Annaberg-Tragödie

Ein schwarzer Tag in Österreichs Geschichte

Österreich
17.09.2023 06:00

Ein Wilderer, der seit Jahren in Niederösterreich und in der Steiermark Hirsche erlegt und diesen das Haupt als Trophäe abgetrennt hat, tappt am 17. September 2013 bei Annaberg (NÖ) kurz nach Mitternacht in eine Polizeikontrolle. Doch als der von der Polizei gejagte Wildschütz stehen bleiben soll, rastet er aus und durchbricht die Sperre.

Mörderischer Amoklauf
Es beginnt ein mörderischer Amoklauf, der das Land 24 Stunden in Atem hält. Denn obwohl das vorerst unbekannte Phantom bereits einen Cobra-Beamten angeschossen und schwer verletzt hat, flüchtet es keineswegs, sondern legt sich im Wald auf die Lauer.

Wenn der Wildschütz vom Jäger zum Gejagten wird
Wie auf der Pirsch nimmt er seine Opfer ins Fadenkreuz. Mit einem Schnellfeuergewehr samt Nachtsichtgerät, Schalldämpfer und Spezialmunition für die Bärenjagd ausgerüstet, wartet er wie ein Killer im Dunkel der Regennacht auf seine Verfolger. Mit einem gezielten Kopfschuss liquidiert er sein erstes Opfer, einen 70-jährigen Rettungsfahrer. Erst als ein weiterer Cobra-Polizist das Feuer auf den bis dahin unsichtbaren Feind erwidert, flüchtet der Wilderer in den Wald.

Alois H., der Wilderer vom Annaberg, tötete zwei Polizisten und einen Rettungssanitäter. (Bild: PAUL PLUTSCH)
Alois H., der Wilderer vom Annaberg, tötete zwei Polizisten und einen Rettungssanitäter.

Wenig später überrumpelt der Raubschütz an einer weiteren Straßensperre zwei Polizisten aus der Region: Er exekutiert sie mit zwei Salven aus seinem Spezialgewehr. Mit der Leiche eines der beiden getöteten Inspektoren auf dem Beifahrersitz flüchtet er schließlich mit dem erbeuteten Streifenwagen durchs Voralpenland.

„Krone“-Reporter bei stundenlanger Belagerung
Genau zu diesem Zeitpunkt traf „Krone“-Reporter Christoph Matzl auf der Suche nach dem schaurigen Tatort des unheimlichen Wilderers in Annaberg ein. Unterwegs im dichten Morgennebel mit einem mehr als mulmigen Gefühl. Auf den Spuren eines Verbrechers, mit dessen Kaltblütigkeit niemand gerechnet hatte. Etwas erleichtert stieß der Redakteur auf den Fahndungstross der Exekutive, folgte diesem nach Großpriel und berichtete von dort aus von der stundenlangen Belagerung.

Einschüsse in den gepanzerten BMW X5; der zweite BMW war nicht gepanzert! (Bild: AP)
Einschüsse in den gepanzerten BMW X5; der zweite BMW war nicht gepanzert!

Denn hier, 70 Kilometer von Annaberg entfernt, hatte sich – wie mittlerweile identifiziert – der 55-jährige Fuhrunternehmer und Jäger Alois H. in seinem zur Trutzburg umgebauten Jagdschlössl verbarrikadiert und verschanzt.

Nervenkrieg am Belagerungsring
Es folgte ein stundenlanger Nervenkrieg. Denn noch ging die Einsatzleitung von einer „mobilen Geiselnahme“ aus. Man hoffte, dass jener Polizist, der auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens gesessen war, vielleicht noch am Leben ist ...

Selbst ein Polizei-Radpanzer aus Wien rollte an, um bei der Belagerung der „Wilderer-Festung“ Kugelschutz zu bieten. (Bild: Christoph Matzl)
Selbst ein Polizei-Radpanzer aus Wien rollte an, um bei der Belagerung der „Wilderer-Festung“ Kugelschutz zu bieten.

