spruch aus einer geheim aufgezeichneten Sitzung mit der WKStA mit den Worten „Setzts euch z’samm und daschlagts es“ im Zusammenhang mit Eurofighter. Die WKStA erstattete Anzeige wegen Amtsmissbrauch. Es gab keine Ermittlungen. Die Korruptionsermittler blieben seine Widersacher.
• Letztlich wurde Pilnacek unter der grünen Justizministerin Alma Zadić entmachtet, indem sie die Sektion Strafrecht teilte. 2021 wurde Pilnacek wegen Verdacht auf Geheimnisverrat suspendiert. Verfahren wurden eingestellt.  „Die Vorwürfe haben ihn als Menschen aufgefressen“, sagt ein Vertrauter, der noch Stunden vor seinem Ableben mit Pilnacek Kontakt hatte. Da zeigte er sich in einem juristischen Fall interessiert. „Das muss man sich anschauen.“ Ein Screenshot liegt der „Krone“ vor.
• Pilnacek war ÖVP-nahe. Chatnachrichten und Treffen mit Beschuldigten verdeutlichten dies. Zudem hielt er mit dem befreundeten Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter gemeinsam Vorlesungen.
• Ministerin Zadić: „Mit großer Erschütterung habe ich vom plötzlichen Tod von Christian Pilnacek erfahren. Er war ein fachlich äußerst versierter Jurist. Seiner Familie und seinen Freunden möchte ich mein tief empfundenes Mitleid ausdrücken.“ Im Netz hagelte es teils heftige Kritik. Sie solle besser schweigen. Christian Pilnaceks Leben endete wohl in einer Kurzschlussaktion. Vielleicht fürchtete er erneutes öffentliches Eindreschen. Wohl nicht zu Unrecht.

Es ist Donnerstagabend. Christian Pilnacek ist zuerst bei einem privaten familiären Abendessen in einem bekannten Nobel-Italiener im Herzen Wiens. Danach noch ein Termin bei einem Empfang in der ungarischen Botschaft. Kurz vor 22 Uhr setzte er sich alleine in sein Auto. Über die Donauuferautobahn A 22 geht es Richtung Niederösterreich. Auf der Stockerauer Schnellstraße S 5 fährt er aber irgendwo falsch auf - eine Polizeistreife stoppt schließlich die Geisterfahrt!

Zum Drama kommt es nach einer Geisterfahrt. (Symbolfoto)

(Bild: Huber Patrick)

Pilnacek hinterlässt Frau und drei Kinder
Es ist 22.15 Uhr, als der letzte Akt (s)einer menschlichen Tragödie beginnt: Denn die Alko-Kontrolle ergibt einen zu hohen Promillewert! Er, der einst so allmächtige Justiz-Sektionschef, muss seinen Führerschein an Ort und Stelle abgeben. Diese weitere Schmach in einer langen Reihe von persönlichen Rückschlägen dürfte für Christian Pilnacek zu viel gewesen sein. Fakt ist: Christian Pilnacek wird nur 60 Jahre alt. Und nimmt viele Geheimnisse mit ins Grab. Er hinterlässt zudem seine Frau und drei erwachsene Kinder.

Auch ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer zeigt sich betroffen: „Ich habe ihn - auch in der Zusammenarbeit als Innenminister - als herausragenden Juristen kennen und schätzen gelernt. Mein tief empfundenes Beileid gilt seiner Familie, seinen Angehörigen und seinen Freunden. Ruhe in Frieden!“

„Verfahren und nicht die Urteile ruinieren“
Pilnaceks Anwalt, Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer, lässt indes mit Kritik aufhorchen: „Die Beschuldigten werden durch die Verfahren und nicht durch Urteile ruiniert!"

Es ist eine Tragödie. Die Beschuldigten werden durch die Verfahren und nicht durch die Urteile ruiniert.

Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer vertrat Christian Pilnacek mit seiner Anwaltskanzlei

Bild: APA/HANS PUNZ

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