In seiner neusten Kolumne setzt sich Autor Robert Schneider mit dem streitbaren Starregisseur Lars von Trier auseinander. Der Däne ist überzeugt davon, dass unsere Gesellschaft zu wenig leidet - und daher keine echte Kunst mehr hervorbringt.
Er ist einer der bedeutendsten Filmemacher unserer Zeit, zumindest der vergangenen 30 Jahre, das Enfant terrible des Autorenfilms schlechthin. Mit seinen Filmen wie „Breaking the Waves“, „Dancer in the Dark“ und „Idioten“ schrieb er Filmgeschichte. Lange galt er als das Wunderkind von Cannes, bis er sich ausgerechnet auf jenem Filmfestival bei einer Pressekonferenz um Kopf und Kragen redete, als er ironisch meinte, er könne Hitler verstehen. Was als launig provozierendes Gedankenspiel gedacht war, entglitt Lars von Trier, der mit Sicherheit eines nicht ist, nämlich ein Nazi, immer mehr. Cannes ließ ihn fallen, erklärte ihn zur Persona non grata. Diese irrwitzige Selbstzerstörung einer gesamten Karriere binnen weniger Minuten ist auf Youtube bizarr dokumentiert. Das war 2011. Freilich, Cannes hat Von Trier zwischenzeitlich verziehen, und die intellektuellen Kinogeher halten ihm bis heute die Treue, aber der Mann selbst ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Das hat allerdings nichts mit Cannes zu tun, sondern mit seinen lebenslangen Depressionsschüben, der Alkoholsucht und der nun evidenten Erkrankung an Parkinson.
Mitten in der Pandemie hat er dem dänischen Journalisten Christian Lund ein Interview gegeben, worin er über seine filmischen Vorbilder, über das Lesen und über die Zukunft einer möglichen Dramaturgie des Erzählens reflektiert. Darin zeichnet er ein beklemmendes Bild. Von Trier wundert sich, dass mit den aufkommenden Möglichkeiten des digitalen Filmens, wo mit einem Handy oder einer Billigdrohne die schönsten 4K-Videos produziert werden können, dennoch keine Neuerung im Filmschaffen zu beobachten ist. Letztlich führt er die Krise des Erzählens auf das Fehlen von „obstruction“ zurück, will meinen, dass dem Künstler die Hindernisse abhanden gekommen sind. Pathetisch ausgedrückt: Unsere Gesellschaft leidet nicht mehr. Darum bringt sie auch keine Kunst mehr hervor. Das Interview ist ein tief berührendes Zeugnis eines Denkers, dem zeitlebens etwas im Wege stand: das Leben selbst.
Youtube: „Lars von Trier: The Burden From Donald Duck“
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