Eine nervtötende Zerreißprobe für Verwandte, Freunde und Nachbarn des Amokläufers. Seelisch und psychisch mitgenommen, warteten sie. Besonders bewegend ein Interview mit Jagdkamerad Herbert Huthansl am Rande des Belagerungsringes. Denn er hatte noch in der Früh nichts ahnend mit Alois H. telefoniert.

Sogar das Bundesheeres musste angefordert werden, um in das zur Trutzburg umgebaute Anwesen eindringen zu können. (Bild: Franz Crepaz)
Sogar das Bundesheeres musste angefordert werden, um in das zur Trutzburg umgebaute Anwesen eindringen zu können.

„Mi kriegen‘s auch nit“
„I bin’s, da Alois. I bin daham. Das ganze Haus is umzingelt von Polizisten. A Hubschrauber is a do. Und jetzt wolln s’ mi holen“, so hatte der Amokkiller mit seiner Telefonbeichte begonnen. „Es ist leider wahr: I bin der Wilderer vom Annaberg, ich hab vier Leut daschossen in der Nacht. Die ,Burgi‘ (seine Schäferhündin) hob i schon erlöst – und mi kriegen s’ auch nicht.“ Damit war für Freund Huthansl klar: „Der Alois ergibt sich nie und nimmer!“

In seinem Bunker versteckte Alois H. 305 Waffen und Hunderte Trophäen. (Bild: LPD NÖ)
In seinem Bunker versteckte Alois H. 305 Waffen und Hunderte Trophäen.

Da der Amokschütze in der Folge aus seinem Versteck auf Polizisten, Feuerwehr- und Rettungsleute – praktisch auf alles, was sich bewegte – schoss, forderte die Einsatzleitung Unterstützung durch das Bundesheer, sprich Panzer, an. Mittlerweile waren zwei Cobra-Profis – unbemerkt vom Todesschützen – in das Anwesen eingedrungen, um nach dem vermissten Polizisten zu suchen. Sie fanden ihn tot mit zerfetztem Schädel im Streifenwagen.

Erschossener Polizist auf der Flucht am Beifahrersitz
Der Amokschütze, war also mit einem Toten als Beifahrer auf der Flucht gewesen. Jetzt, wo klar war, dass Alois H. keine Geisel in seiner Gewalt hat, wurde die Stürmung beschlossen. Gegen 18 Uhr durchbrach ein Heerespanzer die Mauern. Sondereinheiten durchkämmten das Jagdschlössl. Erst nach langem Suchen fand man 24 Stunden nach Beginn des mörderischen Wildererwahns in einem Geheimbunker die verkohlte Leiche des Alois H. Er hatte Feuer gelegt und sich eine Kugel in den Kopf gejagt.

Innenminister Karner und Landeshauptfrau Mikl-Leitner am Gedenkort (Bild: BMI/ Jürgen Makowecz)
Innenminister Karner und Landeshauptfrau Mikl-Leitner am Gedenkort

Was Tatortermittler im Geheimbunker entdeckten, zeigte die unfassbare Weite der weidmännischen Schattenseiten des Einzelgängers. Ein Mann mit zwei Gesichtern: der nette Kamerad und Kumpel von nebenan – und der Psychopath, der, sobald er zum Wildern ausrückte, zum rücksichtslosen Raubschützen wurde. Ohne Skrupel und ohne Seele.

Auch bessere Technik hätte Wilderer nicht gestoppt
Während nur Stunden nach der Tragödie erste Schuldzuweisungen erfolgten, bewahrte NÖs Sicherheitsdirektor Franz Prucher die Ruhe. Mit dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, ordnete er einen Evaluierungsbericht an. Etliche technische, taktische und organisatorische Innovationen wurden danach eingeführt.

Doch selbst verbesserte Schutzwesten, diverse GPS-Ortungsgeräte etc. hätten diesen Wilderer wohl kaum stoppen können – wenn er, ausgerüstet mit Bärentötermunition (!), wie ein Alpenrambo im Trophäenrausch durch Annaberg pirschte. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner bei der Jahrestagsandacht hörbar gerührt: „Dieser Gedenkstein in Annaberg soll dazu beitragen, dass die Erinnerung an diese vier Helden nie verblasst.“

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