Album „Portraits“

Birdy: Flügge geworden und kindlich geblieben

Musik
17.08.2023 09:00

Auf ihrem fünften Album „Portraits“ versucht es das britische Stimmwunder Birdy nun mit Elektronik, Disco-Beats und mehr Spaß - wie sie ihren Wurzeln damit trotzdem treu blieb und was eine neue Frisur so alles verändern kann, das verrät sie uns im „Krone“-Interview.

(Bild: kmm)

Bereits im zarten Alter von 12 wurde Birdy in England zum Star, ein Jahr später folgten globale Erfolge. Das Mädchen mit dem langen Haar am Piano überzeugte mit brüchiger Stimme und melancholischen Songs - bei den frühen Interviews war der Herr Papa noch treu an ihrer Seite. 15 Jahre später hat sich Jasmine van den Bogaerde längst von ihrer Vergangenheit befreit und versucht sich nun in neuen Gefilden. Nach dem folkigen „Young Heart“, das Birdy vor Corona in selbstgewählter Isolation an der US-Westküste schrieb, hat sie für ihr fünftes Album „Portraits“ wieder die angestammte Heimat London gewählt, lässt man ein paar Schlenker nach Nashville unbeachtet.

Auf ihrem neuen Werk entfernt sich die heute 27-Jährige markant von den alten Tagen und schlägt auf Songs wie dem fröhlichen „Paradise Calling“ ganz neue Töne an. Die 80er-Jahre treiben aus allen Ecken und Poren, Elektronisches vermischt sich mit Akustischem und zwischen PJ Harvey, ganz viel Kate Bush und Prince bleibt auch noch Raum, jüngere Inspirationen wie Caroline Polachek zu integrieren. Und keine Angst - Birdy hat zwar kürzeres Haar und eine knalligere Live-Show, auf emotionale Balladen und Herzschmerzmomente wird aber natürlich auch auf „Portraits“ nicht verzichtet. Anstatt sich vom Papa zu Interviews begleiten zu lassen, fliegt sie mittlerweile ihre Großeltern ein, um mit ihnen Schnitzel zu essen - wie vergangenen April bei ihrem Auftritt in Wien passiert. Die neue Birdy ist selbstsicher und erwachsen, aber gleichzeitig von einer bewussten Kindlichkeit durchzogen.

„Krone“: Birdy, zwischen deinen Alben „Beautiful Lies“ und „Young Heart“ vergingen noch fünf Jahre, zwischen „Young Heart“ und „Portraits“ sind es jetzt gerade einmal zwei. Die beiden aktuellen Alben könnten nicht unterschiedlicher klingen, aber hast du dich noch an Material der älteren Songwritingsessions bedient?
Birdy:
Absolut gar nicht, alle Songs sind total neu. „Young Heart“ war sehr vom Folk, Joni Mitchell und Nick Drake inspiriert. „Portraits“ hingegen wurde von den 80er-Jahren inspiriert. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich da so sehr reinfallen konnte. Ich habe viel Prince und Kate Bush gehört, auch Portishead war ein wichtiger Teil dieses Albums. Ich wollte akustische und elektronische Musik so verbinden, wie es auch diese Größen taten. Inhaltlich wollte ich etwas fantasievoller vorgehen und nicht so sehr reale Dinge kommentieren. „Young Heart“ war ein emotional schwieriges Album, das auch von den Lockdowns getragen wurde. Ich war danach etwas erschöpft und wollte dieses Mal einfach Spaß haben und so soll „Portraits“ klingen.

Hast du bewusst versucht, dich aus dem Stimmungstief zu kämpfen und die Lockdowns so weit wie möglich von dir wegzuschieben?
Ich habe die Bühne vermisst. Nun ist man es von meinen Auftritten nicht gewohnt, dass viel getanzt wird und so mancher fragt sich sicher, was da jetzt vor sich geht, aber die neuen Songs verlangen das fast. (lacht)

Was war denn der entscheidende Moment, der dich musikalisch in diese neue Richtung führte?
Es war anfangs eher die Musik, die ich hörte. Vorher genannte Acts und auch noch PJ Harvey. Ich war fasziniert von dunkleren Kompositionen, aber meine eigene Musik kam erst ein bisschen später. Ich fiel dann auch voll in neuere Acts wie Christine And The Queens und Caroline Polachek. So bekamen meine Songs auch mehr Drive Richtung Pop. Ich habe viel herumexperimentiert und wollte in den Pop gehen, den auch Kate Bush beherzigt hat. Mein Sound hat sich von den Grundzügen weg jedenfalls einige Male neu formiert, bis er fertig auf Platte gepresst wurde. Ich schrieb die meisten Songs in London und teilweise in Nashville.

