Live im Gasometer

The Libertines: Erfolg durch raue Ursprünglichkeit

Wien
08.11.2022 08:32

Vor nur rund 2000 Fans feierten die britischen Indie-Rüpel The Libertines am Montagabend im Wiener Gasometer das 20-Jahre-Jubiläum ihres Debüts „Up The Bracket“ samt eines ausgewählten Best-Of-Sets. Die beiden sich hassliebenden Frontmänner Pete Doherty und Carl Barât boten dabei das beste Konzert ihrer Österreich-Historie.

„Bist deppat, ist der blad worden“ oder „hoffentlich hat ihm der Fußball auch g’schmeckt, den er g’fressn hat“ sind zwei der vielen seminetten Zuschreibungen, die Libertines-Frontmann Pete Doherty tief aus den goldenen Wiener Herzen entgegenfliegen. Er wird es nicht verstehen und auch verschmerzen, zumal der mittlerweile 43-jährige Brite zwar extrem gut im Saft steht, dabei aber auch gesünder denn je wirkt. Das heroingeschwängerte Spritzbesteck hat er in der französischen Diaspora gegen guten Wein und gereiften Käse eingetauscht, statt der Crackpfeife gibt’s eine Stange Baguette mehr zum Parmaschinken. Das Resultat ist qualitativ bahnbrechend und beginnt schon damit, dass er gemeinsam mit seinen drei Kollegen nicht nur überhaupt auf die Bühne kommt (Österreich-Fans wissen, dass dem schon ganz anders war), sondern dabei auch fast noch pünktlich ist.

Toxischer Rock’n‘Roll
Doherty und sein künstlerischer Zwilling Carl Barât haben aller immer wieder aufkommender Differenzen zum Trotz den Weg nach vorne angetreten, um rechtzeitig nach Beendigung mehrjähriger Corona-Restriktionen ein ganz besonders Jubiläum quer durch Europa zu kutschieren. Das Libertines-Kultalbum „Up The Bracket“ feiert seinen 20. Geburtstag und hat, so ehrlich muss man sein, den „Test Of Time“ nicht gänzlich einwandfrei überstanden. Für eine Reise in die glorreichen Indie-00er-Jahre reicht es aber allemal. Eine heute kaum vorstellbare Welt lange vor Cloud-Rap und der Überproduktion generischer EDM-Klänge. Einfach nur schlichter Camden-Rock’n’Roll. Nicht so intellektuell wie bei Blur, nicht so proletarisch wie bei Oasis, durch die beiden Frontmänner aber immer eine Spur toxisch und vor allem explosiv.

Diese schroffe Wildheit der frühen Tage ist bei den Mittvierzigern einer gewissen Altersmilde gewichen, das sieht man auch an der ganz speziellen Harmonie auf der Bühne. Der ganz und gar nicht Covid-konforme Wechselgesang auf einem Mikro, das breitbeinige Gitarrensolo-Duell in den kurzen Instrumentalphasen oder leicht merkbares, männliches Gegockle bei der nonverbalen Kommunikation auf der Bühne - zwischen Doherty und Barât herrscht ein unsichtbares Band der untrüglichen Liebe, das aber immer von einer allzeit zum Brennen bereiten Zündschnur gefährdet ist. Das Rhythmusfundament Gary Powell (Schlagzeug) und John Hassell (Bass) funktioniert souverän wie ein Uhrwerk und muss anno 2022 auch nicht mehr zwingend als Kitt zwischen den beiden Egomanen eingreifen. Dafür sind die zwei Frontmänner mittlerweile zu müde und entspannt. Mit sich, dem Leben und vor allem der Band.

Aufgeräumt und hellwach
Die Libertines sind zu einer Best-Of-Jahrmarktschau geworden, die alle heiligen Zeiten wieder durchs Dorf kreuzt, um die großen Klassiker feilzubieten und dabei bejubelt zu werden. Im Gegensatz zum Stadhallen-Fiasko von 2016 sind die Londoner heute aufgeräumt und hellwach. Statt Mikroständern fliegen die Hits, und zwar sonderzahl. Das auf etwa 45 Minuten ausgedehnte „Up The Bracket“-Set wird von A bis Z zelebriert und entfacht in Songs wie „Time For Heroes“, „Radio America“ oder dem rauen Closer „I Get Along“ seine intensivste Sogwirkung. Die lächelnde Verabschiedung von Doherty nimmt ohnehin niemand ernst und nach einer kurzen Umbau- und Atempause werden die Fans noch mit einem knackigen Best-Of-Set in die kühle Herbstnacht entlassen. Dass der Sound manchmal hallt und scheppert und die Bierbecher fliegen - geschenkt. Wir sind ja auf keiner Kinderjause.

Doherty verfügt heute über das bessere Stimmorgan, Barât schießt die besseren Soli aus seiner sechssaitigen Axt. Gegen die raue Ursprünglichkeit von Songs wie „What Became Of The Likely Lads“ oder „Can’t Stand Me Now“ wirken Libertines‘ amerikanische Alter-Egos The Strokes wie professionelle Prog-Musiker. „We Are The Happy Libertines“ grinst Doherty während des Sets einmal in die Runde und hat genau so viel Spaß wie die überraschend spärlich Anwesenden. Barât posiert wuchtig mit weißem Rip-Shirt und Hosenträgern, Doherty mit Hut und seiner stattlichen Plautze. Wer hätte sich vor zehn, 15 Jahren noch gedacht, dass dieser Mann 2022 noch unter uns weilen würde? Was für ein Glück für ihn und uns. Auch, dass die Libertines offenbar nicht daran denken, neue Songs zu schreiben. Besser als mit „Don’t Look Back Into The Sun“ oder „Begging“ kann es ohnehin nicht mehr werden. Bis zum nächsten Jubiläumsbesuch!

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