Netflix-Serien wie „Stranger Things“ haben 80er-Bands wieder Tür und Tor geöffnet, einer jüngeren Generation nähergebracht. Warst du neben den genannten Bands auch von solchen Serien beeinflusst?
Unterbewusst sicher. Es gibt sehr viel Musik da draußen, die sich gerade auf die 80er-Jahre beruft, das ist ganz klar. Jetzt bin ich eben auch in diese Richtung gekippt. (lacht) Ich habe im Frühling schon drei bis vier Songs auf Tour gespielt. Da wurde getanzt, es gab wuchtige Drums - alles Dinge, die man von mir nicht unbedingt erwartet. Das war auch für mich sehr spannend zu sehen.

Woran liegt das aber deiner Meinung nach? Die Musik in den 80ern war sehr dekadent und hedonistisch, gar nicht einmal so sehr innovativ. Magst du diese Ungezwungenheit und Leichtfüßigkeit?
Durchaus. Es gibt sehr viele Künstlerinnen, die gerade sehr extrovertiert agieren. Die Elektronik mit Pop und etwas Punk vermischen und die Stärken von damals mit neuen Ideen verknüpfen wollen. Mich hat die Phase des Musikhörens auch wieder zum Punk zurückgebracht, den ich immer gerne mochte.

Wird es jemals ein Punk-Album von Birdy geben?
Wer weiß? Ich hätte mir vor ein paar Jahren auch nicht vorstellen können, ein Album wie „Portraits“ zu machen, also ist es durchaus möglich. (lacht)

Ist „Portraits“ ein neues Kapitel in deiner bunten Diskografie oder schon richtungsweisend für die Zukunft deiner Musik?
Ich denke nie zu weit nach vorne. Was mich gerade inspiriert oder was ich aufregend finde, das findet auch seinen Weg in meine Musik. Aber natürlich ist jetzt einmal alles neu. Nicht nur der Sound, sondern auch die Bühne. Ich habe mir die Haare geschnitten, was schon einige Leute schockiert hat. (lacht) Ich habe mich ein bisschen so gefühlt, als hätte ich mich immer versteckt. Mein Look hat immer an das kleine Mädchen von nebenan erinnert, aber ich bin jetzt 27 und fühle mich nicht mehr so. Es war in gewisser Weise ein Ausbruch.

Du stehst seit Kindheitstagen, ca. deinem halben Leben, im Rampenlicht. Hast du dich mittlerweile besser daran gewöhnt?
Nicht wirklich. (lacht) Ich liebe Liveshows und die Verbindung zu meinen Fans, aber das Konzept von Ruhm habe ich nie verstanden und war mir immer sehr suspekt.

Bedeuten die Musik und dein neuer Look auch eine Art von Selbstfindung? Dass du dich sicherer und stabiler fühlst? Vielleicht auch erwachsener und reifer?
Anders wäre ich nicht ich selbst und das würde keinen Sinn machen. Mit zunehmendem Alter lernt man sich besser kennen und gewinnt an Selbstsicherheit dazu. Ich bin nicht mehr ganz so schüchtern wie früher, sondern weiß, was ich will. Das möchte ich auch nach außen ausstrahlen.

Was waren die wichtigsten Lehren aus mehr als einer Dekade im Rampenlicht?
Ich bin irgendwie wieder etwas kindlicher geworden. Ich war als junges Mädchen schnell bekannt und umgeben von älteren Menschen. Das war manchmal etwas seltsam, weil der Altersunterschied groß war und ich versuchte, mich unbewusst zwanghaft reif und erwachsen zu verhalten. Diesen Schutzschild habe ich jetzt abgelegt und lasse dem ungezwungenen Spaß viel mehr freien Lauf. Ich verstecke auch meine Gefühle nicht mehr. Wenn ich beim Songwriting abschweife oder eine andere Richtung einschlage, folge ich diesem Impuls. Wenn man jünger ist, ist es wesentlich schwieriger, sich da durchzusetzen.

Kindlichkeit und Naivität sind gerade in der Kultur wichtige Stützpfeiler, um vielleicht auch unbefangen und frisch an neue Ideen ranzugehen. Hattest du Angst, zu seriös und ernsthaft zu werden?
Ein bisschen schon. Kindlichkeit erweckt die Kreativität in einem. Bei „Young Heart“ hatte ich den Gipfel meiner Seriosität erreicht. Ich wollte alles perfekt machen und nichts dem Zufall überlassen. Ich habe Dinge überarbeitet und verworfen, bis es endlich passte, wollte für „Portraits“ Dinge einfach zulassen. Imperfektionen so stehen lassen und schauen, wohin sie führen. Das hat auch im Arbeitsprozess viel mehr Spaß gemacht.

„Young Heart“ bestand aus ungemein persönlichen Songs. Fällt es dir heute, wo du wieder etwas lockerer bist, schwer, sie zu performen?
Das kommt tatsächlich vor. Ich hatte nie die Chance, das gesamte „Young Heart“-Album zu spielen, was Corona geschuldet ist. Wir bauen natürlich immer noch hier und da Songs ein, aber der Zeitpunkt, wo sich das richtig angefühlt hat, ist vorüber. Die ganze Geschichte mit dem Album ist etwas schwierig.

Worauf bezieht sich den „Portraits“? Auf deine Malerei, die neben der Musik dein zweites großes Steckenpferd ist?
Das Album dreht sich stark um Fantasie und die Liebe. Als ich den Titeltrack schrieb, habe ich sehr viel gemalt. „Portraits“ als Song dreht sich darum, dass man von seinem Schwarm ein Bild malt und das Bild dann mehr liebt als die Person selbst, weil man das Unperfekte retuschieren kann. (lacht) Diese Idee fand ich spannend und habe ich dann weitergezogen. Das Album dreht sich auch stark um meinen gegenwärtigen Zustand. Die Art, wie ich erwachsen wurde, ein paar Geister meines Lebens verscheuchen konnte und total im Reinen mit mir bin. Die Songs sind verschiedene Porträts von mir.

Würdest du dein eigenes Leben rückblickend gerne auch anders zeichnen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?
Eine gute Frage. Ohne all die Fehler und Abzweigungen wäre ich nicht diejenige, die ich heute bin. All die Erfahrungen waren wichtig, um ich zu werden und ich bin mit mir sehr zufrieden. Es war etwas seltsam anfangs als Kind Musik zu machen, die ich nicht so gerne mochte, aber ich konnte mich schnell freischaufeln und bin sehr dankbar für all die Möglichkeiten, die sich mir seither boten.

Bist du heute auch viel selbstsicherer bei deiner Musik und der Art, wie du sie ausdrückst und spielst?
Mit Sicherheit. Ich bin grundsätzlich viel selbstsicherer und stärker geworden. Auf „Portraits“ sieht man das auch an den Visuals, den Videos und hört es den Songs an. Ich habe mir früher viel zu oft Sorgen darüber gemacht, was wohl andere von meiner Kunst denken könnten. Das habe ich heute abgelegt.

In einer internationalen Rezension wurde einmal geschrieben, du wärst eine „alte Seele in einem jungen Körper“ und das höre man deiner Musik an. Auf „Portraits“ scheinst du dich ganz bewusst davon freistrampeln zu wollen?
„Raincatchers“ ist ein Song, der die Wandlung vom inneren Kind zur älteren Person aufwirft. Er erinnert mich daran, wie es früher war und wie es heute ist - auch, warum beides schön und okay ist.

Ein Song nennt sich „Paradise Calling“. Wann ruft es bei dir? Was ist für dich das Paradies?
Ich liebe es, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Sie war immer da und wird immer da sein und das ist mein größtes Glück. Der Song spielt aber auch noch ein bisschen an „Young Heart“ an. Ich habe damals ganz fest an mich geglaubt und gewusst, was ich tue - viele andere aber nicht, weil es eben ein Folk-Album ist und damit nicht zu rechnen war. (lacht) Ich habe die Arbeit daran aber geliebt und bin die Reise zu „Portraits“ gegangen, weil ich mir sicher war, dass auch dieser Weg stimmt.

Bist du mit „Young Heart“ noch heute glücklich?
Ich liebe das Album. Die beiden neuen Alben spiegeln mich perfekt wider, auch wenn sie sehr unterschiedlich sind.

Der Grat zwischen künstlerischem Ausdruck und kommerzieller Erwartungshaltung ist ein sehr schmaler. Spürst du diesen Druck manchmal?
Der lässt sich nicht ablegen. Auf „Portraits“ hat sich alles perfekt gefügt und alles ging mir ganz leicht von der Hand. Das war nicht immer so und ich habe früher öfter mit mir gehadert. Am Ende muss man aber immer das tun, was sich richtig anfühlt.

Hast du dich mit den Songs auf „Portraits“ auch selbst überrascht?
(lacht) Oh mein Gott ja. Und zwar verdammt oft. „Paradise Calling“ und „Heartbreaker“ sind vielleicht die kommerziellsten und poppigsten Songs meiner Karriere. Ich wollte Tracks haben, die einfach richtig Spaß machen und als ich die fertige Version das erste Mal hörte, konnte ich selbst nicht glauben, dass der Song von mir kommt. Ich habe auch viel mit den Texten herumjongliert und mir einfach die Leichtigkeit erhalten. Veränderungen sind immer ganz seltsam. Nicht nur diese Musik, die sich anfangs selbst für mich komisch anfühlte. Als ich mir erstmals die Haare schnitt, kam ich mir krank vor. (lacht) Man braucht seine Zeit, bis man sich in neuen Umständen wohlfühlt.

Du hast dich schon auf „Young Heart“ selbst reflektiert und deine Emotionen in Songs gegossen. Auch wenn die Nummern auf „Portraits“ nun nicht mehr so persönlich sind, liegt dem eine weitere Transformation zugrunde?
„Young Heart“ drehte sich um gebrochene Herzen, Trauer und Einsamkeit. Auf „Portraits“ schaue ich von außen auf mich, bin dabei sehr kritisch, aber lasse mir den Spaß im Leben nicht nehmen. Als ich sehr jung war, wurde ich von allen anderen bewertet, obwohl ich selbst noch nicht wusste, wer ich eigentlich genau bin. Das war nicht immer leicht für mich, weil ich mich selbst bewertete und hinterfragte. Ich würde heute viele Entscheidungen heute anders treffen und „Portraits“ zeigt auf, dass es okay ist, Fehler zu machen, okay ist, ein Kind zu sein und okay ist, zu reifen. Ich konnte mich einiger Ängste entledigen.

Gibt es alte Songs von dir, die du heute nicht mehr singen oder spielen willst? Weil sie aus einem ganz anderen Teil deines Lebens kommen oder eben nicht mehr zu dir passen?
Ein paar gibt es schon, zu denen ich heute einfach keine Verbindung mehr habe, aber ich glaube, das ist ganz normal. Ich spiele nur Songs live, die ich genieße und mag. Ich liebe es zu covern und auch die alten Hits zu spielen, weil sie den Fans so viel bedeuten. Unlängst haben Menschen wieder bei einem Konzert geweint, was mich selbst unheimlich bewegt. Ich bin sehr glücklich darüber, dass meine Lieder so viel bewegen können.

Nachdem du auf der Bühne jetzt auch tanzt und etwas mehr Disco-Feeling herrscht - wie werden Birdy-Liveshows denn zukünftig aussehen?
Wir überlegen noch immer sehr genau, wie wir das in Zukunft alles perfekt verbinden, werden aber sicher tolle Wege finden. Es gibt ein paar größere Veränderungen in der Setlist und ich sitze nicht mehr so oft am Piano, sondern stehe und spiele Gitarre. Ich tanze übrigens noch nicht, sondern bewege mich nur irgendwie. (lacht) Aber wer weiß, vielleicht fängt auch das Tanzen noch einmal irgendwann an.

Wolltest du mit „Portraits“ mehr in fantastische Themen eindringen, weil die Welt an sich so ein hässlicher Ort wurde, oder war es eine persönliche Entscheidung?
Sicher ein bisschen von beidem. Wir fühlten uns lange Zeit alle wie erstarrt und verzweifelten eine Zeit lang bei dem Gedanken, vielleicht nie mehr Dinge in einer Gemeinschaft machen zu können. Das hat in uns allen etwas ausgelöst und in mir waren es neu geschriebene Songs. Ich habe auch auf „Portraits“ ein paar entrückte Momente, aber es muss auch mal wieder Party geben. Ich stand lange genug auf der Bremse.

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